SZ-Adventskalender:Kinderarmut am Starnberger See

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Auch Kinder im scheinbar reichen Landkreis Starnberg müssen mit einem kargen Pausenbrot in der Schule Vorlieb nehmen. (Foto: Imago)

Für Familien wird es wegen der hohen Wohnungsmieten im Landkreis immer schwieriger, über die Runden zu kommen. Die Leidtragenden sind die Kinder.

Von Carolin Fries, Starnberg

Kinder zwischen ein und 15 Jahren sind im Landkreis Starnberg am meisten von Armut betroffen. Man mag es nicht glauben, wenn man sich in dieser reichen Region umschaut, doch die Zahlen des Sozialamts lügen nicht: Von 10000 Menschen in dieser Altersgruppe haben im vergangenen Jahr 393 Sozialleistungen bezogen.

"Hier haben wir die größte Armutsdichte", sagt Friedrich Büttner, Leiter des Sozialamts. Bei den Senioren über 65 Jahre etwa galten von 10 000 Landkreisbürgern 2018 nur 180 als arm. In der Regel trifft es bildungsferne Familien, so Büttner. Der Landkreis investiere deshalb jährlich mehr als 200 0000 Euro in Leistungen für Bildung und gesellschaftliche Teilhabe - doch die Zahlen steigen kontinuierlich. "Ich gehe nicht davon aus, dass der Wert fallen wird", sagt Büttner, "die Kinderarmut bleibt".

Aktuell unterstützt das Sozialamt 398 Mädchen und 390 Buben unter 15 Jahren mit dem sogenannten Sozialgeld. Es deckt die größte Not von Familien bei der Versorgung ihrer Kinder ab. Doch Existenzängste und finanzielle Sorgen treiben weitaus mehr Familien im Landkreis Starnberg um. "Es wird immer schwieriger für Familien", sagt Jugendamtsleiter Holger Engelke.

Zu kämpfen hätten längst nicht nur Migrationsfamilien, auch vermeintlich stabile familiäre Strukturen würden immer anfälliger. Laut Engelke spielt dabei der Fachkräftemangel in der Kinderbetreuung eine große Rolle. Denn Familien, die bei den hohen Mieten keine bezahlbare Kita fänden, seien aufgeschmissen. Ein immer bedeutenderes Armutsrisiko würden außerdem Trennung und Scheidung, "das trifft nicht nur Geringverdiener", wie Engelke betont. Martina Rusch, pädagogische Geschäftsführerin des Kreisverbandes des Kinderschutzbundes in Starnberg, bestätigt das. Sie kennt sogar Eltern, die - obwohl getrennt - allein aus finanziellen Gründen weiter zusammenleben oder wieder zusammenziehen. "Einfach weil beide am Limit sind."

Immer mehr Familien suchen Hilfe. Die Fallzahl in der Kinder-, Jugend- und Familienberatungsstelle des Jugendamtes ist im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen, sodass insgesamt 1028 Fälle bearbeitet wurden. "Leichter sind die Fälle nicht geworden, wir haben eher den gegenteiligen Eindruck", formuliert deren Leiter Andreas Kopp im Jahresbericht. Die Trennungs- und Scheidungsberatung ist dabei mit 31,3 Prozent der häufigste Anmeldegrund gewesen. Im Anschluss daran folgen Beziehungsprobleme in der Familie und Auffälligkeiten im emotionalen Bereich und Sozialverhalten der Kinder.

Martina Rusch vom Kinderschutzbund setzt ihr Augenmerk vor allem auf Familien, denen es augenscheinlich gut geht, die sich aber nicht einmal die Bratwurst beim Martinsfest im Kindergarten für die fünfköpfige Familie leisten können, geschweige denn einen Ersatz für den kaputten Kühlschrank. "Diese Familien rauschen durch unser soziales System", sagt Rusch. In diesem Jahr hat der Kinderschutzbund alleine zehn Familien mit sogenannten Schuleinstiegspaketen unterstützt, "das sind bei mehreren Kindern auf einen Schlag so hohe Kosten, dass es den Familien finanziell das Genick bricht". Insgesamt hilft der Kinderschutzbund im Laufe eines Jahres etwa 40 Familien, Tendenz steigend.

Auch Kinder im scheinbar reichen Landkreis Starnberg müssen mit einem kargen Pausenbrot in der Schule Vorlieb nehmen. (Foto: Imago)

Das Hauptproblem sind für Rusch die hohen Wohnungsmieten. "Am Limit leben viel mehr Familien als wir vermuten", sagt sie. Und dort treffe es eben immer auch die Kinder, wenn es eng wird.

Gestrichen wird zuerst der Ausflug ins Schwimmbad oder das Kindertheater. Für die Anschaffung eines Computers, der für die Schule früher oder später notwendig wird, kann nichts beiseite gelegt werden. Nach der UN-Kinderrechtskonvention vor 30 Jahren sollten alle Kinder das gleiche Recht auf Bildung, Freizeit und Spiel haben - in der Realität sieht es anders aus. Der SZ-Adventskalender will helfen, die Chancen von benachteiligten Kindern zu verbessern und stellt in der nächsten Woche bedürftige Familien aus dem Landkreis vor.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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