Artenschutz:Die Storchen-Eltern von Dießen

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Franz Sanktjohanser und Renate Alton haben auf eigene Kosten einen Horst in luftiger Höhe gebaut. Dort residiert jetzt ein Vogelpaar mit drei Jungen. Auch wenn das Geklapper laut ist - die Nachbarn freuen sich mit.

Von Sabine Bader, Dießen

Die erste, die die Besucherin interessiert beäugt, ist die Storchendame in ihrem Horst. Ihr Gatte ist unterwegs, um das Futter zu beschaffen, welches die drei Storchenküken vertilgen. Die Störchin versucht unterdessen, den Nachwuchs von jeglichem Blödsinn abzuhalten. Sollte sich auch mal ein Feind wie der Rotmilan dem Horst nähern, wird laut geklappert. Das Geräusch ist auch für alle Anwohner der Umgebung gut vernehmlich, denn das Nest steht mitten in einem dicht bebauten Wohngebiet von Dießen, der Fischerei.

Franz Sanktjohanser hat die zwölf Meter hohe Nisthilfe gebaut. Es war ihm und seiner Lebensgefährtin Renate Alton ein Herzensanliegen, die Tiere hier heimisch zu machen, zumal diese unter chronischer Wohnungsnot leiden. In diesem Jahr hat es dann geklappt. Sanktjohanser, 67, und Alton, 66, leben seit 45 Jahren zusammen, haben zwei gemeinsame Kinder und zwei Enkel.

Tierliebe wird im Hause Sanktjohanser groß geschrieben. Es gibt Yuma, die zweieinhalbjährige Husky-Hündin und Karli, einen gut genährten Kater, der es sich gerne auf dem Schoss der Besucher bequem macht. Karli ist den beiden zugelaufen. "Bei uns finden alle eine Bleibe", sagt Sanktjohanser. Streifengänse haben sie schon großgezogen und Wildenten. Einen Bussard aufgepäppelt und einen Schwan. In einem Winter hatten sie sogar einen kleinen Haubentaucher in ihrer Badewanne. So sehr ihnen die Tiere auch ans Herz wachsen, sind sie groß genug, werden sie ausgewildert.

Den Störchen - hier beim Nestbau - gilt täglich ihr Interesse. (Foto: Franz Sanktjohanser)

Doch um sie alle geht es jetzt nicht, sondern um die Herrschaften, die in zwölf Metern Höhe im Garten auf einem Eisenmast residieren: die Störche mit ihrem Nachwuchs. Sanktjohanser und Alton sind quasi die Storcheneltern von Dießen. "Wir sind begeistert von den Vögeln und könnten ihnen dauernd zuschauen", sagt Alton. Vom Balkon ihres Hauses haben sie die Vögel direkt im Blick. Sie sehen, wenn die Storcheneltern Mäuse, Eidechsen, Frösche, Regenwürmer und Grashüpfer anliefern. Kaulquappen sind übrigens die Leibspeise der Kleinen.

Sie sind am 7. Mai geschlüpft. Davor haben ihre Eltern die drei Eier 32 Tage lang wechselweise bebrütet. Wobei gesagt werden kann, dass die Storchendame diese Aufgabe zu Dreiviertel übernommen hatte. Der Arbeitstag der Storcheneltern beginnt bereits um 5.30 Uhr, in der Morgendämmerung. Da fliegt der Vater aus und beginnt in der Umgebung von Dießen mit der Nahrungssuche, wobei er die eingesammelten Leckerbissen in seinen Kehlsack verfrachtet. Die erwachsenen Störche sind übrigens nicht beringt, was es erschwert, deren Alter genau zu bestimmen. Sanktjohanser schätzt, dass die Tiere drei bis vier Jahre alt sind. Die Jungen will er Anfang Juli von einem Experten des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) beringen lassen. Dafür wird die Feuerwehr mit Leiter und Korb von Nöten sein. Die Jungen sollen dann auch einen Namen bekommen. Ihre Eltern haben keinen.

Beachtlich ist auch die Prozedur, die Sanktjohanser durchlaufen musste, um den Mast überhaupt in seinem Garten aufstellen zu dürfen. Dafür brauchte er nämlich einen Statikplan und eine Baugenehmigung. "Wenn ein Bauwerk höher als zehn Meter wird, ist das halt so", sagt der 67-Jährige, der lange selbst Gemeinderat in Dießen war. Den Bauantrag hat er in der Gemeinde genehmigen lassen. Und auch das Landratsamt Landsberg stimmte zu. Der Grund, warum der Eisenpfahl mindestens zwölf Meter und damit gut zwei Meter höher als die Dachfirste der umgebenden Häuser, werden musste, hat mit den Tieren selbst zu tun. Denn Störche fliegen zum Landen von unten an. Beim Start lassen sie sich ein Stück fallen um ihre Schwingen zu öffnen. Ein ausgewachsener Storch hat eine Spannbreite von gut zwei Metern. Er wiegt vier bis viereinhalb Kilogramm, die Weibchen sind ein Kilo leichter. Störche werden im Durchschnitt zwischen acht und fünfzehn Jahre alt. Laut Sanktjohanser soll auch schon ein Exemplar mit 35 Jahren aktenkundig sein.

Doch um die Geschichte mit der Nisthilfe im Detail zu erzählen: 2012 hatten die Beiden schon einmal einen Horst im Garten gebaut - auf einem gekürzten Stamm eines Nadelbaumes und darauf den ausgedienten Drehkranz einer Raistinger Satellitenantenne befestigt. In den kommenden fünf Jahren wurde der Nistplatz mehrfach von Störchen aufgesucht. Ein Paar schickte sich auch an zu brüten. Was irgend jemandem aus der Gegend nicht behagt haben mag. Denn er vergrämte die Tiere eines Nachts mit einem sehr hellen Strahler. "Es war ein gleißendes Licht", erinnert sich Sanktjohanser. Wer das war, ließ sich nicht feststellen. "Störche zu vergrämen, ist eine Straftat", sagt Sanktjohanser, denn die Tiere sind streng geschützt. "Das kann sogar mit Gefängnis bestraft werden." Der Baumstamm musste schließlich gefällt werden, weil er morsch war.

Heute ist niemand in der Umgebung mehr gegen die Störche. Im Gegenteil. Vor dem Anwesen herrscht zuweilen reger Betrieb. Oft bleiben Spaziergänger und Nachbarn stehen und beäugen die Vögel. Am Zaun seines Stadels hat Sanktjohanser auch eine Chronologie der Ereignisse und etliche Fotos befestigt. Zuweilen läuten auch Nachbarskinder, um vom Balkon aus die Störche aus der Nähe zu sehen. Der Storchennachwuchs äugt dagegen nur selten mal herunter. Farblich sieht man die Jungen ohnehin schlecht. Denn ihr grauer Flaum unterscheidet sich kaum von den kleinen Zweigen des Nests.

Der eigentliche Bau der Nisthilfe im März dieses Jahres ging schnell. Den Eisenpfahl hatte Sanktjohanser bei einem örtlichen Landmaschinenbetrieb in Auftrag gegeben. Sanktjohanser ist selbst Fuhrunternehmer, konnte also vieles selbst erledigen. Er hat auch ein zwei auf zwei Meter großes und 1,5 Meter tiefes Loch für das Fundament ausgehoben. Dieses mit einem Baustahlkorb ausgekleidet, den Masten mitsamt Nisthilfe nach allen Seiten gesichert eingesetzt und ihn dann mit fünf Kubikmetern Beton fixiert. Am 5. März um 15 Uhr fuhr der Betonmischer ab, und schon um 17.30 Uhr landete das Storchenpaar. Das Schauspiel konnte beginnen.

Eine Nachbarin hatte einen Spendenaufruf gestartet. Denn sie fand auch das finanzielle Engagement des Paares für die Tiere enorm. Schließlich lagen allein die Material- und Planungskosten bei fast 5000 Euro. 1600 Euro sind bei der Aktion zusammengekommen. Sanktjohnser und Alton zeigten sich ihrerseits erkenntlich und luden alle Spender kürzlich zum Storchenfest, schenkten Storchenbier und Storchenquell einer Brauerei aus Mindelheim aus, die den Vogel zu ihrem Namensgeber gemacht hat. 50 Leute kamen. Es wurde bis in die Nacht geratscht und gefeiert. Und das Schöne: "Auch Nachbarn, die sich vorher kaum kannten, haben sich jetzt über die Störche kennengelernt", freuen sich die Storcheneltern von Dießen.

© SZ vom 01.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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