Süddeutsche Zeitung

Brand am Baierplatz:So geht es den Bewohnern des gesperrten Brandhauses von Stockdorf

Seit Tagen müssen sie in Pensionen oder bei ihren Eltern aus dem Koffer leben. Wann sie nach Hause zurückkehren können, ist ungewiss.

Von Michael Berzl

Die vierte Nacht auf dem Sofa bei Verwandten, in einer Pension, in einem Hotel haben sie nun hinter sich. Seit dem verheerenden Brand in einem Fahrradladen in Stockdorf im Parterre eines Mehrfamilienhauses in der Nacht zum Samstag sind die Bewohner ausquartiert. "Man schafft das alles", sagt Edith Widmann. "Hauptsache, dass niemandem etwas passiert ist." Aber nun würde sie gerne wieder nach Hause zurückkehren, zurück in die Normalität.

Wie der 63-Jährigen, die mit ihrem pflegebedürftigen Ehemann und einem Pudel das Haus verlassen musste, geht es auch der Familie von Reza Atib, der zwei kleine Kinder im Alter von einem und zwei Jahren hat, Tarek Eid, der bei seinen Eltern in Martinsried untergekommen ist, und der 60-jährigen Karin Kellermann mit ihren Katzen. Auch viele Kinder sind betroffen. Insgesamt 19 Menschen sollen in dem fünfstöckigen Haus am Baierplatz wohnen. Am Dienstag stehen einige von ihnen zusammen vor dem Eingang. Sie dürfen auch hinein; ob sie auch dort übernachten dürfen, sollte sich aber erst im Lauf des Tages herausstellen. Das hängt von dem Ergebnis einer Begehung mit Fachleuten ab.

Die erste Nacht nach dem Brand hatte Edith Widmann bei ihrem Bruder auf einer Couch zugebracht. "Aber auf der Couch kann ich nicht richtig schlafen." Nun wohnt sie im Stay Residence auf dem Uni-Campus in Martinsried, zusammen mit ihrem 79-jährigen Mann, dem ältesten Bewohner des Hauses in Stockdorf, der sich in der ungewohnten Umgebung schlecht zurechtfindet. Dabei hatten sie am Samstag schon gedacht, es wäre überstanden, sie könnten zurück. Das Ehepaar wollte sich erholen von der aufregenden Brandnacht und hatte sich für ein Schläfchen hingelegt. Doch die Ruhe war nur von kurzer Dauer. "Wir mussten alle wieder raus. Innerhalb einer Stunde alles packen und ab ins Hotel." Mittlerweile hatte sich nämlich herausgestellt, dass das Feuer auch die Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen hatte. Seitdem gibt es kein Licht und keine Heizung. Auch Kühlschränke funktionieren für Tage nicht, so dass etliche Lebensmittel auf dem Müll landen.

"Ich bin mit einem blauen Auge davongekommen", sagt Michael Behringer, der Wirt des Lokals "Wirzhaus", das direkt an den ausgebrannten Fahrradladen angrenzt. Wegen Urlaubs war sein Restaurant ohnehin bis zum Feiertag Heilige Drei Könige geschlossen. Nun öffnet der 52-jährige Gastronom mit viertägiger Verspätung am Freitag wieder. Betroffen ist auch ein kleiner Gemüseladen, der ebenfalls geschlossen ist, weil auch dort der Strom abgeschaltet ist. Er müsse nun abwarten, was der Gutachter sagt, erklärt Orkun Dönmez, der sich vertretungsweise um das Geschäft seiner Eltern kümmert, die gerade im Urlaub sind.

Eine Lieferung für die Stockdorfer "Radhaus"-Filiale landet am Dienstag auf dem Gehsteig. Die Pakete mit Fahrradmänteln, Schläuchen und anderen Zubehörteilen verlädt ein Mitarbeiter in einen Transporter und bringt sie ins Haupthaus nach Starnberg.

Währenddessen organisiert Reza Atib, einer der ausquartierten Hausbewohner, eine Art Krisenmanagement. Beim Ortstermin am Dienstag hat er einen ganzen Packen Schlüssel dabei, der 42-jährige hält seine Nachbarn auf dem laufenden, wie es in den nächsten Tagen weitergeht. Mit seiner Familie wohnt er derzeit im Bavaria-Motel in Freiham und hat dort auch andere Familien mit Kindern untergebracht. Atib hatte schon in der Brandnacht nach einer 900 Kilometer weiten Rückreise vom Urlaub in Norddeutschland tatkräftig mitgeholfen, hat die Feuerwehr gerufen, nachdem der Alarm in einem Brandmelder ausgelöst worden war, hat Nachbarn, die sich zum Teil schon zum Schlafen hingelegt haben, aus ihren Wohnungen geholt.

Das musste alles sehr schnell gehen, denn es bestand die Gefahr, dass möglicherweise giftiger Qualm aus dem brennenden Laden auch in die Etagen darüber dringt. "Meine Freundin hatte nicht einmal Socken an, als wir raus mussten", erzählt Tarek Eid schmunzelnd. Zwangsweise sind sie nun vorübergehend getrennt. Seine Lebensgefährtin ist bei ihren Eltern in Germering untergekommen, er ist bei seinen Eltern in München in der Nähe vom Ostbahnhof und muss nun jeden Tag zur Arbeit nach Martinsried. "Der Weg ist halt jetzt ziemlich weit, und aus dem Koffer zu leben, ist auf Dauer auch nicht gerade toll", sagt er.

Andere Sorgen hat Karin Kellermann, die schon seit 19 Jahren in dem Haus am Baierplatz wohnt. Nun ist sie nach einer Nacht bei ihrer Mutter in einer kleinen Frühstückspension in Planegg untergebracht. Aber ihre beiden Katzen kann sie dorthin nicht mitnehmen. Die Pension habe ihre Tochter organisiert. "Das ist in Ordnung dort, sehr in Ordnung", sagt sie.

Übernachtungskosten, aufgebrochene Wohnungstüren oder auch ein beim Einsatz verschmutzter Teppich: Einige Kosten kommen in Folge des Feuers zusammen. Die Betroffenen hoffen nun, dass sie ihre Ausgaben von der Versicherung erstattet bekommen.

In der schwierigen Situation hat Edith Widmann ihren Humor bewahrt. Vor dem Ortstermin bei dem geräumten Mehrfamilienhaus am Dienstag war sie mit ihrem Mann in einem Lokal gleich gegenüber und hat ausnahmsweise Geld in einen Spielautomaten eingeworfen, was sie sonst nie tue. "Auf einmal klingelt es, und ich hab' 70 Euro gewonnen", erzählt die 63-Jährige lachend. "Glück im Unglück."

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SZ vom 08.01.2020
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