SZ-Serie: Kioske im Fünfseenland:Geliebtes Provisorium

Seit vier Jahren bedient Christine Gottschalk ihre Kunden in einem Container, der als Ersatz dient für den ausgebrannten Kiosk in den Dießener Seeanlagen. Nun lässt die Gemeinde einen Neubau errichten. Wer dann Pächter wird, ist noch offen.

Von Armin Greune, Dießen

Außer dem Marienmünster ist kein Gebäude in der Gemeinde Dießen in den vergangenen Jahren häufiger im Blickpunkt der Öffentlichkeit gewesen, als diese nur etwa 60 Quadratmeter große Bude. Über den Kiosk in den Seeanlagen wurde heftig gestritten, während vier Sommerhalbjahre lang gegenüber vom Dampfersteg ein Provisorium gestanden ist. Doch nun sind seine Tage gezählt: In der ersten Woche nach den Sommerferien wird Christine Gottschalk den Laden ausräumen und abbauen wie jeden Herbst. Doch diesmal wird die hölzerne Verkleidung endgültig entsorgt.

Ihr Markenzeichen aber, die Giebelverkleidung im Stil eines Postkartenmotivs der frühen Nachkriegszeit, wird sie gewiss aufbewahren: "Das hat Christian Wahl gemalt, einer der wenigen Dießener Maler, die damit Geld verdienen", sagt Gottschalk. Ob die Fassadengestaltung mit der Aufschrift "Westseite" auch am neuen Kiosk einen Platz findet, ist noch offen. Ebenso, ob Gottschalk den Kiosk überhaupt weiterführen wird, denn die Gemeinde wird die Verpachtung wieder öffentlich ausschreiben.

Als die gebürtige Dießenerin sich im Herbst 2012 zum ersten Mal für den Kiosk bewarb, waren noch acht andere Interessenten im Rennen. Gottschalk konnte den Finanzausschuss des Gemeinderats mit ihrem Konzept und ihrer Vita überzeugen: Sie hat eine ayurvedische Kochausbildung vorzuweisen, einen Catering-Service betrieben, im Uttinger Bioladen gearbeitet und vegetarische Gerichte zubereitet. Ihre Vorgängerin in den Seeanlagen, Rita Emmersberger, bot 25 Jahre lang Spielwaren, Süßigkeiten, Andechser Bier und Souvenirs an, wie die vier Tafeln über den vier Schaufenstern verkündeten. Wobei der Alkoholausschank generell verboten war. Nur als Andenken getarnte Geschenkgebinde der nahen Klosterbrauerei standen zum Verkauf.

Inzwischen kann man am Tresen, der aus dem Balken eines alten Stadels angefertigt ist, auch eine kühle Halbe Bier bestellen: Lammsbräu, Tegernseer und Andechser sind im Angebot, ebenso wie Prosecco, Aperitivs oder Gin Tonic. Mit verschiedenen Bio-Limonaden oder dem hausgemachten Ingwer-Drink der Dießenerin Ulla Wasner-Heß gibt es aber auch attraktive alkoholfreie Alternativen.

Am besten habe jedoch der Kaffee eingeschlagen, erzählt Gottschalk: "Als erstes habe ich 2013 eine edle italienische Espressomaschine angeschafft, vorher gab es am Kiosk nur Brühkaffee." Mit Caffé, Cappuccino und Latte macchiato gelang es, so manchen Dießener als morgendlichen Stammkunden zu gewinnen. An heißen Tagen wird zudem auf einer Tafel Affogato al Caffé mit einer Kugel Vanilleeis angepriesen. Und in einer Glasvitrine lockt verführerisch eine Schoko-Himbeer-Torte. Sie ist hausgemacht: Gottschalks 79-jährige Mutter Magda backt für den Kiosk täglich einen Kuchen. Nur dort sind auch die original englischen Bio-Cookies erhältlich, die aus Berlin angeliefert werden.

Von so manchem Ideal ihres ursprünglichen Konzeptes habe sie sich allerdings verabschieden müssen, räumt Gottschalk ein: "Die Konzentration auf den Biobereich habe ich schnell aufgegeben." Der Vorsatz, Gebäck und Konfekt aus der Uttinger Manufaktur zu verkaufen, hielt auch nicht lange. Ein Kioskbetrieb sei vorab schwer zu kalkulieren, "das habe ich über die Jahre gelernt. Ich bin immer am Wetterbericht schauen, danach bestelle ich oder fahre einkaufen." Die logistische Jonglage lasse sich mit Tiefkühlvorräten halt besser bewältigen. Aber die Wurstwaren für Sandwiches und Semmeln bezieht Gottschalk aus der örtlichen Metzgerei Rieß.

Im hinteren der beiden Kioskcontainer werden kleine Gerichte erwärmt, vor allem aber dient er als Lager. In diesem Sommer werden dort regelmäßig 40 Grad erreicht. Die Abwärme der Kühlschränke und drei Gefriertruhen tragen dazu bei; selbst bei geöffneter Tür mag man sich da nicht lang aufhalten. Nach vorne aber, zur Seepromenade hin, ist Gottschalks Reich kaum als Provisorium zu erkennen. Wer noch den Vorgängerbau aus sehr dunklem Holz in Erinnerung hat, empfindet den vorübergehenden Ersatz jetzt vielleicht sogar als einladender. Dennoch war der 4. Oktober 2014 für die Pächterin ein schwarzer Tag, als der Kiosk am ersten Wochenende nach Saisonende ausbrannte: Viele Waren, Kühlschränke, Ofen und Geschirrspüler waren danach unbrauchbar. Gottschalk war nicht versichert, zum Glück im Unglück überstand wenigstens die kostbare Kaffeemaschine das Feuer. Der Kiosk aber musste abgerissen werden. Darauf traf die Gemeinde mit ihr eine neue Abmachung: Wenn Gottschalk die Miete für die bis zum Neubau aufgestellten Container übernimmt, wird ihr die Pacht erlassen.

Ein Politikum

Vermutlich war eine glimmende Kippe die Ursache, dass der Kiosk der Gemeinde Dießen vor knapp vier Jahren so weit ausbrannte, dass er abgerissen werden musste. Die Debatte um den Nachfolgebau entwickelte sich zum Politikum: Der vom Gemeinderat einstimmig befürwortete Entwurf eines holzverschalten, dreigiebeligen Gebäudes im Stil einer Fischerhütte wurde im Frühjahr durch einen Bürgerentscheid zu Makulatur: 2324 Wähler stimmten gegen den Plan und für einen offenen Architektenwettbewerb. Dazu reichten dann nicht weniger als 163 Planer Modelle und Entwürfe ein. Unter den drei Siegern wählte der Gemeinderat vor einem Jahr den zweitplatzierten Beitrag aus, der ein entlang einer Diagonale flach nach innen geneigtes Dach und eine hinterlüftete Metallfassade aus perforierten Corten-Blechen vorsieht. Die Pläne des Büros von Torsten Kiefer sollen über diesen Winter hinweg Gestalt annehmen. Inzwischen sind die geschätzten Baukosten für die unbeheizte Massivholzkonstruktion auf mehr als 400 000 Euro geklettert. arm

Ursprünglich sollte das Provisorium nur zwei Jahre stehen, inzwischen wurde es mit Hilfe von zwei Zimmerern vier Mal auf- und abgebaut. Heuer räumt sie früher das Feld, denn bald wird mit dem Bau des neuen Kiosks begonnen. "Normalerweise starten wir mit dem ersten Dampfer und machen mit dem letzten zu". Montags bis sonntags, von zehn Uhr morgens bis acht Uhr abends, ist die 54-Jährige eingespannt, nur bei Regen bleibt der Laden geschlossen. "Diese Saison läuft's prächtig", freut sich Gottschalk. "Aber ich arbeite gerade durch, da könnte ich schon mal einen Regentag brauchen." Sechs Mitarbeiterinnen, "meine Mädels", stehen ihr zeitweise auf 450-Euro-Basis zur Seite. Als Allroundkräfte teilen sie sich mit der Chefin alle Aufgaben zwischen Küche und Tresen, jeden Freitag wird der Dienstplan für die kommende Woche aufgestellt.

Zweimal im Jahr geht es rund im Dießener Kiosk, und alle müssen mitanpacken: In zwei Schichten mit je drei Arbeitskräften gilt es, den Ansturm zum Töpfermarkt und beim großen Sommerflohmarkt zu bewältigen. Dann sind allein 150 Brezen und 100 Semmeln täglich gefragt, die frisch aufgebacken werden. Dazu der Ausschank und der Verkauf der typischen Kioskartikel: Tabakwaren und der Budenzauber für die Kinder, der von der zuckrigen Gummischlange für 20 Cent bis zum feudalen Magnum-Steckerleis reicht. Das Souvenirangebot früherer Tage aber ist mangels Nachfrage auf zwei Postkartenständer zusammengeschmolzen. Und fünf Strohhüte kann Gottschalk noch anbieten: "Die waren in diesem sonnigen Sommer sehr gefragt, die letzen gehen bestimmt auch noch weg."

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