Süddeutsche Zeitung

Essen und Trinken:Sternekoch ohne Stern

Um das "Forsthaus am See" in Pöcking ist es lange Zeit ruhig geworden. Zu Unrecht: Denn hier steht Alessio Cecchetti am Herd, ein Mann, der in den besten Restaurants gekocht hat - und trotzdem nicht die begehrte Michelin-Auszeichnung anstrebt.

Von Astrid Becker

Wer sich am Starnberger See nach einem Restaurant mit gehobener Küche erkundigt, erntet meist erst einmal ein Achselzucken: "Hier bei uns? Puh. Schwierig". Meist fällt den so Gefragten nur ein Lokal ein: das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete "Aubergine" im Hotel "Vier Jahreszeiten" in Starnberg. Ansonsten? Herzlich wenig. Manche nennen noch das Schlossgut und Biohotel Oberambach, was sich aber genau genommen bereits im Nachbarlandkreis Bad Tölz-Wolfratshausen befindet.

Auch das Hotel Marina ist nicht in Starnberg, sondern im Kreis Weilheim-Schongau angesiedelt. Wieder andere führen das Midgardhaus in Tutzing oder das Forsthaus Ilkahöhe im Tutzinger Ortsteil Oberzeismering an. Letzteres ist insofern bemerkenswert, weil es von Bernhard Graf geführt wird, dessen Restaurants am Starnberger See jenseits vom Aubergine dem Feinschmeckerführer Michelin immerhin eine Erwähnung wert sind. Und lange Zeit war Grafs Lokal nun einmal das "Forsthaus am See" in Pöcking.

Als Graf 2016 von Pöcking nach Tutzing wechselte, zog seine neue Ilkahöhe auch wieder in die Bibel der Gourmets ein, während es um sein ehemaliges "Forsthaus am See" erst einmal ruhig wurde. Restaurant und Hotel blieben gut eineinhalb Jahre geschlossen - und im Vordergrund standen ganz andere Pläne damit: Erst war von einem Erweiterungsbau die Rede, dann von Abriss und einem Neubau auf Pfählen, dessen Formensprache wohl an die archäologischen Unterwasserfunde rund um die Roseninsel erinnern sollte.

Jedenfalls ging es um eine Investition der Immobilienbesitzer in zweistelliger Millionenhöhe. Aber auch um dieses Vorhaben ist es in jüngster Zeit recht still geworden. In kulinarischer Hinsicht ist dies allerdings eine gute Nachricht: Denn auch wenn sich das noch nicht in alle Feinschmeckerköpfe in dieser Gegend eingebrannt hat, wird im Forsthaus am See in Pöcking wieder gekocht, und zwar recht fein.

Verantwortlich dafür zeichnet ein Italiener, dessen Werdegang so manch einem Feinschmecker buchstäblich das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen dürfte. Denn Alessio Cecchetti hat international an den besten Adressen gearbeitet, sechs Jahre allein in Rom unter Heinz Beck im Drei-Sterne-Restaurant "La Pergola", im legendären "Maxims" in Paris, im "Mandarin" in London oder auch in New York in Frank Sinatras Lieblingslokal "Patsy's Midtown".

Kein Wunder: Dem heute 47-Jährigen ist die Leidenschaft fürs Kochen buchstäblich in die Wiege gelegt worden. Schon sein Vater hatte in Rom ein Restaurant betrieben, und Alessios Spielplatz, wenn man es so nennen will, war die dortige Küche gewesen. Quasi tagein, tagaus verbrachte er seine freie Zeit zwischen Kochtöpfen und Schneidebrettern. Und wenn man sich den Koch so ansieht, wie er mit Messern hantiert und neue Kreationen entwirft, raumfüllend, sympathisch, einnehmend und permanent auf Italienisch parlierend, kann man sich auch heute kaum eine Sekunde vorstellen, in der es bei Cecchetti nicht um Essen und Trinken geht.

Diese schon von Kindesbeinen an in Cecchetti schlummernde, tiefe Liebe zur Kulinarik brachte ihn nach dem Schulabschluss auf die renommierte Hotelfachschule "Istituto tecnico alberghiero internazionale di Roma Tor Carbone". Nach Beendigung seiner Ausbildung startete er seine berufliche Laufbahn im Hilton Hotel Rom. Dieser Anfang fand offenbar enorme Beachtung: Denn Cecchetti wechselt nach dem Hilton ins berühmte "Rome Cavalieri Waldorf Astoria Resort", dem Reich von Heinz Beck.

Cecchettis neuer Chef stammte aus Niederbayern, hatte viele Jahre unter anderem mit dem kürzlich verstorbenen Sternekoch Heinz Winkler (unter anderem "Tantris" in München, Residenz in Aschau im Chiemgau) gearbeitet, ehe er 1998 dem Ruf des "Cavalieri" für das dortige Gourmetrestaurant "La Pergola" nach Rom gefolgt war. In seiner neuen Heimat Italien gelang dem Bayern Beck eine wahre Meisterleistung: Der Michelin bedachte seine Kochkünste 2001 mit zwei und seit 2005 durchgängig mit drei Sternen. 2003 wurde er zudem zum "besten Küchenchef Italiens" gekürt.

Und wenn man sich nun Cecchettis Kochstil in Pöcking so ansieht, sind die Erfahrungen, die er in Becks Sterneküche gesammelt hat, unverkennbar: Die einzelnen Produkte in den Vordergrund zu stellen und so zu kombinieren, das es zwar raffiniert, aber nicht übertrieben gekünstelt wirkt.

Bei seinem "Sushi di Manzo con Cipolla croccante e Salsa d'Ostriche" etwa, einem Rindertartar, das Cecchetti wie Sushi serviert. Er packt es in ein Algenblatt, flankiert es mit Röstzwiebeln und Austernsauce und garniert es mit rosa Ingwer und Wasabitropfen. Oder bei einer anderen Vorspeise, dem "Tartar di Salmone, Salsa d' Aglio dolce, Topinambur e Carciofi Croccanti" (Lachstartar mit Topinambur, süßem Knoblauch und knusprigen Artischockenblättern). Auch bei Pastagerichten kredenzt der Koch nicht einfach nur die gängigen klassischen Rezepte, sondern "schreibt" auch hier in kreativer Handschrift: bei seinen Fettucchine al Ragu di Luccio, Loto Croccante, Pomodorini confite e Cedro candito etwa, also Bandnudeln mit Zanderfilet, Lotuswurzel und confierten Tomaten.

Oder bei den "Spaghetti bianchi e neri, Pomodoro Basilico e Parmigiano in assenza di Ossigeno", die zu einem Elf-Gänge-Menü gehören, das Cecchetti für Silvester kreiert hat. Sein Chef, der Gastronom Michael "Mike" Heinen, hat dieses Gericht ganz einfach übersetzt: mit Spaghetti, Cocktailtomate, Basilikum, Parmesan - also im noch immer gängigen Stil scheinbar moderner Speisekarten, die einfach nur die einzelnen Zutaten anführen, die Zubereitung und Raffinesse der Gerichte hingegen verschweigen.

Auf den 149 Euro kostenden, zumindest im Italienischen recht fantasievoll klingenden Gaumenschmaus angesprochen, sagt Mike Heinen nur: "Was hätte ich denn machen sollen, das kann man ja gar nicht so übersetzen, was Alessio da treibt: Assenza di Ossigeno." Man könnte das wohl mit "sauerstofffrei" übersetzen - was einem Gast tatsächlich nur schwer zu vermitteln wäre, aber auf die Mühe verweist, die sich Cecchetti bei der Zubereitung seiner Rezepturen gibt.

"Ganz ehrlich: Alessio ist der Wahnsinn", ist einer der häufigsten Aussagen Heinens über seinen Koch, der nach Deutschland gekommen war, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen und auch in diesem Punkt seinem Vorbild Beck folgte, der einst ohne jegliche Italienischkenntnisse nach Rom gegangen war.

Heinen ist anzumerken, dass er nicht nur aus reinen Werbezwecken für sein Lokal schwärmt, das er seit 2018 gepachtet hat. Sondern auch aus Überzeugung. "Schauen Sie", sagt er plötzlich und zieht sein Handy hervor, "da ist der Alessio in "Gomorrha" zu sehen". Er zeigt auf eine kurze Sequenz der Fernsehserie um die Machtkämpfe der Mafia. "Hab' ich auf Netflix gesehen, und dann war da plötzlich unser Alessio. Der hat ein paar Leute vom Set dort persönlich gekannt, hat er mir später erzählt."

Der Wirt Heinen hatte einst Karosserie- und Fahrzeugbauer gelernt und später eine Malerwerkstatt geführt. Über einen damaligen Freund kam er in die Gastronomie: Die beiden betrieben ein Lokal, das "Puccini" in Pöcking. Doch dann kam es aus finanziellen Gründen zum Zerwürfnis.

Doch Heinen hatte mittlerweile an der Bewirtung von Gästen Geschmack gefunden. Neben dem "Puccini" hatte er 2003 auch noch die Sportgaststätte an der Römerstraße geführt, die aber nach der Eröffnung des "Kommod" im Beccult geschlossen wurde. 2013 übernahm er dann die einstige "Alte Kanzlei" in Pöcking, die er bis heute als "Garibaldi" betreibt.

Zu Cecchetti kam er 2020 durch einen gemeinsamen Freund. Der Koch Cecchetti wollte offenbar weg aus Rom und wieder international arbeiten, so wie früher und suchte in Deutschland eine Chefkoch-Stelle. Der gemeinsame Freund erzählte dem italophilen Heinen davon: "Ein absoluter Glückstreffer", sagt Heinen, der nun nur zwei Wünsche hat: Cecchetti soll bleiben. Und nicht noch irgendein Gourmettester auf ihn aufmerksam werden. "Denn ein Stern oder so, das wäre vielleicht im Winter zu bewältigen, im Sommer jedoch auf der Terrasse mit den vielen Touristen- schon allein personell völlig unmöglich." Ob sich diese beiden Wünsche erfüllen, muss sich allerdings noch zeigen.

Forsthaus am See, Am See 1, Pöcking-Possenhofen , Tel.:08157-9999339, www.forsthaus-amsee.de, Montag Ruhetag, Dienstag bis Sonntag von 11 bis 23 Uhr geöffnet, Küche bis 21 Uhr.

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