Starnberger See:Die schweren Jungs des Jazzrock

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Laut und wild: Nguyên Lê, Gary Husband und Per Mathisen (v.li.) beim Gastspiel in Pöcking. (Foto: Nila Thiel)

Das Trio Per Mathisen, Nguyên Lê und Gary Husband beweist beim letzten Konzert des Seejazz-Festivals in Pöcking, dass feine Klangexperimente und zupackend wildes Spiel eine magische Mischung ergeben

Von Reinhard Palmer, Pöcking

Auch wenn es schon das fünfte und letzte Konzert des Seejazz-Festivals 2021 war: Nach der Zwangspause im vergangenen Jahr konnte das Publikum nicht genug bekommen und war selbst nach zwei Sets und zwei Zugaben immer noch nicht zum Heimgehen bereit. Allerdings auch deshalb, weil das eingeladene Trio alles andere als einen Abgesang im Sinn hatte und die Stimmung keineswegs verglühen lassen wollte. Die drei weltweit gefragten, europäischen Musikgrößen sind so etwas wie die schweren Jungs der kultivierten Jazz-Rock-Funk-Szene: laut, wild, virtuos und packend. Obgleich es hier mitnichten um junge Avantgarde ging.

Der 51-jährige Initiator des Trios, der norwegische Kontra- und E-Bassist Per Mathisen, war mit Abstand der Jüngste im Bunde. Der vietnamesisch stämmige Franzose an der E-Gitarre, Nguyên Lê, bringt es schon auf 62 Lenze, während der britische Drummer Gary Husband - auch an den Tasten einer der Besten - mit seinen 61 Jahren nicht weniger internationale Erfahrung beisteuern konnte. Mehr spieltechnisches Können und musikalische Reife hätte man in einem Trio wohl kaum zusammenbringen können.

Schade nur, dass der "Bass Viking" Mathisen seinen Sound selbst aussteuerte und nicht merkte, dass seine Instrumente im Saal bisweilen ihre Klangqualität einbüßten und vor allem perkussiv rüberkamen. Hier stieß wohl auch das Pöckinger Beccult an seine klangräumlichen Grenzen. Ein Makel des ansonsten großzügigen Baus. Das Lob von der Bühne nahm Pöckings Bürgermeister Rainer Schnitzler stolz zur Kenntnis, es erntete auch einen Applaus des Publikums. Neben der Seeresidenz Alte Post in Seeshaupt war es in dieser Seejazz-Ausgabe der alternative, trotz Pandemie noch bespielbare Raum des sonst rund um den Starnberger See stattfindenden Festivals.

Was die Konzertbesucher in Pöcking zu hören bekamen, war genauso schwer in eine Schublade zu packen wie die einzelnen Musiker selbst. Obgleich hier meist Kompositionen aus den eigenen Reihen zu hören waren, zogen sich die drei Musiker auch gerne in die reine Interpretation zurück. Dann allerdings nicht weniger extravagant, doch mit einer deutlich ausgeprägten thematischen Arbeit. "Adagio for Strings" von Samuel Barber machte den musikalischen Aufbau besonders klar nachvollziehbar. Die Unterlage boten meist kleinteilige, von Husband mit scharfem Schlag exponierte, rhythmische Strukturen. Weitgehend von komplexen, ostinaten Bassfiguren von Mathisen mitgetragen, zugleich mit reichhaltigen spieltechnischen Varianten differenziert. Lê ließ dazu seine Gitarre in weitschweifenden Bögen singen, tat imaginative Seelenwelten auf oder mischte mit Querschüssen die Harmonik auf. Das funktionierte genauso gut in Michael Jacksons "Off the Wall" aus den Siebzigerjahren, auch wenn darin die Rhythmik mehr Raum einnahm und ein Funky-Sound dem Hit gerechter wurde.

Gerade darum ging es den Musikern: dem Charakter einer Komposition nachzuspüren und die adäquate Rhetorik dafür zu finden. Dann scheuten sie eben auch nicht vor ungewöhnlichen Elementen und Stimmungen zurück. Wie etwa in der Filmmusik "Now we are free" aus "Gladiator", in der zunächst auch klangexperimentelle Soundscapes für geradezu symphonische Größe sorgten. Dieses Element, immer wieder auch mit Samplern instrumental erweitert, zeigte sich als eine Spezialität des Ensembles, wovon man sich deshalb auch mehr gewünscht hätte. Derart imaginative Szenarien zu kreieren, ohne die Tiefe der Aussage abzuflachen, bedarf des Fingerspitzengefühls und des Sinns für Ästhetik. Darin konnten Lê, Mathisen und Husband immer wieder ihre Zugriffssicherheit demonstrieren. Sie zogen es dennoch vor, kraftvoll abzurocken oder mit virtuosen Jazz-Soli in bisweilen gewagter, harmonisch der Neuen Musik nahestehender Diktion zu grooven. Der größte Reiz ging aber wohl aus dem Kontrast zwischen inspirierender Schönmusikalität und nahezu aggressivem Stürmen hervor. Ein wahres, emotional aufgeladenes Abenteuer.

© SZ vom 17.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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