Wellenreiten:Trotz Handicap zur Surfweltmeisterschaft

Wellenreiten: Wellenreiten kommt für eine junge Frau mit infantiler Cerebralparese im Grund überhaupt nicht infrage, aber sie macht es trotzdem: Eva Lischka aus Starnberg mit ihrem Brett auf Hawaii.

Wellenreiten kommt für eine junge Frau mit infantiler Cerebralparese im Grund überhaupt nicht infrage, aber sie macht es trotzdem: Eva Lischka aus Starnberg mit ihrem Brett auf Hawaii.

(Foto: Goofy Foot Surf School)

Eva Lischka leidet an einer Bewegungsstörung, aber das hält sie nicht davon ab, sich aufs Brett zu wagen. Wenn genug Spendengelder zusammenkommen, will die Starnbergerin im März in Kalifornien auf Titeljagd gehen.

Von Charlotte Alt

Und plötzlich steht sie auf ihrem Brett und surft. "Das war der 8. Juni 2011. Das feiere ich auch heute noch wie meinen Geburtstag", sagt Eva Lischka. Für die Starnbergerin ist das nämlich alles andere als selbstverständlich: Lischka leidet an infantiler Cerebralparese in den Beinen, die angeborene Bewegungsstörung führt zu Balance- und Koordinationsschwierigkeiten. Der Ritt auf den Wellen ist für die junge Frau eine Herausforderung, eigentlich geht es nur auf den Knien. Die 30-Jährige surft schon seit zehn Jahren, jetzt sogar für das deutsche Adaptive Surfing Nationalteam. Mit ihrem Teamkollegen Johannes Laing, der mit einer Querschnittlähmung im Liegen surft, nimmt Lischka im März bei der Surfweltmeisterschaft für Menschen mit Behinderung in La Jolla, San Diego (Kalifornien) teil. Die erheblichen Kosten für Reise und Anmeldung versuchen die Sportler durch eine Spendenaktion zusammenzubekommen.

Surfen kommt für Lischka eigentlich nicht infrage. Bei infantiler Cerebralparese funktioniert die nervliche Verschaltung zwischen Hirn und Muskel nicht. Alltägliche Dinge - wie eine Treppe ohne Geländer heruntergehen, auf einem Bein stehen oder einen Koffer auf die Gepäckablage hieven - sind für Lischka schwierig.

Aufhalten lässt sie sich davon aber nicht, das wird im Gespräch mit der Surferin schnell klar. Sie wohnt im ersten Stock in einem Haus ohne Aufzug, fährt Auto, kann schwimmen und geht alleine auf Reisen. "Man kann das Handicap aus dem Alltag verbannen, indem man sich andere Wege sucht, Dinge zu tun", sagt Lischka, und zum Beispiel ein Auto mit Automatik kauft. Mit dem Wort Behinderung kann sie wenig anfangen. "Ich bin ja nicht behindert in irgendetwas. Ich kann alles machen, nur die Art und Weise, wie ich es mache, ist eben schwierig."

Zum Surfen kam Eva Lischka durch eine Klassenfahrt nach Spanien mit der Montessorischule Biberkor aus Berg. 2008 war die gebürtige Würzburgerin mit ihren Eltern nach Starnberg gezogen, in Tutzing machte sie ihr Abitur. Die Klassenfahrt habe sie nur "leicht widerwillig" mitgemacht. Sie hatte nicht vor zu surfen, das sei keine gute Idee, dachte sie sich. Der Surflehrer fragte sie aber dann, ob sie es nicht doch probieren wolle? "Ich wollte natürlich auch wissen, wie das ist", erinnert sich Lischka. Das Surfen habe dann gut funktioniert, "weil ich mich im Wasser super bewegen kann, da ist die Schwerkraft ein bisschen anders". Angefangen hat sie im Liegen, dann auf allen Vieren, und seit kurzem surft sie auf den Knien. Ein einziges Mal stand sie bisher, am 8. Juni 2011. Aber ums Aufstehen, das betont Lischka, gehe es ihr gar nicht. "Surfen ist für mich eine wahnsinnig große Freiheit, wenn man auf dem Wasser ist, kann man viel mehr machen als auf dem Asphalt." Und ob man das stehend oder liegend mache, sei nebensächlich.

Seit der Klassenfahrt 2009 surft die Sportlerin im Sommer in Spanien und im Winter in Marokko. Inzwischen war sie auch schon in Portugal, Australien und Hawaii auf den Wellen unterwegs. Die Motivation verliere sie dabei nie. Aufgeben, wenn es mal schwierig ist, kommt ihr offenbar gar nicht erst in den Sinn. "Dann sind die Wellen eben mal nicht so gut, dafür ist dann ein Regenbogen am Himmel."

Surfen ist für Lischka nicht nur "aktive Meditation", sondern auch ein gutes Training. Die eigentliche Erkrankung verändert sich nicht mehr, doch die Symptome können durch Kraftaufbau abgemildert werden. "Da ist das Surfen natürlich das Beste, was man machen kann. Mehr Koordination und Balance kann man fast nicht trainieren." Auf dem Starnberger See auf Wellen zu reiten, funktioniere natürlich nicht, wirkliche Wellen gibt es hier eher selten. Also muss das Surfen in der Physiotherapie imitiert werden, mit Wackelbrettern kann man zum Beispiel Körperspannung und Balance üben. "Da muss man schon erfinderisch sein."

Bis jetzt habe es sich als Vorbereitung aber bewährt. Bei der ersten Europameisterschaft im Adaptive Surfing im Sommer 2019 gewann Eva Lischka eine Silbermedaille. Und das bei ihrem ersten internationalen Wettbewerb. Dass sie vergangenes Jahr zum deutschen Nationalteam kam, war Zufall. Über Facebook hörte sie von der Europameisterschaft und fragte beim Deutschen Wellenreiterverband, ob sie noch mitmachen könne. Nur drei Wochen später stand sie in Portugal am Strand. Aufgeregt sei sie schon gewesen, "aber ich habe mir dann gedacht, es macht jetzt keinen Sinn, sich da Sorgen zu machen". Am Ende ist auch alles gut gelaufen. "Es war ein Gefühl von purem Glück und eine wahnsinnige Welt, in die man eintauchen durfte."

Für die Weltmeisterschaft im März haben sich Lischka und Laing schon qualifiziert. Und bei ihrer Spendenaktion auf Go-Fund-Me ist inzwischen auch genug Geld zusammengekommen, um Flüge, Unterkunft, Startgebühren und ein spezielles Mietauto zu bezahlen, in das auch Laings Rollstuhl passt. Über eine Medaille bei der Weltmeisterschaft würde sie sich natürlich freuen, "aber ich sehe das auf keinen Fall als einziges Ziel, das wäre so, wie das Surfen auf das Aufstehen zu reduzieren. Da ist viel mehr dabei."

Jetzt in der Öffentlichkeit zu stehen, sieht die Sportlerin als Chance. "Es geht ja nicht nur ums Surfen oder das Handicap, sondern auch darum, ein besseres Bewusstsein zu schaffen." Auch sie habe Diskriminierung ertragen müssen, sei aber versöhnlich geblieben und habe sich gar nicht weiter mit dem Thema aufhalten wollen. "Es ist schon so, dass viele Leute einem skeptisch gegenüberstehen, aber das ist dann auch mein innerer Ansporn zu sagen: Dir zeig ich's." Sie fände es wichtig, den Dialog über Handicaps vertieft zu führen. "Immer dann, wenn man nichts sagt und Raum für Spekulationen lässt, wird dieser Raum auch ausgefüllt", da sei es besser, offen über die Dinge zu reden.

Mit ihren Lebenserfahrungen möchte Lischka anderen helfen: Sie hat sich im Mai 2019 mit einer Coaching-Praxis selbständig gemacht und bietet unter anderem Hilfe im Umgang mit Konfliktsituationen an. "Ich habe mir immer schon gedacht, ich möchte das, was ich erlebt habe, die schönen und auch die nicht so schönen Sachen, mit anderen Menschen teilen." Die Leidenschaft fürs Surfen prägt auch ihre Coaching-Philosophie: "You can't stop the waves, but you can learn to surf them." Also: Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen, auf ihnen zu reiten.

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