Süddeutsche Zeitung

Gesperrte Stege am Starnberger See:Lebensgefühl vor Gericht

Eine Starnbergerin will die Öffnung der Stege erzwingen. Ihr Anwalt hat einen Eilantrag eingereicht und nennt die Sperrung "grob schikanös". Landrat Stefan Frey erklärt, wann er sich die Freigabe vorstellen kann.

Von Carolin Fries

"Sie schwimmt und kneippt jeden Tag im Starnberger See, das ist Bestandteil ihrs täglichen Lebens": Viel mehr mag Rechtsanwalt Hans-Peter Tauche nicht verraten über seine Mandantin, für die er vor dem Münchner Verwaltungsgericht um eine Öffnung der Stege an den Seen kämpft. "Sie ist sehr scheu." Per Eilantrag will die Starnbergerin erreichen, dass die Absperrungen insbesondere am Undosa und am Steininger Grundstück in der Kreisstadt entfernt werden. Seit Ende Februar ist der Zutritt auf Anordnung des Landratsamtes verboten. Zu hoch bewertet die Kreisbehörde dort das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus.

Rechtsanwalt Tauche nennt die Anordnung "grob schikanös". Es gehe schließlich um weit mehr, als einen Bauzaun, der den Weg zum See versperrt. Der Starnberger Anwalt spricht von einem "essenziellen Lebensgefühl", das seine Mandatin mit dem See verbinde und womit diese stellvertretend für viele Menschen im Fünfseenland stehe. Er übermittelt folgendes Zitat: "Für mich ist die tägliche Erfrischung im See, das kurze Verweilen auf dem Steg, der Blick über das Wasser ein Moment des Innehaltens, bevor ich mich in meinen anstrengenden Beruf begebe." In der Sperrung sähe sie ihre Freiheitsrechte eingeschränkt.

Ausschlaggebend für die Sperrung war ein schönes Wochenende im Februar, an dem sich die Ausflügler auf den Stegen gedrängt haben sollen. Während die Anrainer-Landkreise Wolfratshausen und Weilheim nachzogen, blieben die Ammersee-Stege im Landkreis Landsberg offen. "Willkür" nennt Tauche deshalb das Vorgehen des Landkreises. Die Maßnahme würde obendrein nicht an das sich stetig verändernde Infektionsgeschehen angepasst, sie gelte pauschal.

"Unter der Woche und bei schlechtem Wetter, wenn kaum jemand am See ist, sind die Stege auch gesperrt." Er habe der Kreisbehörde "Maßnahmen mit Außenmaß" vorgeschlagen, etwa Sperrungen ausschließlich an den Wochenenden oder eine Maskenpflicht. Doch zu einem Dialog sei es nicht gekommen, und eine Öffnungsperspektive habe es nie gegeben.

Zustimmung erhält Tauche von der ehemaligen Bundesjustizministerin und Kreisrätin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), mit der er sich eine Kanzlei teilt. "Ich halte das rechtlich für problematisch", sagt die Feldafingerin. "Abgesehen davon glaube ich nicht, dass diese Maßnahme was bringt."

Cathrin Dierks nennt die Sperrungen gar "Schwachsinn". Die Wirtin betreibt sowohl in Possenhofen am Starnberger See als auch in Herrsching am Ammersee einen Kiosk in unmittelbarer Nähe zu mehreren Stegen. Tagtäglich erlebe sie, wie Besucher die Verbote als ungerechtfertigte Maßregelung empfänden - und diese mit ein paar Schritten durchs Wasser und hinauf auf die Bretterkonstruktionen umgingen. Andere blieben am Ufer sitzen, die Promenaden seien bei schönem Wetter proppenvoll. "Sperrungen verlagern die Problematik nur", so Dierks.

Landrat Stefan Frey (CSU) verteidigt die Sperrungen als "vertretbar". Es handele sich um keine Beeinträchtigung im täglichen Leben, vielmehr um "Unannehmlichkeiten für manche". Man plane auch nicht, die Sperrungen unbegrenzt fortzusetzen, sondern "zum Sommer hin, wenn sich die Lage entspannt, zu öffnen". Seine Behörde habe für das Gericht bereits eine Antragserwiderung formuliert, man werde die Entscheidung abwarten. Tauche rechnet damit in zwei bis drei Wochen.

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SZ vom 29.04.2021/infu
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