Kandidat für den Tassilo 2018:Unendliche Reisen

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Der Marathon-Mann: Andreas Ammer vor dem Oskar-Maria-Graf-Stüberl in Berg. (Foto: Nila Thiel)

Der Autor, Produzent und Oskar-Maria-Graf-Fan Andreas Ammer aus Berg scheut nicht davor zurück, die umfangreichsten Stoffe anzupacken. Sein Wunschprojekt ist ein Buch über Austern.

Von Blanche Mamer, Berg

Welcher Beruf ist ihm wichtiger? Sieht er sich mehr als Autor und Künstler, oder doch als Kulturjournalist, Fernsehproduzent, Hörspielmacher oder Lokalpolitiker? Andreas Ammer schaut überrascht. Was wichtiger ist? Es sind schon extreme Sachen, die er so macht. Das Fernsehen zahle gut, meint er und grinst. Von den Hörspielen könnte er wohl auch leben, wenn auch nicht so gut. "Und die Dorfpolitik bewahrt mich davor, von Termin zu Termin getrieben zu werden und abzuheben. Es ist mir schon wichtig, mit einer TV-Produktion wie 'Druckfrisch' am späten Sonntagabend eine halbe Million Menschen zu erreichen, doch genau so wichtig ist, dass die 'Oskar-Maria-Graf-Festtage' im vergangenen Sommer so ein grandioser Erfolg waren. Jede Vorstellung war mehr als ausverkauft, die Ausstellung gerappelt voll, und ich glaube, der Ort hat sich ihm wieder angenähert", sagt der vielseitige Macher, der seit 20 Jahren in Berg am Starnberger See lebt. Länger als Graf, der sein Heimatdorf als 17-Jähriger verlassen hat.

Ammer ist 1960 in München geboren, er studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promovierte über Goethe. Nach Berg, das ihm inzwischen zur Heimat geworden ist, zog die Familie, weil der älteste Sohn hier Fußball spielte, erzählt er.

"Die Gemeinde hatte nichts geplant, ohne uns wäre zu Grafs 50. Todestag nichts passiert", sagt Ammer. Graf, der von sich als Provinzschriftsteller und Bauerndichter sprach, ist der einzige bayerische Schriftsteller von Weltrang. Doch für viele Berger war er lange Zeit ein rotes Tuch. Noch 1982 wollte die Mehrheit im Gemeinderat Berg dem berühmten Sohn des Orts keine Straße widmen. Es hat gerade mal zu einer Straßenkreuzung gereicht! Ammer, Gemeinderat und Mitbegründer der Gruppierung QUH (quer,unabhängig, heimatverbunden), hatte sich frühzeitig beim Bürgermeister erkundigt. Ein Arbeitskreis wurde initiiert, Ammer und seine Frau, die Dritte Bürgermeisterin Elke Link, die Gemeinderätin Sissi Fuchsenberger, der Kulturbeauftragte der Gemeinde, Joachim Kaske, die Kulturjournalistin Katja Sebald und der Musiker und Werbefachmann Jörn Kachelriess organisierten daraufhin ein dreiwöchiges Programm.

Doch auch wer das Event verpasst hat, kann sich über Graf und die zwiespältigen Beziehungen zu Berg kundig machen. In seiner Filmdoku für den Bayerischen Rundfunk "Ein Oskar für Bayern" hat Ammer Stars wie Gerhard Polt, Konstantin Wecker, Sepp Bierbichler, Luise Kinseher und Katerina Jacob zu Wort kommen lassen. Und mit Graf-Fans wie dem CSU-Politiker Peter Gauweiler oder dem Fußballer Thomas Hitzelsperger überrascht. Der Film wurde, wie auch das Hörspiel "The King is gone" über die Flucht von Ludwig III. vor der Revolution, in Berg aufgeführt.

"Ich hatte ja lange die Attitüde, nichts im Dorf zu machen", erzählt Ammer. Er sei froh gewesen, dass nur wenige Leute von seiner Fernseharbeit wussten. "Doch mit dem Kameramann auf dem Dorfplatz zu drehen, war dann doch schön. Und zu zeigen, was dieses Dorf für die Welt bedeutet." Dabei spielt auch Ammers besondere Kunst, lokale Ereignisse mit weltbekannten Songs zu unterlegen, eine interessante Rolle. Für eine Fahrt über die Landstraße nach Aufkirchen hat er "House of the Rising Sun" mit Animals-Sänger Eric Burdon gewählt. Seltsam? Nein. "Wir vergessen gern die Gleichzeitigkeit von Ereignissen. Als Graf 1967 in New York gestorben ist, war die Aufnahme schon drei Jahre alt, und die Animals könnten damit auf Tour gewesen sein." Beim Hörspiel, das auch als CD erschienen ist, singt Neil Young "He was the King" und die Temptations "It was the 9th day of November". Oft wisse er genau, welchen Song er nehmen wolle, aber hin und wieder suche er verzweifelt nach der richtigen Musik. Er halte zwar immer die Ohren offen, doch manchmal habe er keine Idee, was für "Druckfrisch" passe. Wenn er dann grantig sei und ungeduldig, hänge der Haussegen schief.

Neben den Graf-Festtagen ist Ammer besonders stolz auf das dokumentarische Hörspiel "Sie sprechen mit der Stasi", das er gemeinsam mit FM Einheit (von den Einstürzenden Neubauten) produziert hat. Es dauerte allein zwei Jahre, um an die Bänder des akustischen Stasi- Archivs zu gelangen. Und dann noch mal so lange, um die immense Menge an Abhör- und Verhörmitschnitten auszuwerten und zu montieren.

Oder das Hörbuch über David Foster Wallace, eine Lesung über 1400 Seiten, pro Seite ein Sprecher und unterlegt mit Musik der "Goldenen Maschine", einem Synthesizer, der autonom vor sich hinkomponiert. "Das war Hardcore", sagt Ammer. Sein ehrgeizigstes Projekt ist jedoch - wieder mit FM Einheit - "Die Symphonie der Sirenen" von Arsenij Avraamov, das wohl größte und lauteste Musikstück, das jemals geschaffen wurde. Statt Geigen sind Kriegsschiffe, Kanonen, Autos, Lokomotiven, Fabrik- und Alarmsirenen, mehrere Chöre und die Anfeuerungsrufe von Eishockeyfans für die Aufführung in der modernen Brünner Ausstellungshalle nötig. Brünn, wo Oskar Maria Graf seine glücklichste Zeit hatte.

Ein Wunschprojekt gibt es auch: Ammer würde gerne ein Buch über Austern schreiben. "Es sind faszinierende Lebewesen, über die wir wenig wissen, die ihr Geschlecht wechseln können."

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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