Tassilo:Traumwesen aus Licht und Glas

Vanessa Hafenbrädls Videoperformances sind inzwischen weltweit gefragt. Die Dießenerin beteiligt sich aber auch an vielen Kunstaktionen in München, Herrsching und Greifenberg

Von Armin Greune, Dießen

Die Nixe Erlinde ist ziemlich weit herumgekommen: Auf dem Festival "Lux Light" schwebte sie über dem Pazifik in Wellington/Neuseeland, im spanischen Santander wurde sie auf einen Kran am Atlantik projiziert. Bei "Illuminus" in Boston erschien das tanzende Lichtwesen auf einem Hochhaus und in Dießen auf einem kleinen Wasserfall. Vanessa Hafenbrädls Videoperformances bereichern immer wieder die Kulturszene am Ammersee, erregen aber seit einigen Jahren auch weltweit Aufsehen. Mit Sicherheit hätte der Dießenerin die "Luminale" zu noch größerem Bekanntheitsgrad verholfen, wahrscheinlich zu Folgeaufträgen. Doch die Biennale für Lichtkunst und Stadtgestaltung 2020 wurde im letzten Moment abgesagt. Wie- so vieles bremste die Pandemie auch Hafenbrädls Karriere zumindest vorerst aus.

Es klingt paradox, dass am Vorabend des Interviews die Lichtkünstlerin ausgerechnet bei der gestreamten Inszenierung von "Finsternis" im Münchner Residenztheater mitgewirkt hat. Dort ist sie seit 2016 in Teilzeit beschäftigt. 20 Wochenstunden als Bühnenlicht- und Videotechnikerin, dazu Glas-Workshops mit Kindern wie etwa bei "Kunst im Quadrat" auf der Theresienwiese, aber vor allem ständig Homeschooling mit der elfjährigen Tochter Sienna : Zuletzt blieb Hafenbrädl wenig Zeit für ihre kreative Arbeit. Andererseits kann es in diesen unsicheren Zeiten nicht schaden, über diverse Einkommensquellen zu verfügen. "Ich will eigentlich in jeder Situation etwas Positives sehen", sagt sie. So sei sie für den Luminale-Aufwand immerhin fair entlohnt worden.

Generalprobe vor der Frankfurter Skyline:

Generalprobe vor der Frankfurter Skyline: Vanessa Hafenbrädls bildgewaltiges Projekt „Grim White“ am Schneewittchendenkmal wurde wie die gesamte Luminale 2020 wegen der Pandemie am Tag vor der Eröffnung abgesagt.

(Foto: Vanessa Hafenbrädl)

Ihre Licht-, Video- und Glaskunst soll das Unterbewusstsein ansprechen und zieht Betrachter in eine mystische Welt jenseits der gewohnten Realität. Dennoch bezieht Hafenbrädl auch gesellschaftspolitisch Stellung, stellt Rollenklischees und Machtstrukturen in Frage. Für "Killing the Angel in the House" hat sie in der eigenen Genealogie geforscht und stieß auf Elisabeth von Hafenbrädl; Erbin eines Guts mit Glashütte und Spiegelfabrik in der Nähe von Bayerisch Eisenstein, die 1856 durch Gift ums Leben kam.

Die Künstlerin hat historische und aktuelle Porträts von Frauen ihrer Familie durch jäh gesprengte Glaswürfel projiziert und fragmentiert; zu diesem bewegten Kaleidoskop schuf die Münchner Künstlerin Anna McCarthy eine Toncollage mit dreisprachigem Text, die nicht nur die tragische Geschichte der Elisabeth von Hafenbrädl erzählt, sondern auch Themen wie Sexualmoral, weibliche Unterdrückung und Femizid anschneidet.

Eine größere Öffentlichkeit wurde erstmals 2016 auf Vanessa Hafenbrädl aufmerksam, als sie beim Festival "Genus Loci" als Wettbewerbssiegerin ihre Vision der Weimarer Sagengestalt Erlinde präsentierte. Die Vexierbilder der Ilmnixe sprengen nicht nur Grenzen zwischen verführerischer Frau und männlichem Wassergeist, dem Nöck, sie verschmelzen auch mit Seesternen und Medusen oder lösen sich in Abstraktion auf. An drei Hydroshields, wohnblockhohen Wasserwänden, tanzen Traumwesen zu betörender Musik von The Notwist. Im Team mit McCarthy, der Tänzerin Maribel Dente, dem Techniker Sebastian Robra und den Acher-Brüdern will Hafenbrädl die Wandelbarkeit von Verführung und Untergang als Sinnbild für Angst und Hoffnung der Menschen darstellen.

Mit McCarthy hat Hafenbrädl auch für die Luminale zusammengearbeitet. Am Frankfurter Schneewittchendenkmal sollte zum Thema "Digital Romantic" ihr Projekt "Grim White", eine finstere Version des Märchens, erscheinen: Gespenstische Schönheitsideale werden durch gesplittertes Glas und gespaltenes Licht zerlegt. Als Video ist die Generalprobe vor der Skyline des Bankenviertels erhalten geblieben und - wie auch weitere Live-Performances von Hafenbrädl - auf der Plattform "Vimeo" im Internet zu sehen. Doch die einzigartige Wirkung, die eine großflächige Aufführung im öffentlichen Raum bietet, konnte das Publikum nicht mehr erleben: Am Tag vor der Eröffnung am 12. März wurde das Lichtkunst-Spektakel coronabedingt abgesagt. Wie auch "Kaufbeuren leuchtet", ein Festival, an dem Hafenbrädl bereits 2019 teilnahm und das nun im kommenden November nachgeholt werden soll.

Sie will unter dem Motto "Begegnungen" historische Kaufbeurer auf heutige Bürger treffen lassen und mit Video-Mapping Hausfassaden zum Sound von McCarthy lebendig werden lassen. Eigentlich aber sei Video-Mapping "viel Mathe und nicht so meins", sagt Hafenbrädl. Ihre Lichtkunsteffekte entstehen alle live vor der Kamera: "Ich brauch das Handwerk und will nicht nur am Rechner sitzen." Dank der Arbeit über ihre Vorfahren hat sie den Werkstoff Glas neu für sich entdeckt und auf zwei Workshops in Frauenau zu bearbeiten gelernt.

Dießen, Vanessa Hafenbrädl, Tassilo-Preis

Seit drei Jahren gestaltet die Vanessa Hafenbrädl auch das Glas selbst, das sie zum Teil bei ihren Projektionen und Performances einsetzt.

(Foto: Georgine Treybal)

Seit Hafenbrädl 2015 in Dießen Fuß fasste, beteiligte sie sich an vielen Kunstaktionen in der Umgebung. Auch auf den Abbruch-Events im Herrschinger Sportgeschäft und "Kunst geht baden" im Warmbad Greifenberg war ihre Lichtkunst vertreten. "Ich habe schon immer Zwischenräume bespielt", sagt die 41-Jährige im Rückblick auf eine bewegte Vergangenheit. Zehn Jahre war sie als "Dieselqueen" in einem selbst zum Domizil ausgebauten Lkw auf Tour, experimentierte mit Schrott- und Fotokunst und jobbte unter anderem als Video-Jockey. Die Grundlagen dafür hatte Hafenbrädl in der Lichttechnik-Firma des Vaters erlernt, zudem studierte sie bis 2013 in Hamburg Digitalfilm und Animation. Auch wenn sie manchmal "den kreativen Freiraum der Großstadt vermisst", empfindet sie sich in Dießen inzwischen als angekommen: In ihren Wanderjahren habe sie sich "irgendwie nicht so komplett gefühlt, aber das nicht als Heimweh erkannt". Hafenbrädls wuchs zwar in Aubing auf, aber Vater und Tante lebten und leben am Ammersee. Jetzt besucht sie dort wieder den Pferdehof, wo sie als Siebenjährige reiten lernte.

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