Politik am Starnberger See:Starnbergs brisante Geschichte

Der Historiker Paul Hoser hat dreieinhalb Jahre recherchiert: Herausgekommen ist ein Standardwerk in zwei Bänden über die Kreisstadt. Die insgesamt 900 Seiten lesen sich spannend wie ein Krimi.

Von Sabine Bader, Starnberg

Von den Revolutionswirren des Jahres 1919, als die Starnberger unvermutet in die Kämpfe von weißen und roten Truppen gerieten, über die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in der Stadt bis hin zur Gemeindegebietsreform: Die "Politische Geschichte" Starnbergs liest sich wie ein Krimi. In einer zweibändigen Chronik hat sich der Historiker Paul Hoser mit ihr auseinandergesetzt. Am Dienstagabend präsentierte er sein Werk.

"Mit knapp drei Kilogramm und 900 Seiten ist der Doppelband im wahrsten Sinne gewichtig", sagte Starnbergs Bürgermeisterin Eva John in ihrer Eröffnungsrede. Hoser schließe so eine Lücke im Wissen um den Zeitraum der 1850er-Jahre bis zur Gebietsreform des Jahres 1978. "Deswegen ist gerade die Auseinandersetzung mit unserer unmittelbaren Vergangenheit notwendig und bedeutsam", sagte sie.

Als Hoser 2008 von Johns Amtsvorgänger Ferdinand Pfaffinger den Auftrag erhielt, die politische Geschichte der Stadt aufzuarbeiten, hatte er nicht gedacht, dass so viel Zeit zwischen der Auftragsvergabe und dem Erscheinen seines Werks liegen würde. Denn nach seiner Erfahrung wollen die Auftraggeber das fertige Werk stets so schnell wie möglich haben, sagte er zur SZ. Fakt ist: Hoser hat sein fertiges Manuskript im Februar 2012 bei der Stadt abgegeben. Warum es erst jetzt erschienen ist, dürfte mit etlichen Umstrukturierungen im eigenen Hause, insbesondere im Stadtarchiv zu tun haben - was allerdings der Qualität der beiden Hoser-Bände keinen Abbruch tut.

Starnberg: Paul Hoser Autor von 'Politische Geschichte'

Dreieinhalb Jahre hat Paul Hoser an seinem zweibändigen Werk über die "Politische Geschichte" Starnbergs gearbeitet. Jetzt ist es auf dem Markt.

(Foto: Nila Thiel)

Wer die Ausführungen des 72-jährigen Historikers am Dienstagabend verfolgt hat, dem wurde schnell bewusst, dass der Münchner für diese Aufgabe genau der richtige Mann war. Zum einen ist bei diesem sensiblen Thema ein Fachmann mit Erfahrung gefragt. Zum anderen ist es wichtig, dass dieser nicht etwa aus dem unmittelbaren städtischen Umfeld stammt, sondern von außerhalb kommt und so den gebotenen Abstand mitbringt.

Den hat Paul Hoser zweifellos. Und so nimmt er, was Namen und Begebenheiten angeht, auch kein Blatt vor den Mund: Ein Beispiel ist ein Fall, der sich am 29. April 1919 zugetragen hat, als eine württembergische Truppeneinheit unter der Führung des Majors Hans Seutter von Lötzen die Stadt besetzte. Zusammen mit anderen festgenommenen Rotarmisten habe sich Karl Schleußinger am Bahndamm bei der Bleichwiese aufstellen müssen. "Er sollte als Letzter erschossen werden." Als alle außer ihm tot gewesen seien, sei in letzter Minute Bürgermeister Jakob Tresch mit einer Verfügung gekommen, Schleußinger ins Gefängnis zu bringen. "Er rettete ihm damit das Leben", sagt Hoser.

Der Autor

Paul Hoser stammt aus Günzburg an der Donau. Im Alter von drei Jahren zog er mit seinen Eltern nach München und lebt dort seit dieser Zeit. 1988 hat er an der Ludwig-Maximilians-Universität über "Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe der Münchner Tagespresse zwischen 1914 und 1934" promoviert. Mit historischen Aufarbeitungen hat Hoser Erfahrung: So verfasste er Werke über die Geschichte der Stadt Memmingen und die Geschichte des Bezirks Schwaben. Besonders zu erwähnen ist auch sein Aufsatz über das Schicksal Hugo Erlangers, des jüdischen Besitzers des Münchner Hauses, in dem Hitler von 1920 bis 1929 lebte. "Ich bin es gewohnt, Tonnen von Papier zu durchforsten", sagt der 72-Jährige über seine tägliche Arbeit als Historiker. Um die Starnberger Geschichte aufzuarbeiten, hat er neben dem Staatsarchiv München und dem Institut für Zeitgeschichte auch viel Zeit im Bunker unter der Grundschule in Söcking verbracht, wo die Dokumente damals lagerten, erzählt Hoser der SZ.bad

Bemerkenswert ist auch die Geschichte des jungen, couragierten Rechtspraktikanten Robert Held, der zur Hassfigur der Nationalsozialisten wurde, weil er ihnen stets Paroli bot, auch als es bereits lebensgefährlich war. 1938 konnte er gerade noch rechtzeitig vor der Judenverfolgung in die USA emigrieren. Nach 1945 kehrte er nach Starnberg zurück und kämpfte dort darum, sein Haus wieder zu bekommen.

Auf Lager hat der Historiker auch eine Kirchengeschichte der Stadt, die sich um die Stadtpfarrkirche St. Maria am Kirchplatz dreht. Gegen den Willen des katholischen Pfarrers Michael Ostheimer, der den Entwurf abstoßend gefunden haben soll, habe der Starnberger Bürgermeister Franz Buchner den weithin unbekannten Kunstmaler Theo Geyr mit der Erstellung eines monumentalen Freskos in der neuen Kirche beauftragt, erzählt er. Die Kosten habe die Stadt übernommen. "Geyr diente sich zuerst den Nazis begeistert an und wurde von ihnen zum stellvertretenden Kreiskulturwart ernannt. Die Bezahlung für das Bild war ihm dann aber nicht hoch genug. Er forderte eine Nachzahlung, die Buchner verweigerte. Danach wurde Geyr zum Gegner der Nationalsozialisten", so Hoser. Durch eine Denunziation sei er vor das Oberlandesgericht München gekommen. Zu seiner Verteidigung habe der Maler vorgebracht, auf seinem Kirchengemälde rechts unten "den großen unbekannten Gefreiten des Weltkriegs" dargestellt zu haben. Hoser: "So ist Hitler heute noch, wenn auch symbolisch verschlüsselt, auf dem Gemälde in der Kirche von Starnberg verewigt."

Allein diese drei Episoden zeigen schlaglichtartig, wie umfangreich die politsche Aufarbeitung geworden ist und, dass es für ihre Leser im den Bänden sicher noch Etliches zu entdecken gibt. Dass die Bücher auch spannend geschrieben sind, ist ein weiteres Plus. Aus dem Publikum wird Hoser nach seinem Vortrag gefragt, ob er bei der Recherche Ärger mit Zeitzeugen gehabt habe. "Nein", sagt er, "den gibt es meist erst hinterher." Wie auch immer: Paul Hosers "Politische Geschichte" hat das Zeug zum Standardwerk.

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