Tutzinger Rede:Die Zukunft des Essens

Tutzinger Rede: Die Andechser Biomolkerei-Chefin Barbara Scheitz prognostiziert einen grundsätzlichen Wandel der Ernährung in der nächsten Generation.

Die Andechser Biomolkerei-Chefin Barbara Scheitz prognostiziert einen grundsätzlichen Wandel der Ernährung in der nächsten Generation.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

In der Evangelischen Akademie diskutiert die Andechser Unternehmerin Barbara Scheitz mit dem Wissenschaftler Jan Grossarth über die Frage, wie die Ernährung 2050 aussehen könnte. Dabei verfolgen beide äußerst konträre Ansätze.

Von Nelis Tom Heidemann, Tutzing

Großes Gelächter geht durch den Saal, und mit dem Gelächter ist auch Erleichterung zu spüren. Die Evangelische Akademie und der Rotary Club Tutzing hatten unter der Überschrift "Was essen wir 2050?" vor Kurzem zur "Tutzinger Rede" geladen. Barbara Scheitz, Geschäftsführerin der Bio-Molkerei "Andechser Natur" und Professor Jan Grossarth von der Hochschule Biberach sind als Gäste dabei. Ein Streitgespräch zwischen der Vertreterin der Biolandwirtschaft und dem Wissenschaftler war angekündigt, und gestritten wird tatsächlich jede Menge - aber dann eben doch gelacht.

Zum Beispiel, als eine Zuhörerin bemerkt, sie esse die Produkte der Andechser Molkerei jeden Tag, funkt Grossarth von der Bühne kurz dazwischen und sagte: "Ich auch." Große Heiterkeit im Saal: Ausgerechnet Grossarth, der im perfekt sitzenden Anzug und mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht den ganzen Abend komplexe Antworten auf noch viel komplexere Fragen gegeben hatte, outet sich plötzlich als Fan der herkömmlichen Biolandwirtschaft. Vielleicht darf man diesen Zwischenruf Grossarths als gute Nachricht verstehen: Der wissenschaftliche Ansatz kann doch nicht so ganz ohne den landwirtschaftlichen funktionieren.

Tutzinger Rede: Der Wissenschaftler Jan Grossarth geht hingegen davon aus, dass sich an der Art der Lebensmittel nichts ändern wird, wohl aber an deren Herstellung.

Der Wissenschaftler Jan Grossarth geht hingegen davon aus, dass sich an der Art der Lebensmittel nichts ändern wird, wohl aber an deren Herstellung.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Grossarth als Professor für Bioökonomie und Zirkulärwirtschaft tritt an diesem Abend als Gelehrter auf, der kluge wissenschaftliche Sammelbände herausgibt, unter Julia Klöckner im Bundeslandwirtschaftsministerium gearbeitet hat und gekonnt mit Begriffen wie "Fermentation" oder "Upcycling" jongliert. Scheitz hingegen hat eine ganze Palette Produkte ihrer Andechser Molkerei mitgebracht und agiert als Vertreterin der praxisnahen Perspektive, die auf den Feldern und Wiesen der Region mit mehr als 650 Ökobauern konkret Biolandwirtschaft vorantreiben will.

Nun stehen sich diese Beiden also gegenüber, um in der "Denkwerkstatt" der Evangelischen Akademie vor etwa 80 Zuhörern zu diskutieren, was eigentlich 2050 auf den Tellern der Menschheit landet. "Vor drei oder vier Monaten hätte man diese Rede viel wissenschaftlicher gehalten. Jetzt überschattet die Logik des Krieges alles", sagt Grossarth zur Eröffnung. Der Krieg in der Ukraine berühre eben auch die Ernährungspolitik. Schließlich sei das Land ein wichtiger Weizenproduzent, was Wladimir Putin als Waffe nutze, analysiert Grossarth. Und so, bei Betrachtung der aktuellen Gemengelage der Welt, werde deutlich, wie labil das Wesen der Prognosen ist: "Ich bin demütig geworden, über 2050 zu sprechen. Man könnte auch fragen, was eigentlich 2030 oder sogar 2023 los ist?"

Wenn solche Worte aus dem Munde eines Wissenschaftlers wie Grossarth kommen, wird klar, wie ernst die Lage ist. Nichtsdestotrotz zeigt er ein paar Zukunftsperspektiven aus seinem Bereich auf, die sich vor allem auf die zirkulative Bioökonomie beziehen. Im Kern dieser Theorie steht, dass alle Energie- und Materialkreisläufe geschlossen werden. So würden zum Beispiel sämtliche Abfälle wieder aufbereitet. Upcycling nenne man das, eine Methode, die inzwischen auch preislich möglich sei. "Was ich sage, klingt vielleicht utopisch. Aber vieles von dem hat sehr reale Grundlagen", erläutert Grossarth.

Der Kreislauf der Natur sei perfekt, sagt die Biomolkerei-Chefin Barbara Scheitz

Scheitz hingegen vertritt einen anderen, weniger technischen Ansatz. Für sie ist der Kreislauf der Natur perfekt, wie sie sagt. Wer der Geschäftsführerin der Andechser Molkerei dabei zuhört, wie sie in blumigen Worten von ihren Milchlieferanten, den Kühen, erzählt, kann sich in der Tat nur schwer vorstellen, dass die Zukunft der Ernährung mit aufbereiteten Abfällen zu tun haben könnte. "Wir erleben die aktuellen Nöte sehr nah, haben deshalb eine völlig andere Perspektive als die Wissenschaft", sagt Scheitz, die damit vor allem auch auf den Klimawandel anspielt. Sie wirbt immer wieder für eine konkrete Umsetzung wissenschaftlicher Ideen - so wie in ihrem eigenen Konzept der Klimabauern. Das bedeutet, dass hundert ihrer Vertragspartner mit wissenschaftlicher Begleitung Klimavorgaben direkt in ihrem Betrieb umsetzen und für jede eingesparte oder zusätzlich gebundene Tonne CO2 finanziell entschädigt werden. Das müsse auch anderswo aktiv angehen, und da geht Scheitz die wissenschaftliche Denkweise häufig nicht weit genug: "Wir sind Riesen im Wissen, aber Zwerge in der Umsetzung."

Alles, was heute auf den Speisekarten stehe, werde es auch in der Zukunft geben, meint Wissenschaftler Jan Grossarth

Was also liegt nun 2050 auf den Tellern der Menschheit? Grossarth hat da eine klare Vorstellung: "Alles, was heute auf der Speisekarte steht, wird auch 2050 noch draufstehen." Esskulturen seien stabil, sagt der Wissenschaftler, sie beruhten viel auf Tradition und Identität. Dass zum Beispiel Fleisch dann aber eben anders hergestellt werde, sei durchaus möglich, sagt Grossarth. Scheitz hingegen ist sich sicher: "Mit der nächsten Generation werden sich auch unsere Speisepläne verändern." Der Weg des Wandels sei dabei aber noch nicht vorgezeichnet - von aktuellen Tendenzen wie dem Wechsel zu Soja- oder Hafermilch hält Scheitz wenig. Diesen Ersatzprodukten fehle es im Vergleich zur Kuhmilch an wichtigen Nährstoffen.

Während also der Wissenschaftler vor allem die Herstellung von Lebensmitteln im Wandel sieht, nicht aber die Art der Lebensmittel selbst, prognostiziert die Molkereibesitzerin grundlegende Veränderungen auf den Speiseplänen. Eines dürfte am Ende vielen der Zuhörer klar geworden sein: Noch immer ist es ziemlich schwer vorherzusehen, was am Ende wirklich auf den Tellern der Menschen landen wird.

Die Tutzinger Rede wird seit 2011 gemeinsam von der Evangelischen Akademie Tutzing und dem Rotary Club Tutzing veranstaltet und behandelt einmal jährlich Kernfragen der "Zukunft Mensch". Andere Themen waren zum Beispiel schon die Zukunft der Arbeit, der Wirtschaft oder der Medien. Populär ist der Begriff der "Tutzinger Rede" durch eine Grundsatzrede Egon Bahrs geworden, der 1963 als damaliger Presseamtschef des Berliner Bürgermeisters Willy Brandt mit "Wandel durch Annäherung" den Strategiewechsel in der Westdeutschen Wiedervereinigungspolitik proklamierte.

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