Starnberger See:Tödliche Gefahr für Taucher

Mystische Lichtverhältnisse und kuriose Fundstücke machen die Faszination der Allmannshauser Steilwand im Starnberger See aus. Doch immer wieder sterben dort Menschen.

Von Benedikt Warmbrunn

Auf einer Tiefe von 13 Metern steht eine Parkbank, von hier aus lässt sich die Aussicht genießen. Auf einer Tiefe von 24 Metern steht eine kleine Statue, sie bedeutet weiter nichts. Sie steht da eben. Vier Meter tiefer steht ein altes Telefon, darauf hat jemand geschrieben: "Dekotelefon". Das Telefon bedeutet viel. Wer nun weitertaucht, weiß, dass er aufpassen muss, bei jedem Meter, den er zurücklegt. Egal, ob nach oben oder nach unten.

Die 15 Tiefenmeter zwischen der Parkbank und dem Telefon sind die ersten 15 Meter der Allmannshauser Wand im Starnberger See, knapp 80 Meter geht diese steil nach unten. Die Steilwand ist eines der beliebtesten Ziele deutscher Taucher, diese reizt das Mystische der Wand, das Spiel von Licht und Dunkelheit, das scheinbar Grenzenlose.

Dreimal war Markus Wagner in diesem Jahr an der Steilwand tauchen, er taucht dort regelmäßig, als Chef der Allmannshauser Station der Tauchakademie Bayern. Am Sonntag wollte er dort ein viertes Mal nach unten gleiten. Als er vormittags am Ufer ankam, waren dort jedoch rot-weiße Warnbänder aufgespannt, Hubschrauber suchten den See ab. Die Allmannshauser Steilwand mit ihrem Mystischen und scheinbar Grenzenlosen war am Sonntag zu einer Wand der Gefahren geworden.

Um 8.10 Uhr hatten Spaziergänger Hilfeschreie gehört, sie zogen zwei Männer aus dem Wasser. Hilfskräfte versuchten, diese zu reanimieren, einer der Taucher starb. Ein dritter Taucher wurde vermisst. Als er nachmittags geborgen wurde, war auch er tot. Das dritte Mitglied der Gruppe überlebte: Der Mann wurde in der Murnauer Unfallklinik in einer Druckkammer behandelt.

Markus Wagner hat das alles im Radio und in der Zeitung verfolgt. Dort hat er mitbekommen, dass einer der Männer in einer Tiefe von 56 Metern Probleme hatte, dass den dreien, die durch eine Leine verbunden waren, nur noch ein Notaufstieg blieb, ein schnelles und daher gefährliches Manöver.

"Das schockiert einen schon"

Aus den Medien hat Wagner auch erfahren, dass die drei Männer ausgebildete Rettungstaucher waren. "Das schockiert einen schon, dass so etwas auch erfahrenen Tauchern passieren kann", sagt Wagner.

So etwas: Seit 1994 werden die Todesfälle an der Allmannshauser Wand gezählt, seit Sonntag sind es 17. Jährlich kommen knapp 4000 Taucher in das Gebiet, an manchen Wochenend-Tagen gleiten bis zu 80 von ihnen die Wand entlang. "Wer hier tauchen will, muss gute Tauchkenntnisse haben", sagt Wagner; wer keinen Tauchschein hat, darf zum Beispiel nicht ohne Lehrer ins Wasser. "Außergewöhnlich gefährlich ist die Steilwand aber eigentlich nicht."

Im Winter ist das Tauchen verboten - aber nur aus Naturschutzgründen. Im Herbst kann das Risiko für die Sportler steigen. Wenn es tagelang regnet, werden die Wärmeunterschiede im Wasser größer, die Strömung kann zunehmen und unter Umständen auch Taucher von der Wand wegspülen. Wenn es wärmer ist, kommt es häufig aus anderen Gründen zu Unfällen. Schlechte Ausrüstung ist oft ein solcher, manchmal auch Leichtsinn oder Selbstüberschätzung.

Wenn der Tiefenrausch unterschätzt wird

Ab einer Tiefe von etwa 30 Metern, sagt Wagner, "muss man in der Lage sein, vernünftig zu schweben". Jede Tiefenänderung muss ausgeglichen werden, an der Jacke wird Luft rein- oder rausgelassen. Ein geübter Taucher sinkt so gleichmäßig, er verweilt erst an dem Punkt, den er sich als Ziel gesetzt hat. Derart gleichmäßig müssen die Taucher auch aufsteigen, gelegentlich verweilen sie, das ist abhängig von der Tiefe und von der Zeit, die sie bereits im Wasser sind. Wer an der Allmannshauser Steilwand das Dekotelefon erreicht hat, muss auf jeden Fall mindestens einmal anhalten auf dem Weg nach oben.

Häufig kommt es zu Unfällen, wenn der sogenannte Tiefenrausch unterschätzt wird. Mit diesem ist ab einer Tiefe von 30 Metern zu rechnen, erste Anzeichen sind ein Tunnelblick, eine allgemeine Trägheit. Der Taucher wird abwesend, panisch, manchmal euphorisch. Oft reagiert er langsamer, er taumelt. So bleibt er womöglich zu lange unter Wasser, so dass er schneller als geplant aufsteigen muss und die Pausen nicht einhalten kann. Wenn sich der Druck zu schnell verändert, können sich Gasblasen im Körper bilden, diese unterbrechen mitunter die Blutversorgung.

Wer mit den üblichen Pressluftflaschen taucht, darf daher nicht tiefer als 40 Meter sinken. An der Allmannshauser Wand steht dort zur Sicherheit ein Stoppschild. In die Pressluftflaschen wird normale Luft mit einem Sauerstoffgehalt von 21 Prozent gepresst; mit einer 15-Liter-Flasche können Taucher bis zu einer Stunde lang unter Wasser bleiben. Unter 40 Metern Tiefe sind nur spezielle Gasmischungen erlaubt, mit einem Sauerstoffgehalt von 18 Prozent, aufgefüllt mit Helium und Stickstoff. Diese Mischungen sind teuer, die Heliumfüllung kostet pro Flasche knapp 100 Euro. Meistens nutzen sie nur Tiefseetaucher, die sehr weit nach unten wollen.

Ein derartiger Ehrgeiz sei an der Allmannshauser Wand allerdings nicht nötig, sagt der Tauchlehrer Wagner. Die Szenerie sei bereits oberhalb des Telefons faszinierend: Wenn das Dunkel der Wand gebrochen wird durch die einfallenden Sonnenstrahlen. Wenn Felsvorsprünge und Terrassen erleuchtet werden. Wenn sich an der Wand Aalrutten entlangschlängeln oder Hechte, im Sommer auch Barsche.

"Einfach nur die Schwerelosigkeit"

An der Steilwand von Allmannshausen ist das Wasser zudem vergleichsweise klar, es ist nicht so trüb und grünlich wie in anderen Seen. Das liegt an den Felsen der Wand, an Felsen ist das Wasser immer vergleichsweise klar. Es liegt auch an den Algen, die dort weit zurückgebildet sind, da nur wenig Licht einfällt. Und es liegt daran, dass das Wasser so kalt ist, dass die Oberfläche abgekühlt wird und Schwebstoffe in die Tiefe sinken.

An das Taucherlebnis im Starnberger See, sagt Wagner, kommt allenfalls das Taucherlebnis im Walchensee heran. Und an der Steilwand ist es besonders schön, denn anders als in der Mitte des Sees ist es "nicht so langweilig", wie Wagner sagt. "In der Mitte des Sees spürt man einfach nur die Schwerelosigkeit." Ohne das Spiel von Licht und Dunkel, ohne die Felsvorsprünge, ohne die Aalrutten.

Dieser Ort wird weiter Taucher anziehen, auch nach den jüngsten Todesfällen. Natürlich, sagt Wagner, am Sonntag habe er lange über die Gefahren der Wand nachgedacht. Darüber, wie behutsam auch er sein muss, er, der erfahrene Tauchlehrer. "Aber die beste Medizin ist es, schnell wieder zu tauchen", sagt er. Vor zehn Tagen ist das Winter-Tauchverbot ausgelaufen. An Ostern will Markus Wagner zum vierten Mal in diesem Jahr an der Allmannshauser Steilwand nach unten gleiten.

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