Sport:Der Goldjunge von Berg

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Der Tennisspieler Henri Neumann hat sich bei den Special Olympics durchgesetzt, einer Veranstaltung für Sportlerinnen und Sportler mit und ohne Behinderung. Wie geht es nach der Medaille weiter? Ein Besuch auf dem Tennisplatz.

Von Simon Sales Prado, Berg

Es wurde eng. Eigentlich waren die ersten beiden Sätze gut gelaufen, aber weil Henri Neumann zuversichtlich sein konnte, dass er das Spiel gewinnen würde, entschied er sich, seinem Gegenüber den Tennisball zuzuspielen - damit sie etwas länger spielen können, damit der Spaß noch nicht aufhört. Der Partner aber holte auf, so beschreibt es seine Mutter, die auf der Tribüne saß. Anspannung. Das Spiel wurde eng, ging sogar ins Tiebreak, noch einmal anfeuern, bevor endlich feststand: Gold für Henri Neumann.

Ein Donnerstag im Juli, in Farchach läuft Neumann zu den Tennisplätzen des MTV Berg. Mittlerweile ist der Sieg bei den Special Olympics in Berlin zwei Wochen her. "Es war ziemlich cool", erzählt er. Wirklich aufgeregt sei er nicht gewesen, nur kurz vor dem Spiel ein wenig nervös. Hier, nicht weit vom östlichen Ufer des Starnberg Sees, trainiert der 19-Jährige zwei Mal die Woche, montags spielt er außerdem in Gräfelfing. Bis zum vergangenen Jahr hat er für den Berger Verein auch auf Wettkämpfen mitgespielt. Nun ist er aber zu alt für das Juniorenteam, ein Herrenteam gibt es derzeit nicht.

Auf dem Tennisplatz in Berg hat man sich über den Sieg in Berlin gefreut, war aber nicht überrascht - Henri Neumann ist hier für seine Technik bekannt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Klar, auch hier war die Freude groß über den Sieg in Berlin. Völlig überraschend war er aber nicht. Zumindest nicht für jene, die jede Woche mit Neumann auf dem Platz stehen, die ihn beobachten und wissen, wie er spielt. Moritz Sporer-Kirsch zum Beispiel, einer der Trainer des Vereins. Sporer-Kirsch beschreibt es so: Henri Neumann spielt intelligent. Das bedeutet: Er hat viel Gefühl, spielt intuitiv, hat ein Auge für die Nutzung des Platzes. Das haben nicht alle.

Gewisse Dinge im Tennis, sagt Sporer-Kirsch, könnten die meisten Menschen lernen. Wie man eine Vor- oder Rückhand spiele zum Beispiel. Es gebe aber Dinge, die man nur schwer erlernen könne, für die man in der Regel einfach ein Gespür habe - oder eben nicht. Dazu gehört, einen Blick für den Platz zu haben, also die Fähigkeit, das Spiel zu überblicken und zu lesen. Zu erkennen, wo ein Ball landet. Wo man ihn hin spielen muss. Henri Neumann, erklärt der Trainer, könne das besonders gut. Er spielt gerne Stopps, lässt den Gegner laufen, bewegt die anderen Spieler, das sieht man auch an diesem Mittag in Berg.

Als Karin Neumann dem Trainer sagt, dass ihr Sohn eine Behinderung hat, antwortet dieser: Ja und?

Den ersten Kontakt mit dem Sport hatte Henri Neumann in seiner Familie. Zuhause spielen alle Tennis, die Eltern und die zwei Brüder. Von ihnen hat er das Spielen gelernt. "Ich habe damals für Tennis interessiert und es für mich entdeckt, es macht mir immer noch sehr viel Spaß", erzählt er. Mittlerweile ist er in der elften Klasse, nach der Schule kann er sich vorstellen, in die Gastronomie zu gehen, "ein kleines Kaffee vielleicht", sagt Neumann. Oder selbst Trainer werden? "Nein", antwortet er. Ja, der Sport sei für ihn zwar ein Anliegen, er möchte aber lieber selbst trainiert werden.

Der erste Verein, in dem Henri Neumann vor einigen Jahren spielen konnte, war in Taufkirchen bei München. Zu der Zeit musste Karin Neumann ihren jüngsten Sohn in den dortigen Tennisverein fahren. Sie fragte, ob sie auch Henri Neumann mitbringen könnte, damit er nicht alleine zu Hause bleiben muss. Klar, antwortete der Trainer, er solle gleich die Tennisschuhe anziehen. Weil sie nicht wusste, ob es zu einem Problem werden könnte, erwähnte Karin Neumann daraufhin, dass ihr mittlerer Sohn eine Behinderung hat. Die Antwort des Trainers: Ja und?

Eine Haltung, die sich nicht nur die Neumanns häufiger wünschen würden, sondern auch Elisabeth Fuchsenberger, die Inklusionsbeauftragte in Berg. Bei der Frage, wie selbstbestimmt Menschen mit Behinderung leben, sei oft entscheidend, wie informiert und offen ihre Umgebung sei, aus welchem Elternhaus man stamme und welche Ressourcen verfügbar seien, auf welche Menschen man treffe, erklärt sie am Telefon. Barrieren abbauen kostet schließlich Zeit, Mühe, Geld. Man könnte auch sagen: Für viele Menschen mit Behinderung ist nicht ihre Behinderung das Hindernis, sondern die Art und Weise, wie die Gesellschaft ihnen Zugänge verwehrt und Teilhabe erschwert - wie die Gesellschaft sie behindert.

"Es waren in Berlin über 4000 Sportler dabei, die meisten aus Deutschland, aber sogar welche aus Spanien"

Neumann ist mit der OBA nach Berlin gereist, dem Verein "Offenen Behindertenarbeit - evangelisch in der Region München". Organisiert wurde die dortige Veranstaltung dann von Special Olympics Deutschland, dem deutschen Ableger der weltweit größten, vom Internationalen Olympischen Komitee offiziell anerkannten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Heute sind die Special Olympics mit 5,2 Millionen Athletinnen und Athleten in insgesamt 174 Ländern vertreten.

"Es waren in Berlin über 4000 Sportler dabei, die meisten aus Deutschland, aber sogar welche aus Spanien", erzählt Neumann. Den Ablauf der mehrtägigen Veranstaltung erklärt er so: Zunächst werde in mehreren Trainingsrunden das Können der Teilnehmenden beurteilt. Beim Tennis gibt es insgesamt acht Spielstärken, er selbst kam in die Kategorie fünf. Dann geht es an die Spiele. Auch hier wird in mehreren Runden gegeneinander angetreten, genau wie bei den Olympischen Spielen.

Es gibt dann doch einen Unterschied zu den Olympischen Spielen: Weniger Ellbogen, mehr Miteinander

Wobei es dann doch einen Unterschied gibt. Neumann und seine Mutter beschreiben die Veranstaltung als einen solidarischen, gemeinschaftlichen Ort. Weniger Ellbogen, mehr Miteinander. Wenn man verliert, dann umarmt man den Gegenspieler eben. Schade, vielleicht nächstes Mal. Weiter geht's. So sei es auch bei einer Freundin gewesen, die im ersten Turniersatz unterlegen sei, erzählt Neumann.

Ab dem 19. Juli wird er in Regensburg bei den Landesspielen teilnehmen, die ursprünglich vor dem deutschlandweiten Wettbewerb in Berlin hätten stattfinden sollen, aber wegen der Pandemie verschoben wurden. Und dann sind da auch noch die internationalen Spiele im kommenden Jahr. Wenn es nach ihm geht, wird Henri Neumann dabei sein.

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