Tassilo:Das Sommermärchen von Tutzing

Die Brahmstage, die auf einen Aufenthalt des Komponisten in dem Fischerdorf zurückgehen, gehören seit zwei Jahrzehnten zu den bestbesetzten und kontrastreichsten Klassikfestivals weit und breit

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Ein Sommer mit beflügelnden Folgen: So könnte man den Besuch des Komponisten Johannes Brahms in Tutzing übertiteln. Am 14. Mai 1873 kam der längst erfolgreiche Tonsetzer an den Starnberger See, um sich für ein paar Monate von den landschaftlichen Stimmungen verzaubern und inspirieren zu lassen. Natürlich erfuhr die Musikwelt davon, und schon bald wurde musiziert, Treffen fanden statt, auch in München. Und selbstverständlich arbeitete Brahms am See weiter.

Tutzing Brahmstage 2019

Brahms trifft auf Jazz: Geiger Max Grosch (Mi.) mit seinen Mitstreitern bei einem Festivalkonzert.

(Foto: Georgine Treybal)

"Das ist eine große Sache", so denkt Christian Lange bis heute. Der Dirigent - einst Schüler des großen Wiener Maestros Hans Swarowsky - und Musikmanager hatte schon die Richard-Strauss-Tage in Garmisch mitbegründet und geleitet. An der Seite von Hermann Prey war er auch künstlerischer Leiter der Herbstlichen Musiktage in Bad Urach. Dann nahm er den 100. Todestag von Brahms zum Anlass, ein Festival in Tutzing zu initiieren - im alten Schloss, der heutigen Evangelischen Akademie, wo auch Brahms einst verkehrte. Mit St. Joseph steht auch fürs Kirchenmusikfach ein historischer Aufführungsort zur Verfügung. "Mit Freunden und Kollegen, die man so braucht vor Ort" habe man die Tutzinger Infrastruktur eruiert und erschlossen. "Mit guten Ideen ist es schnell getan", betont Lange. Nach vielen Gesprächen taten sich auch die nötigen Geldquellen auf, sodass 1997 die ersten Tutzinger Brahmstage an den Start gehen konnten. Die Gemeinde übernahm die Rolle des Veranstalters, was die Identifikation des Ortes mit dem kulturellen Erbe festigte.

Tassilo: Um das Programm der Brahmstage und seine Publizierung kümmert sich der künstlerische Leiter Christian Lange.

Um das Programm der Brahmstage und seine Publizierung kümmert sich der künstlerische Leiter Christian Lange.

(Foto: Arlet Ulfers)

Brahms und sein Aufenthalt im einstigen Fischerdorf seien ganz tief im Bewusstsein der Tutzinger verankert, bekräftigt auch Thomas Zagel, der zu den Gründungsmitgliedern des Freundeskreises der Brahmstage gehört. Schon bald übernahm er als zweiter Vorsitzender - neben Gisela Aigner - Verantwortung im Vorstand. Den Posten behielt er auch, nachdem Aigner den Vorsitz an Andreas Dessauer übergab. Die Frage der Hierarchien stelle sich ohnehin nicht, meint Zagel. "Wir waren schon immer ein hervorragendes Team", sagt der Musikerzieher am Gymnasium Tutzing. Er mache neben Lange inhaltliche Vorschläge, die dann gemeinsam im Team ausdiskutiert würden, bis eine Einigung über das Programm erzielt ist. Während der künstlerische Leiter Lange vor allem seine Kontakte zu namhaften Künstlern spielen lässt, macht Zagel das jeweilige Programm schmackhaft und kümmert sich darum, auch jüngeres Publikum anzuziehen. Er stelle seinen Schülern das Programm vor, erläutere die Hintergründe des jeweiligen Konzepts, spiele schon mal das ein oder andere Werk an, um die Jugendlichen zum Besuch des Festivals bei vergünstigtem Eintritt zu animieren.

Tassilo: Thomas Zagel macht das jeweilige Programm schmackhaft und kümmert sich darum, auch jüngeres Publikum anzuziehen.

Thomas Zagel macht das jeweilige Programm schmackhaft und kümmert sich darum, auch jüngeres Publikum anzuziehen.

(Foto: privat)

Zu Beginn des Festivals ist Brahms musikalisch mit nur einem weiteren Komponisten konfrontiert worden. Doch die Vielfalt der Beziehungen zwischen Brahms und anderen Meistern, Kompositionsschulen und -stilen, ja sogar Musikepochen und Orten, oder einfach nur zwischen Motiven und Themen der Werke gab Anlass, den Bogen weiter zu spannen und auch schon mal auf Kontraste zu setzen, etwa auf Brahms und Jazz. "Wenn man viel rumschnüffelt, findet man immer wieder was Neues", scherzt Lange. Mittlerweile fehlt kaum ein großer Komponist in der Chronik des Festivals. Die Tutzinger Brahmstage entwickelten sich schnell zu einer überregionalen Institution, auch über 2009 hinaus, nachdem die Gemeinde ihre Veranstalterrolle aufkündigte. Auf wechselnde externe Veranstalter setzen zu müssen, tat der Sache nicht gut. So beschloss der heute etwa 160 Mitglieder zählende Freundeskreis, sich auch dieser Aufgabe selbst zu stellen. "Ab dem Zeitpunkt lief es richtig gut", schwärmt Zagel.

Was die Interpreten betrifft, können die Tutzinger Brahmstage mit vielen großen Namen glänzen. Mit Hermann Prey, Dietrich Fischer-Dieskau, Jonas Kaufmann, Franz Hawlata, Juliane Banse, Michael Volle und Christian Gerhaher, die zum Teil sogar mehrmals in den Programmen zu finden sind, ist das Gesangsfach stets großartig repräsentiert gewesen. Mit Rezitals von Pianisten wie Herbert Schuch, Martin Stadtfeld oder Juan Pérez Floristán konnte aber auch Brahms' Domäne herausragend besetzt werden. Gleiches gilt für das kammermusikalische Fach: Das Mandelring Quartett spielte in Tutzing, das Henschel Quartett trat gleich sechs Mal auf, Quatuor Danel reiste an, außerdem kamen das Duo José Gallardo und Linus Roth, Lena Neudauer, Wen-Sinn Yang, Sophie Raynaud und unzählige andere großartige Musikern. Ein Highlight besonderer Art, vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten, war zweifelsohne die Lesung von Martin Walser. Er hatte eigene Texte zum Liederzyklus "Die schöne Magelone" verfasst und selbst vorgetragen. Gerhaher sang, begleitet vom Pianisten Gerold Huber.

Auch den Tutzinger Brahmstagen setzen die Corona-Maßnahmen zu. Die Festivalausgabe 2021 sei in Arbeit, doch da man erneut lediglich mit der halben Besucherzahl rechnen könne, bleibe nur die Hoffnung auf Kulanz der Musiker, so Lange. Seine Bekanntheit und seine Kontakte helfen hier einmal mehr. Das soll sich 2022 mit "einer riesen Kiste" aber ändern: Alle vier Sinfonien von Brahms und eine passende von Dvořák solle dann mit dem BR-Orchester unter der Leitung einer Dirigentin zur Aufführung gelangen.

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