Gilching ist beliebt. Sogar so sehr, dass die Gemeinde die höchste Zuzugsquote im Landkreis aufweist. Knapp 20 000 Menschen leben mittlerweile dort. Zu Zeiten der Römer werden es zwar nicht ganz so viele gewesen sein, aber wissenschaftlich belegt ist die dichte Besiedlung der Gegend rund um das heutige Altdorf schon. Wie beispielsweise in Erling auch, führt die alte Römerstraße noch mitten durch den Ort. Anders allerdings als in dem Andechser Ortsteil zeugt die Straßenbezeichnung "Römerstraße" noch heute vom ursprünglichen Verlauf der Trasse. Wer hier wohnt - meist in schmucken kleinen Häuschen, die wie an einer Perlenschnur aufgereiht wirken - darf sich also zu Recht rühmen, auf kulturhistorisch bedeutsamen Boden zu leben.
Die Augen von Annette Reindel und Manfred Gehrke beginnen jedenfalls zu leuchten, wenn sie über die Vergangenheit ihrer Gemeinde sprechen, die immerhin 4000 Jahre zurückreicht. Die Beiden sind die Vorsitzenden des Vereins Schichtwerk, der im Gilchinger Werson-Haus seit dem vergangenen Jahr ein kleines Museum betreibt. Den Namen Schichtwerk trägt es nicht zu Unrecht: Einerseits spielt er auf den mittlerweile gestorbenen Heimatforscher, Kommunalpolitiker und Ehrenbürger Rudi Schicht an; andererseits auf die vielen Erdschichten, die abgetragen werden mussten, um die Vergangenheit des Ortes zu erkunden. Und dann ist da ja auch noch die Römerstraße selbst, die im Mittelpunkt der Ausstellung im Werson-Haus steht und direkt hinter dem Gebäude verläuft. Benannt wurde das Haus übrigens nach dem Künstler Jules Werson, dem es als Zufluchtsort diente. Der Mann hatte sich nach der Ermordung Kurt Eisners 1919 und nach der in der Folge davon ausbrechenden Gewaltwelle in München mit seiner Mäzenin Marie Lindemann nach Gilching zurückgezogen.
In deren einstigen Wohnräumen steht heute ein Modell der Gilchinger Römerstraße - genauer gesagt eben der verschiedenen Schichten, die sich unter dem heutigen Asphalt verbergen. Denn wenn man es ganz genau nimmt, haben die Menschen im Laufe der Jahrhunderte der Straße immer nur eine neue Auflage verpasst, bis sie ihr jetziges Erscheinungsbild erreichte. Der Verlauf der Römerstraße ist in dieser Ecke des Landkreises nicht nur original, sondern auch noch ausgesprochen lang - sie kommt von Gauting quer durch den Wald nach Gilching, von dort weiter über Steinlach und Holzhausen nach Schöngeising, wo sie die Amper überquert. Sie gilt als Teilstück der Verbindung zwischen Salzburg und Augsburg, die seit 2003 den stolzen Namen "Via Julia" trägt - und ist offenbar in der für die Römer typischen Weise errichtet worden. Das heißt: Sie wurde immer etwa sechs bis zehn Meter breit gebaut und aus örtlichem Gestein aufgeschüttet, das meist gleich vor Ort links und rechts ausgegraben wurde.
Diese naheliegende Vorgehensweise erklärt auch die Gräben, die noch heute an vielen Stellen entlang der Straße zu sehen sind. Diese Gräben, die auch dazu führen, dass die Straße immer etwas abgerundet erscheint, diente auch dem schnellen Abfluss des Oberflächenwassers. Links und rechts der Straße wurden zur Befestigung Begrenzungssteine eingebracht. Der ganze Straßenkörper bestand aus mehreren Schichten, die bis zu einem Meter dick sein konnten. Als Unterbau verwendeten die antiken Straßenbauer meist gestampften Lehm. Darüber kam eine Schicht aus Kalkstein und Mörtel, die der Stabilisierung dienen sollte und "Statumen" genannt wird. Darüber wurden faustgroße Kiesel geschichtet und darauf kam dann noch eine Lage mit nussgroßen Kieseln. Den Abschluss bildeten ein Kopfsteinpflaster oder sauber gearbeitete Steinplatten - zumindest auf den wichtigeren Straßen, an Steigungen oder auf Abschnitten, die gegen die Einflüsse der Witterung gut geschützt werden sollten.
Schicht für Schicht lassen sich in dem Modell des Schichtwerks in Gilching kleine Kästchen öffnen, die erklären, wer wann welche Spuren hier hinterlassen hat. Denn bereits die Kelten hatten Teilstücke der Straße genutzt und sollen auch noch in der Gegend gelebt haben, als die Römer sie längst besetzten. Letztere haben in Gilching allerdings nicht nur die Straße hinterlassen. Nachgewiesen ist die Existenz von mindestens drei Villae rusticae auf dem Gemeindegebiet, also drei Landgüter, die an verkehrsgünstigen Stellen mitten im Ackerland errichtet wurden und häufig über eine Fußbodenheizung beheizt wurden. Betrieben wurden sie von Veteranen, die sie quasi als Alterssitz nutzten und meist noch Versorgungsaufgaben für die römische Armee übernahmen. Die Gilchinger Höfe lagen jeweils etwa vier bis fünf Kilometer voneinander entfernt. So wurde 1981 bei Bauarbeiten für eine Leitung am Germannsberg eine solche Villa Rustica entdeckt. Sie soll, so die Erkenntnisse von Archäologen, hauptsächlich im 2. Jahrhundert nach Christus bestanden haben. Ihre Ausmaße kann man getrost als üppig bezeichnen: Das Landhaus soll ein Fläche von 100 Meter mal 60 Meter umfasst haben. Zum Hof gehörten zudem ein etwa 35 Meter entfernt liegendes Nebengebäude und eine Zisterne. Gefunden wurden dort Bruchstücke von Amphoren, Grobkeramik sowie Terra Sigillata, eine Art nobles Tafelgeschirr dieser Zeit. Oberhalb des Friedhofs im Altdorf, auf dem Ölberg sowie beim Rinnerhof wurden die anderen beiden Villae rusticae entdeckt. Dort fand man eine hochwertige Öllampe in der Form eines Satyrkopfes, die als Replik auch in dem kleinen Museum in Gilching zu bewundern ist.
Eindeutig scheint zu sein, dass die Bewohner dieser Gutshöfe ausgiebig Landwirtschaft betrieben haben müssen - und dies keineswegs nur, um sich selbst damit zu versorgen. Vielmehr ging es darum, den Überschuss an die Bevölkerung und das Militär zu verkaufen. Angebaut wurden zur Römerzeit Getreide wie Hirse, Gerste, Dinkel und Emmer, aber auch Saubohnen, Erbsen und Linsen. Nachgewiesen sind zudem Mangold, Rettich, Portulak und Obst wie Süßkirschen, Pflaumen, Äpfel und Walnüsse. Sogar am Wein sollen sich die Römer damals in der Gegend versucht haben.