"Hemd ausziehen? Ach ja komm, das mache ich mal schnell!" Ein kurzes, strahlendes Lächeln in Richtung Kamera, schon sitzt Stefan Hartmann oberkörperfrei auf dem Stuhl. Der Chef des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK) hat am 13. September in seine St. Vitus Apotheke in Gilching eingeladen, um bei einem "politischen Gespräch" eine Verbandsforderung zu präsentieren: Apotheken sollen ihre Kundinnen und Kunden zukünftig bundesweit gegen Covid-19, Influenza und weitere Erkrankungen impfen dürfen. Um zu zeigen, wie einwandfrei zukünftig in seiner Apotheke geimpft werden könnte, lässt sich der Inhaber eben auch mal selber impfen. Diese Show gilt vor allem seinem heutigen Gast und Gesprächspartner: Bernhard Seidenath, CSU-Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit und Pflege im bayerischen Landtag.
Für den Verband ist die Ausweitung des Impfangebotes ein logischer Schritt: Laut Hartmann zeigten sich im vorigen Jahr, als Apotheken gegen Covid-19 impften, Vorteile für beide Seiten. Lokale Arztpraxen seien entlastet worden, die Impflücke geringer. Für die Apotheken hätte es im Gegenzug finanzielle Unterstützung gegeben, die sehr zur wirtschaftlichen Absicherung in den Krisenzeiten beigetragen habe. "Warum sollte man diese Vorteile nicht auch dauerhaft nutzen?", argumentiert Hartmann. Aus seiner Sicht müssten hierfür lediglich kleine gesetzliche Anpassungen vorgenommen werden.
Um deutlich zu machen, dass nach wie vor Bedarf für weitere Impfstellen neben Arztpraxen besteht, verweist die Deutsche Apothekerzeitung auf Statistiken, die Impflücken bei Grippeschutzimpfungen, FSME und Pneumokokken-Impfungen aufzeigen. 53,9 Millionen Menschen seien nicht entsprechend der Stiko-Empfehlungen geimpft.
Um diese Lücken zu füllen, braucht es laut Hartmann Apotheken. "Wir haben die Ausstattung, wir haben Möglichkeiten." Mit "Möglichkeiten" meint er vor allem die Zugänglichkeit von Apotheken: Sie seien leichter erreichbar, es gebe weniger Wartezeit als in Arztpraxen und flexible Öffnungszeiten: Die St. Vitus Apotheke könnte sogar Angebote am Samstag oder Sonntag bereitstellen.
Das Bundesgesundheitsministerium erkennt ebenfalls die Vorteile, die Impfungen in Apotheken bieten können: "Um Impflücken zu schließen, ist sowohl umfassende Aufklärung notwendig als auch ein niedrigschwelliges Impfangebot", so ein Sprecher des Ministeriums. Dieses könnten Apotheken bieten: "Durch Impfungen in Apotheken können Arztpraxen insbesondere in der Erkältungsperiode entlastet werden. Der niedrigschwellige Zugang kann die Inanspruchnahme der Impfungen befördern." Zudem würden Apotheken in der Bevölkerung hohes Vertrauen genießen. Diesen Punkt führt Hartmann in seiner Argumentation ebenfalls an: Apotheken könnten durch langjährige Kundenbindungen Impfskepsis reduzieren und zur Aufklärung beitragen.
In der St Vitus Apotheke in Gilching diskutiert der Apotheker Stefan Hartmann (li.) mit dem CSU-Abgeordneten Bernhard Seidenath.
(Foto: Arlet Ulfers)Das bayerische Gesundheitsministerium blickt jedoch kritischer auf die Verbandsforderungen. Um Impfungen in Apotheken vornehmen zu können, benötige es zum Einen geeignete Räumlichkeiten und geschultes Personal. Dazu kämen Hygienemaßnahmen und Qualitätsmanagementsysteme der Apotheken. "Auch von Seiten der Apothekerschaft wird ein großer Personalmangel beklagt." Gerade zu Infektzeiten entstehe eine erhöhte Belastung der Beschäftigten. Insofern sollten sich Apothekerinnen und Apotheker laut Ministerium primär ihrer Aufgabe widmen, die Bevölkerung mit Arzneimitteln und Medikamenten zu versorgen. "Dieser Auftrag darf durch andere Tätigkeiten in der Apotheke nicht beeinträchtigt werden", hieß es.
Diese Bedenken teilt auch der Abgeordnete Seidenath, während Hartmann stolz seinen potenziellen Impfraum präsentiert. Es gäbe selbst von Apothekenseite aus Kritik an den Forderungen des Verbandes: Nur 30 Prozent Apothekerinnen und Apothekern seien dafür, da es zu großen Aufwand bedeute.
"Wir wollen die Ärzteschaft begleiten", sagt Hartmann
Doch dem Verbandschef geht es nach eigener Aussage nicht darum, Apotheken zum Impfen zu zwingen. Er wolle erreichen, dass "die Apotheken, die die Kapazitäten zum Impfen haben, die Möglichkeit bekommen, dies zu tun." Man wolle "den Ärzten auf keinen Fall etwas wegnehmen. Wir wollen die Ärzteschaft begleiten. Es geht uns lediglich um Ergänzung". Dabei hebt er hervor, dass zumindest auf lokaler Ebene Ärztinnen und Ärzte die Verbandsforderungen positiv sehen.
Das bayerische Staatsministeriums für Gesundheit räumt ein, dass eine Ausweitung der Impfkompetenz von Apotheken von Nutzen sein kann, wenn die aktuelle Lage - wie zum Beispiel bei der Corona-Pandemie - eine Unterstützung der Ärzteschaft erforderlich macht. Dennoch sei man der Auffassung: "Impfen ist vor allem Aufgabe der Ärzteschaft."
Auch wenn es unklar ist, ob die Forderungen des Verbandes erfüllt werden: Zumindest Stefan Hartmann erhält heute eine Impfung in seiner Apotheke. Während Hartmann das Hemd vor den Augen des Publikums wieder zuknöpft, kommt dann die Frage auf: Welchen Impfstoff hat er denn überhaupt verabreicht bekommen? Seine Frau lächelt verlegen. "Er hat morgen einen wichtigen Termin, deshalb gibt es hier ausnahmsweise keine richtige Impfung." Er bekam lediglich eine Kochsalzlösung.