SZ-Kulturpreis Tassilo:"Ohne Unterstützung haben die Geflüchteten keine Chance"

SZ-Kulturpreis Tassilo: Deutsch lernen, Formulare ausfüllen - oder auch einfach nur quatschen und Kuchen essen: Das Café Blabla in Herrsching ist für viele Anliegen eine Anlaufstelle. Immer mittendrin - und so auch hier: Silvana Prosperi.

Deutsch lernen, Formulare ausfüllen - oder auch einfach nur quatschen und Kuchen essen: Das Café Blabla in Herrsching ist für viele Anliegen eine Anlaufstelle. Immer mittendrin - und so auch hier: Silvana Prosperi.

(Foto: Nila Thiel)

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle gründete sich 2016 der Verein "Wir schaffen das", als Anlaufpunkt entstand in Herrsching das "Café Blabla", ein Treffpunkt mit internationalem Publikum.

Von Patrizia Steipe

Das Café Blabla ist zwar erst Jahrzehnte nach dem Tod des deutschen Dichterfürsten Friedrich Schiller gegründet worden, aber es scheint trotzdem, als ob Schiller für seine Aussage "Raum ist in der kleinsten Hütte" einst genau dieses Häuschen in der Herrschinger Bahnhofstraße 23 vor Augen gehabt haben könnte.

Es herrschen frühlingshafte Temperaturen an diesem Sonntag. Die Besucher des interkulturellen Treffpunkts, deren Macher für den vom "SZ-Adventskalender für gute Werke" geförderten Tassilo-Kultursozialpreis nominiert sind, stellen rasch ein paar Stühle auf den Vorplatz. Drinnen haben sich Grüppchen gebildet: Im hinteren Raum gibt es Deutschunterricht für eine Afghanin. Sie bereitet sich auf den Deutschtest vor, um eine Ausbildung als Erzieherin beginnen zu können. Im Mittelraum wird Kaffee und Tee gekocht. Eine Frau hat selbstgebackenen Kuchen mitgebracht, eine andere eine Dose mit Keksen.

An einem Tisch in der Ecke hat sich Sonja Waldvogel-Freund mit zwei Besuchern zurückgezogen, die beiden haben amtliche Schreiben dabei. Ein Widerspruch muss geschrieben werden. Die gelernte Juristin spielt "Feuerwehr", die Einspruchsfrist endet am nächsten Tag. Es dauert nicht lange und die beiden Männer ziehen mit erleichtertem Gesichtsausdruck und perfektem Schreiben davon. Auf einem Sofa hat es sich eine Familie mit zwei Kindern bequem gemacht, durch den Raum tönt das Lachen einer quirligen Kindergruppe, die ein Memoryspiel ausgebreitet hat. Die Kleinen stammen aus Eritrea, sprechen bereits Deutsch - und haben damit längst die Eltern überholt.

Claus Wecker, Vorsitzender des 2016 gegründeten Trägervereins "Wir schaffen das", kennt die meisten der Besucher und ihre Geschichten. Er freut sich mit ihnen, wenn sie es geschafft haben, das Containerdorf zu verlassen und eine eigene Wohnung zu beziehen. Oder, wie im Fall der Familie aus Eritrea, der Vater nach siebenjährigen Bemühungen endlich seine Frau und die vier Kinder zu sich holen kann. Wecker hört zu, fragt nach oder lächelt die Menschen einfach nur an. Genau so ein unkompliziertes Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen schwebte dem Juristen vor, als er mit anderen vor ein paar Jahren am Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung das "Café Blabla" gründete. Vorbild sei ein Café in Jerusalem gewesen, in dem sich Menschen verschiedener Religionen und Kulturen friedlich getroffen hatten. "Hier haben unsere Gäste eine Art Wohnzimmer gefunden", sagt Vereinsmitglied Silvana Prosperi. Zunächst war das "Café" in der sozialen Anlaufstelle "Herrschinger Insel" eingerichtet worden, später zog es ins Herrschinger Breitwand-Kino um. Als das Kino 2018 geschlossen wurde, zog das Café Blabla ins Vereinsheim des BRK. Seit gut drei Jahren nun hat der Verein das kleine Häuschen in der Bahnhofstraße angemietet, seit 2022 ist er Träger des vom Innenministerium geförderten Projekts "Lebenswirklichkeit in Bayern", bei dem Frauen und Kinder mit Migrationshintergrund niederschwellige Bildungsangebote bekommen.

SZ-Kulturpreis Tassilo: Kümmern sich in Herrsching um Flüchtlinge und Asylsuchende (v.li.): Thomas Prosperi, Johanna Neubauer-da Luz und Silvana Prosperi.

Kümmern sich in Herrsching um Flüchtlinge und Asylsuchende (v.li.): Thomas Prosperi, Johanna Neubauer-da Luz und Silvana Prosperi.

(Foto: Arlet Ulfers)

Das Publikum ist international: Manche stammen aus dem Irak, Iran, Indien, Eritrea, Ukraine - und natürlich aus Deutschland. Seit acht Jahren kommt die Irakerin Zainab AlSaad in das Café. Sie hat hier Deutsch gelernt und Freundschaften beim Frauentreff geschlossen, bei dem nicht nur über die unterschiedlichen Lebenswelten diskutiert wird, sondern auch Fahrrad fahren, einen Computer bedienen oder Schwimmen auf dem Programm stehen. "Das alles ist auch Kultur", versichert Prosperi. Wenn die Kinder Probleme mit den Hausaufgaben haben, fragen sie im Café. Genauso, wenn es Formulare zum Ausfüllen gibt. Oder sie schauen einfach nur so "zum Quatschen" vorbei, wie es Prosperi bezeichnet. Zum Dank wird dann schon einmal für alle gekocht.

Neben den Deutschkursen für Erwachsene malen die Künstlerinnen Ela Bauer und Johanna Neubauer-da Luz an jedem ersten Sonntag im Monat zusammen mit Kindern, über den Beamer können Filme angeschaut werden. Neu im Programm ist der "Werkraum": Hier können Frauen am Nachmittag handarbeiten und basteln. Natürlich wird auch gefeiert oder musiziert. Hauptthemen aber bleiben Deutschlernen sowie Wohnungs- und Arbeitsuche. "Ohne Unterstützung haben die Geflüchteten keine Chance", weiß Prosperi. Regelmäßig kommen die Helfer deswegen zu potenziellen Arbeitgebern oder Wohnungsvermietern mit und erklären die "Dos and Don'ts". Für diese Aufgaben werden weitere ehrenamtliche Helferinnen und Helfer gesucht.

Das Café Blabla ist mittwochs von 17 bis 19 Uhr geöffnet, freitags von 9 bis 13 Uhr, sonntags von 15 bis 17 Uhr. Der Mal- und Bastelworkshop für Kindern ist am ersten Sonntag im Monat von 14 bis 16 Uhr.

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