SZ-Serie: Wir öffnen Türen:Die Pforte zum Allerheiligsten von Kloster Andechs

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Hinter einer Eisentür birgt die Kapelle jahrhundertealte Reliquien - etwa ein Stück der Dornenkrone Christi oder die Heiligen Drei Hostien.

Von Ute Pröttel, Andechs

Drei Schlösser versperren die schwere, schmiedeeiserne Tür. Drei Schlüssel sichern die Pforte. Die Kapelle dahinter birgt das Allerheiligste von Kloster Andechs - den jahrhundertealten Reliquienschatz, die angeblichen irdischen Überbleibsel Christi und anderer Heiliger. Zwei Mönche waren nötig, um die Tür zu öffnen, einer der drei Schlüssel wurde zudem am Hof der Wittelsbacher in München verwahrt. Das wäre dem Schatz beim großen Klosterbrand von 1669 beinahe zum Verhängnis geworden. Ein Blitz war in den Turm eingeschlagen und hatte Feuer ausgelöst - just an einem mächtigen Balken vor der Kapelle. Doch die Reliquien blieben verschont.

Pater Valentin Ziegler öffnet die Tür zum Schatz. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Heute ist das dritte Schloss, das vier lange Eisenriegel in den Türstock schiebt, stillgelegt. Die Tür lässt sich mit zwei Schlüsseln öffnen, die in einem gesicherten Kästchen neben dem Türstock an einer langen Gliederkette hängen. Pater Valentin Ziegler dreht sie gleichzeitig - und mit einem leisen Klick öffnet sich die Pforte. "Der Mechanismus funktioniert einwandfrei", schwärmt der ehemalige Cellerar und befestigt das schwere Türblatt an der Wand. "Er lässt sich aber nur von der Außenseite bedienen", mahnt er und grinst. Fällt die Tür ins Schloss, ist der Besucher in der Heiligen Kapelle eingeschlossen.

In der Heiligen Kapelle in Andechs werden Reliquien verwahrt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Kloster hat den Schatz der Legende zufolge einer Maus zu verdanken: Als auf dem Heiligen Berg noch eine Burg stand, haben die Grafen aus dem Geschlecht der Andechs-Meranier die Reliquien zusammengetragen - angefangen mit ihrem legendären Ahnherren Graf Rasso, der die ersten Stücke vor etwa 1000 Jahren als Pilger aus dem Heiligen Land mitgebracht haben soll. Doch nach dem Untergang des Geschlechts blieben sie mehr als hundert Jahre verschwunden - bis 1388 angeblich eine kleine Maus ein Stück Pergament unter dem Altar der damaligen Burgkapelle hervorzerrte. Der Zettel enthielt die Beschreibung einer der verschwundenen Reliquien.

Papst Gregor soll der Heiligen das Elisabethkreuz gegeben haben. (Foto: Thomas Schmid/oh)

Vergraben unter dem Altar fand sich der Legende nach eine eisenbeschlagene Truhe, darin die Heiligen Drei Hostien, das Siegeskreuz Karls des Großen und Zweige der Dornenkrone Christi. Ein Verzeichnis von 1715, das in der Heiligen Kapelle zu finden ist, zählt 277 Reliquien auf. Viele von ihnen waren kunstvoll in Gold und Silber gefasst. Und genau das besiegelte während der Säkularisation im 19. Jahrhundert ihr Schicksal. Die wertvollsten Stücke wurden eingeschmolzen, die darin befindlichen Reliquien gingen verloren. "Nur an die Heiligen Drei Hostien, da haben sie sich nicht rangetraut", erzählt Pater Valentin. Die prunkvolle Monstranz, in der sie verwahrt werden, bildet den Mittelpunkt des Rokokoaltars in der Heiligen Kapelle.

Der kleine Reliquientruhe stammt aus dem 15. Jahrhundert. (Foto: Pater G. Sitar)

Die Heiligen Drei Hostien kamen im 12. Jahrhundert aus Rom über den Bamberger Bischof Otto II. nach Andechs. Er soll sie seinem Bruder Berthold III. überlassen haben, als dieser sich in großer Not befand. Sie sollen zurückgehen auf die beiden Päpste Gregor den Großen und Leo IX. Die Hostien weisen blutfarbige Spuren auf, die die Wandlung des Brotes in der Eucharistie belegen sollen. Sie lösten von Anfang an einen Ansturm auf Andechs aus und bescherten der Anhöhe über dem Ammersee den Namen Heiliger Berg. Noch heute werden sie mit dem Dreihostienfest verehrt. Nach seiner Wiederentdeckung 1388 erhoben die Wittelsbacher Anspruch auf den Reliquienschatz. Sie brachten ihn zunächst nach München, wo er in vier Kirchen ausgestellt wurde und der Stadt an der Isar einen nie dagewesenen Strom an Pilgern bescherte. Vielleicht auch, um diesen umzuleiten, entschloss sich Herzog Albrecht III, in Andechs ein Kloster zu stiften. Bereits 1394 brachten sie die Heiligen Drei Hostien zurück. Um die vielen Pilger versorgen zu können, gehörte zum Kloster seit seiner Stiftung im Jahr 1455 eine Tafernwirtschaft. Das Wohl von Leib und Seele lag in Andechs schon immer sehr nah beieinander.

1472 wurde die auf halbem Wege zur Orgelempore gelegene Kapelle geweiht und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. 1672 stiftete das Kurfürstenpaar Ferdinand Maria und Henriette Adelaide ein kunstvoll geschmiedetes Gitter, das den prächtigen Schreinaltar an der Stirnseite der Kapelle von der Eingangstür trennt.

Heute ist weniger als ein Viertel des ursprünglichen Reliquienschatzes erhalten. In der Heiligen Kapelle wird auch "Elspetens Rock", das angebliche Brautkleid der Heiligen Elisabeth, einer Andechs-Meranierin, ausgestellt, und jedes der Schaugefäße, sei es nun ein Kreuzreliquiar oder eine Pyxis aus Bergkristall, die der Aufbewahrung der Hostien diente, ist ein kostbares Zeugnis vergangenen Kunsthandwerks. Zum Glück öffnet sich die Pforte zu diesem Schatz heute öfter als früher.

Die Heilige Kapelle ist nur im Rahmen von angemeldeten Führungen zugänglich.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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