Süddeutsche Zeitung

Schöner bauen:Barrierefreies kleines Raumwunder

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Ulrike Mayer-Tancic und Helmut Mayer erfüllen sich in Stockdorf einen Traum: In Eigenregie entsteht Bayerns erstes Hanichlhaus, in dem quasi jeder Quadratmeter genutzt wird.

Von Tim Pohl, Gauting

Am Boden liegt Sägemehl, dort, wo in Zukunft eine Treppe in den Keller führen soll, klafft ein mit Holzplatten provisorisch verdecktes Loch, die Fensterfassade zum Balkon ist mit einer grauen Plane abgedeckt: Es fällt einem nicht leicht, sich vorzustellen, wie das Haus am Mitterweg im Gautinger Ortsteil Stockdorf mal aussehen wird, wenn der Bauprozess abgeschlossen ist. Lediglich die Außenfassade mit ihren hellen Holzpfählen zeugt bereits von der Einzigartigkeit des Gebäudes, das hier gerade entsteht. Mittendrin: Ulrike Mayer-Tancic und Helmut Mayer, die beiden Bauleiter.

Das Ehepaar erfüllt sich mit seinem Bauprojekt den Traum vom Eigenheim. Für den gelernten Architekten Mayer war es schon lange klar, dass er sein Haus eigenhändig plant und baut. "Er hat einmal zu mir gesagt: Am liebsten würde er ein Haus auf ein unbebaubares Grundstück bauen", erzählt Mayer-Tancic. Lange blieb die Suche nach einem geeigneten Areal erfolglos, bis sich endlich eine Chance im Mitterweg eröffnete: Das ungewöhnlich lange und schmale Grundstück bot den Häuslebauern genau die richtige Herausforderung.

67 Quadratmeter soll die Wohnfläche für das Ehepaar im Erdgeschoss einmal umfassen. Das reicht genau für ein Wohnzimmer, eine offene Küche, Bad und ein abgetrenntes Schlafzimmer. Im Keller stehen nochmal 50 Quadratmeter Wohnfläche bereit, die von der Tochter verwendet werden sollen. Besonders groß wird das Haus also nicht, stattdessen soll es ein Raumwunder werden. "Jeder Quadratmeter soll genutzt werden", erläutert Mayer. Dafür wurde monatelang getüftelt: "Ich habe mir viele Dokumentationen über Tiny-Häuser angeschaut, um Inspiration zu sammeln", erklärt Mayer-Tancic. Der Eingang führt direkt ins Wohnzimmer, ein Flur würde zu viel Platz verschwenden. Die Fenster im großen Wohnzimmer werden außen angebaut, damit Sitzfläche entsteht, die eine Bank am Esstisch ersetzt. Und einen kleinen Traum erfüllen sich die beiden auch noch: In der hinteren Ecke wird eine winzige Sauna entstehen.

"Wir verkleinern uns freiwillig, auch wenn wir uns von Dingen trennen werden müssen", sagt Mayer. Aktuell lebt das Ehepaar noch auf knapp 100 Quadratmeter in einer Mietwohnung im dritten Stock in Krailling. Gleichwohl bietet die Reduzierung des zur Verfügung stehenden Wohnraums für die künftigen Bewohner des Hauses einige Vorteile: Durch die Barrierefreiheit sei man auf die Eventualitäten des Alters vorbereitet. Gleichzeitig könne man den Wohnraum der größeren Wohnung einer Familie überlassen, die im hart umkämpften Wohnungsmarkt im Großraum München womöglich leer ausgehen würde.

Doch nicht nur die ausgeklügelte Planung macht das Projekt einzigartig, auch die Baustoffe sind eher ungewöhnlich: Für die Außenfassade wurden sogenannte Hanichl verwendet - Jungfichten, die ursprünglich gefällt wurden, um den Wald lichter zu gestalten. Die Stämme mit einem Durchmesser zwischen acht und vierzehn Zentimeter wurden in früheren Zeiten bevorzugt für Zäune verwendet. Mayer hat sie wegen ihrer Langlebigkeit ausgewählt: "Ich rechne damit, dass die Fassade über 50 Jahre halten wird", sagt er, "und das ohne Chemikalien". Den nötigen Wetterschutz bilden die Stämme über die Zeit selbst - das werde sich auch in der Farbe widerspiegeln, die sich langfristig in einen gräulich-silbernen Ton verwandeln wird. Das Holz kommt aus dem familieneigenen Wald bei Regensburg: Gemeinsam mit seinem Bruder hat Mayer die Stämme eigenhändig gefällt und nach Stockdorf gebracht.

Seit Juli wird nun schon auf der Baustelle gewerkelt. Die Fertigstellung des Hauses ist für Mai 2024 geplant. Für Mayer ist die Baustelle nichts neues - seine Frau hingegen wusste als Laie nicht wirklich, was sie erwartet: "Nach jedem Schritt habe ich mich gefreut, dass er fertig war. Danach kam mein Mann aber direkt mit neuen Aufgaben. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich nicht weiß, was als Nächstes kommt", lacht sie. So habe sie oft mit Gerätschaften arbeiten müssen, die sie zuvor noch nie gesehen hat. An den Wochenenden bekommen die Bauherren aber Unterstützung: Die beiden Töchter sind ebenfalls vom Projekt überzeugt und packen fleißig mit an. Und dennoch könnte das Haus am Ende teurer werden als geplant, das Budget der angestrebten 400 000 Euro wird voraussichtlich überschritten.

Für das Ehepaar lohnt sich die Anstrengung dennoch. Denn sie wollen eine Botschaft verbreiten, die beweisen soll, dass man im Alter auch mit weniger Wohnraum zurechtkommen kann. Viele ältere Menschen wohnen auf riesigen Grundstücken, die sie kaum bewältigen könnten. "Ein Lösung könnte es sein, so ein kleines Haus wie unseres in den Garten zu stellen und das große Haus einer Familie zu überlassen", sagt Mayer. Er und seine Partnerin sehen sich daher als Vorreiter und sind offen für Gespräche mit Passanten, die staunend an der Baustelle vorüber gehen. Bisher hätten sie viele positive Reaktionen erhalten. Durchaus möglich, dass die Reaktionen noch positiver ausfallen, wenn das Platzwunder auch von innen sichtbar wird.

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