Süddeutsche Zeitung

Tango:Zwischen Herz und Seele

Das internationale Quintett "Emocion" begeistert die Zuhörer in Gilching

Von Reinhard Palmer, Gilching

Tango ist der Inbegriff von Emotion, Leidenschaft und Temperament - aber nicht per se: Wie jede ausdrucksstarke Musik braucht es der Textübersetzung durch die Musiker. Ein universelles Rezept gibt es dafür nicht, doch das Quintett Emoción hat ein packendes für sich gefunden - und versteht es glänzend, die Zuhörer aus der Reserve zu locken. Das war schon vor zwei Jahren gelungen, als das Ensemble auf Einladung des Kunstforums erstmals in die Aula des Gilchinger Gymnasiums kam. Die Qualitäten des Ensembles haben sich wohl herumgesprochen, sodass sich diesmal die Reihen reichlicher füllten und am Ende fast der ganze Saal lang andauernd stehende Ovationen spendete. Eine solche Euphorie ist nur möglich, wenn die Erwartungen hoch sind und von den Musikern noch übertroffen werden.

Was den Interpretationen sicher gut tut, ist die unterschiedliche Herkunft der Musiker. Geigerin Soledad stammt aus Peru, Cellist Kiko aus Venezuela, Perkussionist Ferdinand ist in Deutschland beheimatet, und Komponist, Arrangeur, Trompeter, Pianist und Regal-Spieler Joris stammt aus Belgien. Zusammen fanden sie im Qatar Philharmonic Orchestra, eine gute Adresse, um Musikern aus der ganzen Welt zu begegnen, allerdings nicht der nächste Weg, um auf den Tangotrip zu kommen. Hinzu kam die libanesische, mit ihren weiblichen Reizen kokettierende Sängerin Sevine. Sie alle tun gut daran, ihre Herkunft in die Musik hineinzubringen, sei es durch eine entsprechende Repertoire-Auswahl von Piazzolla, Carlos Gardel, Peter Ludwig (Wasserburg), Maias Alyamani, oder auch Sting ("Roxanne"), Eigenkompositionen (vor allem von Joris Laenen, aber auch von Soledad und Sevine Abi Aad), oder eben durch improvisatorische Beigaben etwa mit orientalisierenden Zwischentönen oder aus der Folklore stammendem Schmiss.

Aber so genau will man es vielleicht gar nicht wissen, denn Emoción will eben aus dem Bauch heraus verstanden werden. Dass die Instrumentalisten ihr Handwerk glänzend beherrschen, bewiesen sie auf absolut adäquate Weise. Auch wenn schon mal im Part von Joris oder Soledad solistische Einlagen vorgesehen waren und beide spieltechnisch Superlative boten, geschah dies nicht etwa aufgesetzt. Es hatte in der Dramaturgie eine logische Platzierung, musikalisch die Aufgabe, eine vor Emotionen schier berstende Musik noch einmal im Ausdruck zu steigern und geradezu in einen Wahnsinnstaumel zu versetzen. Wie in "La Cumparsita" von Gerado Matos Rodriguez, mit einer Fuga als Intro und einem stimmigen Changieren zwischen Milonga, Flamenco sowie orientalischen Einflüssen. Es ist nicht leicht, alle Elemente zu identifizieren. Aber auch das muss man nicht unbedingt. Entscheidend ist, dass die Musik irgendwo zwischen Herz und Seele ankommt.

Das Ensemble Emoción versteht seine Auftritte auch als Show und bricht dabei spielend die andächtig erstarrte Haltung der Klassikzuhörer auf. Ein Zuhörerpaar wagte in der Zugabe gar, das Tanzbein zum "Criminal Tango" zu schwingen. Schade nur, dass die dem Programm hinterlegten Projektionen nicht auf brauchbare Flächen trafen. Man konnte zwar viel erkennen, von abstrakten Mustern und Wasserspiegelungen über Tänzer bis hin zu ausdrucksstarken Augen in riesiger Detailaufnahme, doch sie gingen weitgehend unter. Dafür finden die Veranstalter in der Gilchinger Schulaula nicht die Bedingungen. Zudem geschah in der Musik mit ihren Wendungen, Brüchen, Eruptionen, Rücknahmen und unzähligen weiteren Ausprägungen so viel, dass es ohnehin schwergefallen wäre, sich noch auf die multimediale Ebene einzulassen. Notwendig war sie offenbar nicht, sonst wäre die Begeisterung des Publikums gewiss weit bescheidener ausgefallen.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2019
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