SZ-Adventskalender:Von einer Depression aus der Bahn geworfen

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Peter Kämmler aus Gauting stand mitten im Leben, als er erkrankte. Er hat sich schon oft wieder aufgerappelt, nun steht er wieder vor einem Neuanfang

Von Carolin Fries, Gauting

Wenn die Krankheit ihm zu schaffen macht, fällt es Peter Kämmler schwer, den Wäschekorb in den Waschsalon zu tragen. (Foto: Arlet Ulfers)

Einmal versucht Peter Kämmler im Gespräch festzumachen, wann "das Schlamassel", wie er es nennt, eigentlich losging: Das war vor 16 Jahren. Da lebte der damals 30 Jahre alte Kommunikationselektriker in Festanstellung mit seiner Ehefrau in Stockdorf, das zweite Kind war noch nicht lange auf der Welt. Der Bub entwickelte eine starke Neurodermitis. Die Wohnung war feucht, "Schimmel überall". Die Familie zog mehrfach um, der Sohn vertrug zunächst nur teure Spezialnahrung. Es folgte ein weiteres Kind. Schulden häuften sich an, und die Ehe scheiterte.

Vielleicht begann das Schlamassel aber auch schon viel früher mit der Diagnose Multiple Sklerose. Da war Kämmler 20 Jahre alt, ein sportlicher junger Mann. Vital wirkt er noch immer, doch die Krankheit hat ihm zugesetzt: Kein Tag ohne Schmerzen. Mehrmals wechselte er die Medikamente, mitunter unter starken Nebenwirkungen. Vor zwei Jahren - da lebte er wieder in einer Beziehung - lösten die Medikamente eine starke Depression aus. Als er traurig und leer einen Suizid in Erwägung zieht, wird es ihm selbst unheimlich. Ein Arzt erkennt die Notwendigkeit einer psychiatrischen Behandlung, doch kein Therapeut hat einen freien Termin. Auch im Krankenhaus gibt es kaum Therapie, dafür umso mehr Medikamente. Nach vier Wochen unternimmt er einen Suizidversuch - und überlebt. Die Psychopharmaka werden nach einer Notoperation umgestellt, endlich erhält er auch Therapie.

Doch als er zurück nach Hause will, hat seine Lebensgefährtin ihn vor die Tür gesetzt. Sie ist nicht die einzige aus dem Familien- und Freundeskreis, die mit der Depression nicht umgehen kann. Doch jetzt funktioniert gar nichts mehr: Privatinsolvenz und keine Wohnung. Kämmler findet Unterschlupf bei Freunden, irgendwann auch eine Wohnung. Dann macht sein Arbeitgeber einen Abrechnungsfehler. Keine große Sache, hätte man drüber gesprochen. Doch die Nachzahlung wird gepfändet, Kämmler kann den Unterhalt für die Kinder nicht zahlen, hinzu kommen Inkassogebühren. Als gut verdienender Angestellter steht er plötzlich bei der Tafel. "Es ist, als fiele man durch alle Raster", sagt er.

Kämmler fiel schon oft in seinem Leben, doch er stand immer wieder auf. Im Sommer hat er eine Wohnung in Gauting bezogen, viele Möbel wurden hergeschenkt. Er erledigt alles zu Fuß, manchmal helfen Freunde. Der Familienvater versucht, sich viel zu bewegen. Einmal im Jahr spaziert er um den Starnberger See; etwa 13 Stunden braucht er. Es gibt auch Tage, da kommt er kaum aus dem Bett. Und dennoch geht es aufwärts: Die Insolvenz ist überstanden. Weil er keinem geregelten Beruf mehr nachgehen kann, hat ihn der Arbeitgeber freigestellt. Kämmler will nun, gesundheitsbedingt in Rente gehen, auch wenn die finanziellen Einschränkungen damit nicht aufhören werden.

Für eine Waschmaschine aber fehlt das Geld. Und wenn die Krankheit ihm zu schaffen macht, tut er sich schwer, den Wäschekorb in den Waschsalon zu tragen. Obendrein hat er keinen Gefrierschrank, weshalb er günstige Lebensmittel nicht bevorraten kann, etwa eine Tiefkühlpizza für die Kinder. Sie sind Halt und sein ganzer Stolz. Und das Buch, das er über sein eigenes Leben geschrieben hat. "Die beste Therapie", wie er sagt.

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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