Fünfseen-Filmfestival:Weßling: Künstlerisches Sci-Fi auf dem Cinema-Mobile

Lesezeit: 3 Min.

Im Mittelpunkt der phantasievollen, SciFi-angehauchten Tragikomödie "The Ordinaries" steht die Protagonistin Paula Feinmann (Fine Sendel). In ihrer fabelhaften Welt hofft sie selber auf eine Hauptrolle - droht aber, daran zu scheitern. (Foto: FSFF)

"The Ordinaries" läuft im Wettbewerb Perspektive Junges Kino. Sophie Linnenbaum hat mit ihrem Spielfilm-Erstling einen sehr außergewöhnlichen Streifen geschaffen, der mit Ideenreichtum glänzt.

Von Armin Greune, Weßling

Kaum ist der Abspann gelaufen, stellt sich beim Betrachter das dringende Bedürfnis ein, "The Ordinaries" gleich noch einmal anzusehen. Man ist sicher, beim ersten Durchgang so viele doppelbödige Anspielungen oder cineastischen Zitate dieses in jeder Hinsicht extraordinären Films verpasst zu haben - einfach weil der Plot und das Geschehen auf der Leinwand so verblüffend sind, das volle Konzentration gefordert ist. Dazu kommen die enorme Wucht der Kamerabilder sowie die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin Fine Sendel, die einen gefangen nehmen.

Gut nachzuvollziehen, dass Heinz Wanitschek für sein Mitwirken an Sophie Linnenbaums ersten Spielfilm fast auf die Gage verzichtet hätte. "Als ich das Drehbuch gelesen habe, dachte ich, ich zahl noch was dafür", sagte der 60-jährige Schauspieler und Dozent an der Otto-Falckenberg-Schule im Filmgespräch nach der Cinemamobile-Freiluft-Vorstellung in Weßling. Trotz oder gerade wegen vieler anderer Engagements stand Wanitschek vor "The Ordinaries" zuletzt 1985 in einem Kino-Spielfilm vor der Kamera, neben Marius Müller-Westernhagen in "Der Schneemann" von Peter Bringmann. Linnenbaums Skript aber habe "schon eine Magie ausgestrahlt, das war auch so beim Drehen". Der ganze Film sei ein "Riesenabenteuer" gewesen; gleich viermal benutzt Wanitschek das Wörtchen "sehr", um das Talent der Filmemacherin zu betonen.

Die Filmemacherin räumt einen Preis nach dem anderen ab

Die 36-Jährige legt mit "The Ordinaries" ihren ersten abendfüllenden Kinofilm und zugleich ihre Regie-Abschlussarbeit an der Filmuniversität Babelsberg vor. Bevor sie sich dem Film zuwandte, hat sie Psychologie studiert, sie drehte Dokumentationen und Serien wie "Druck" und "Deutscher" für das ZDF. Ihre skurril-komischen Kurzfilme wurden vielfach ausgezeichnet: "Pix" erhielt 2017 den deutschen Kurzfilmpreis, Linnenbaums Doku "Väter Unser" wurde unter anderem vom Publikum des FSFF 2021 mit dem FSFF-Horizonte-Preis bedacht. "The Ordinaries" läuft jetzt als heißer Favorit im Perspektiven-Wettbewerb, bei der Premiere räumte der Streifen heuer in der Reihe Neues Deutsches Kino beim Münchner Filmfest die Preise für Produktion und Regie ab. Gerade eben kam noch der "Bunte New Faces Award" dazu, zudem wurde der Streifen als einer von drei Spielfilmen für den "First Step Award" nominiert, der an den besten Abschlussfilm von Filmschulen vergeben wird.

Mit dem Nachfolger seines vor genau einem Jahr abgebrannten 'Cinemamobile' ist der bayerische Filmemacher Wolf Gaudlitz wieder beim Fünfseen-Filmfestival vor dem Weßlinger Pfarrstadel vertreten. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Im ebenso unkonventionellen wie fesselnden Plot entwickelt Linnenbaum eine Idee weiter, die sie schon 2016 im mehrfach preisgekrönten Kurzfilm "[Out of Fra]me" angeschnitten hat. Darin erzählt sie von den sogenannten Outtakes, einer Selbsthilfegruppe von Filmfehlern, die deswegen buchstäblich aus dem Bild der Gesellschaft gefallen sind. Auch "The Ordinaries" spielt auf der filmischen Metaebene, gibt aber darüber hinaus eine Diktatur wieder, die hierarchisch in drei unüberwindbare Klassengrenzen gezwängt ist. Die "Hauptfiguren" singen und tanzen in hell erleuchteten Villen, die "Nebenfiguren" absolvieren mit beschränktem Dialogwortschatz ihre tägliche Statisten-Routine wie Fabrikarbeiter. Und in streng überwachten Slums existieren die Outtakes, die der Zensur zum Opfer gefallen sind: "Fehlbesetzungen", die an misslungenen Synchronisierungen und Filmaussetzern leiden oder gar nur schwarz-weiß erscheinen.

Ein bisschen Art House, etwas Unterhaltung, dazu eine Prise Sci-Fi in Weßling

Geschickt bewegt sich der Film von Ironie angetrieben zwischen Arthouse und Unterhaltung. Er bedient eine weite Vielfalt von Genres, ohne dass dabei das Gefühl entsteht, Linnenbaum habe zu viel in ihre Geschichte gepackt: "The Ordinaries" ist dystopische Science-Fiction, die vage an "1984" oder "Brazil" erinnert, und Märchen; Satire und Tragikomödie, Romanze und Musical. Wollte man etwas kritisieren, ließe sich höchstens einwenden, dass der zentrale Plot - Schulabsolventin sucht ihren Vater und findet die Liebe - für diesen höchst ungewöhnlichen Film fast zu konventionell erscheint. Die Umsetzung brilliert jedenfalls mit Witz und originellen Ideen. Die szenographische Arbeit von Fine Lindner und Max Joseph Schönborn verdient ebenso Bewunderung wie das Kostümbild von Sophie Peters - die Ausstattung zitiert die Ästhetik der beginnenden 1960er Jahre. Sehr beeindruckend ist auch die Leistung der 22-jährigen Fine Sendel, die ihr Debüt als Hauptdarstellerin in einem Kinofilm gibt.

Das beschränkte Budget eines Abschlussfilms ist "The Ordinaries" nicht anzumerken. "Der Film sieht sehr teuer aus", befand auch Wanitschek. Immerhin wurde er vom ZDF mitfinanziert, wandte der bayerische Filmemacher und Cinemamobile-Betreiber Wolf Gaudlitz ein. Auf Frage der Moderatorin Brigitte Weiß gestand Wanitschek: "Ich bin schon mal ganz rausgeschnitten worden, das war wirklich furchtbar". Seine Rolle in "The Ordinaries" als "Manni" ist weder Haupt- noch ganz Nebenfigur. Jedenfalls sei er dankbar, an dieser Parabel über gesellschaftliche Teilhabe und Ausgrenzung mitgewirkt zu haben: "Das steckt eine ganz starke Vision von Linnenbaum dahinter."

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