Tassilo:Am Anfang war die Angst

Meike Harms wollte nie auf einer Bühne stehen. Inzwischen ist die Gilchingerin Bayerische Meisterin im Poetry Slam und bringt Schülern Schreiben bei

Von Patrizia Steipe, Gilching

Sie bezeichnet sich als Bühnenpoetin, als Sprach- und Poesiepädagogin. Wem das zu hochtrabend klingt, dem erklärt Meike Harms aus Gilching: "Ich trage Gedichte vor und stelle mich dazu auf eine Bühne. Meist ist Publikum anwesend. Dann ist es Poetry Slam." Wem auch das noch zu abstrakt ist, der erfährt: "Ich mach' so Zeug mit Sprache".

Meike Harms, Jahrgang 1982, hat in Augsburg Germanistik, Anglistik und Soziologie studiert. Seit einiger Zeit lebt die Mutter von vier und neun Jahre alten Töchtern in Gilching. Schreiben ist für sie "ein Ventil", "ein Glücksgefühl", "eine Offenbarung". "Ich glaube, dass Schreiben für alle ein Weg sein kann, mit der Krise fertig zu werden", sagt sie. Sprache sei aber auch ein "unfassbar tolles Mittel, um Beziehung aufzubauen". Ihre Texte sind mal politisch, mal besinnlich, mal frech, mal einfach nur Wortspielereien und manchmal auch herrlich albern. Eine Kostprobe steht unter dem Absender auf ihren E-Mails: "Erst, wenn das letzte Lyrikskript abgelehnt, der letzte Poet gebrochen und das letzte Zauberwort gesprochen ist, werdet ihr merken, dass man Kochbücher nicht essen kann. Nein, auch nicht die von Jamie Oliver", heißt es da.

Derzeit ist alles natürlich ein wenig anders. Die Poetin kann nur noch per Webcam aus dem Wohnzimmer senden und steht nicht mehr auf den Kleinkunstbühnen der Region. Beim Videointerview springt eine Katze ins Bild. "Katzen im Bild sollen die Spendenbereitschaft erhöhen", sagt Harms schlagfertig und lacht. Eine Karriere auf der Bühne und vor Publikum habe sie niemals angestrebt. Im Gegenteil: "Ich wollte nie im Leben vor Menschen stehen." Wegen des Lampenfiebers habe sie sich auch gegen ein Lehramtsstudium entschieden. Vor ihren ersten 20 Auftritten sei sie "tausend Tode gestorben", doch mittlerweile macht Harms das, was sie nicht wollte, sehr viel Spaß: Neben Bühnenauftritten ist sie mit Sprachprojekten an Schulen tätig. "Das war dann wohl meine Konfrontationstherapie", scherzt sie. 2014 ist sie Bayerische Meisterin in Poetry Slam geworden. Von ihr erfährt man das nicht. Meike Harms ist auch eine Meisterin im Understatement. Lieber erzählt sie, dass sie ihren ersten Preis bei einem Poetry Slam sicher dem Umstand verdankt, "dass ich die Einzige war, die beim Vortrag gestanden ist".

Derzeit versucht sie sich an digitalen Formaten. Sie wurde für einen Uni-Infotag gebucht, für eine Preisverleihung. Manchmal bekommt sie das Thema vorgegeben, ansonsten aber gilt: "Ich lasse mir nicht reinreden." Angesichts der derzeitigen Auftragslage könne sie sich diesen Luxus aber vielleicht nicht mehr so leisten, "Jetzt spielt Geld eine große Rolle".

Neben den Auftritten ist Meike Harms als Referentin in verschiedenen Projekten tätig. Da ist der Lehrauftrag "Spoken word poetry" an der Hochschule Düsseldorf. Den Studierenden erklärt sie, wie Texte in Vorträgen am effektvollsten in Sprache umgesetzt werden können. Sie ist im Vorstand des Vereins Sprachbewegung. Der anerkannte Träger der Jugendarbeit versucht in kulturpädagogischen Schulprojekten, benachteiligte Schüler für kreatives Schaffen zu begeistern. Dazu werden Tänze, Theater, Musikvideos oder Poetry Clips gedreht. "Wenn wir mit unserem Minitonstudio und der Kamera kommen, sind die Schüler begeistert", freut sich Harms. "Grausam" ist für sie der Schulunterricht. Den Lehrplan sieht sie als Korsett. Deswegen engagiert sie sich für eine Schule der Zukunft und versucht, den Lehrkräften in Fortbildungen mehr Mut für Experimente im Deutschunterricht zu machen. Zum Thema "Gewalt in der Sprache" lässt sie Schüler Liedertexte oder Hasskommentare im Internet untersuchen, in Schreibworkshops vermittelt sie den Spaß am freien Schreiben.

Derzeit arbeitet sie an einer Performance zum Gedenken an das Attentat vor fünf Jahren im Olympia-Einkaufs-Zentrum. Es soll den Schulen im Umkreis angeboten werden. In Gilching sind Auftritte beim Umwelttag und bei der Kulturwoche geplant.

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