NS-Vergangenheit:Spurensuche auf dem Milchberg

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Heinz Rothenfußer vor dem Haupttrakt der MS-Klinik, in dem vormals ein Nazi-Spital war. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der ehrenamtliche Archivar Heinz Rothenfußer hat herausgefunden, dass die Nazis in Berg zwei Zwangsarbeiterlager und eine "Aktion-Brandt-Klinik" betrieben. Nachforschungen führen nach Kempfenhausen.

Von Sabine Bader, Berg

Archivarbeit kann spannend sein. Diese Erfahrung hat Heinz Rothenfußer gemacht, der ehrenamtliche Archivar der Gemeinde Berg, als er sich näher mit den Geschehnissen in Berg während der Nazizeit befasst hat. Es begann mit einem Schreiben, das die Gemeinde Berg im Mai 2021 vom Museo della Deportazione aus Prato in der Toskana erreichte. Die dortigen Mitarbeiter fragten an, ob die Kommune Auskunft geben könne über Zwangsarbeiterlager in Kempfenhausen und Berg, in denen italienische Kriegsgefangene interniert waren. Die Berger konnten nicht. Denn sie wussten bis dato nicht einmal, dass in der Gemeinde zwei Lager existiert hatten.

Eine Seite vom August 1944 aus dem vom damaligen Aufkirchner Pfarrer geführten Totenbuch. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Ich war hochalarmiert", erzählt Rothenfußer, der sich die Archivarbeit in der Gemeinde mit anderen Ehrenamtlichen teilt. Vor allem, als er die Dokumente studierte, die die Italiener der Gemeinde übersandt hatten. Darin hatte der damalige Berger Bürgermeister Michael Wammetsberger 1946 die Auflösung der beiden Lager bestätigt. Diese trugen die Nummern 2691 und 409. Von 1941 bis zum Kriegsende waren dort Italiener, Franzosen und Serben interniert, schreibt Rothenfußer im Berger Mitteilungsblatt "Bergblick". Die Zwangsarbeiter seien als landwirtschaftliche Arbeitskräfte und als Bauarbeiter eingesetzt worden. Wie Rothenfußer herausgefunden hat, gab es aber noch weitere Zwangsarbeiter: 250 zwangsweise umgesiedelte Slowenen im beschlagnahmten Exerzitienhaus Rottmannshöhe, weitere Menschen im Josefsheim in Percha sowie verteilt auf Bauernhöfe in der Umgebung.

Wo genau sich das Zwangsarbeiterlager 2691 befand, weiß man heute: Es war zumindest teilweise in Baracken auf dem Gelände der heutigen Marianne-Strauß-Klinik am Milchberg in Kempfenhausen untergebracht. Die Baracken sollen dort noch bis in die 1960er Jahre existiert haben. Im Fall Berg (Lager 409) spricht laut Rothenfußer einiges für eine Unterbringung im Marstall.

Der ehrenamtliche Archivar recherchierte im Staatsarchiv München, in Berger und Starnberger Kirchenbüchern und im Erzbischöflichen Ordinariat. Und dabei machte er noch eine Entdeckung: Von Oktober 1944 an schnellt plötzlich die Anzahl der Sterbefälle in Berg von 15 auf fast 200 Menschen pro Jahr in die Höhe. Die Toten stammten zu gleichen Teilen aus einer "Aktion-Brandt-Klinik in Kempfenhausen" und aus einem Säuglingsheim, einer Außenstelle der ausgebombten Haunerschen Kinderklinik im selben Gebäude auf dem Milchberg. Aber "Aktion-Brandt-Klinik"? Gab es die denn in Berg?

Links neben dem asphaltierten Weg am Friedhof in Aufkirchen wurden die meiste Verstobenen aus der "Aktion-Brandt-Klinik" und dem Säuglingsheim in Kempfenhausen beigesetzt. (Foto: Heinz Rothenfußer/oh)

Tatsächlich hatte sich die in der Lüderitz-Villa in Kempfenhausen seit 1934 ansässige Reichsärztekammer ein Areal am Milchberg als Standort für eine "Biologische Versuchsklinik der Reichsärztekammer" auserkoren. Die Nazis sollen dem damaligen Eigentümer des Schlosses Kempfenhausen, Graf Bylandt, mit Zwangsversteigerung gedroht und ihm das Gelände abgepresst haben. Der geplante Klinikbau verzögerte sich im Krieg allerdings zweitweise, weil Eisen für Rüstungsgüter gebraucht wurde. Laut Rothenfußer wurde das Krankenhaus aber 1944 als "Aktion-Brandt-Klinik" eröffnet. Etwa einhundert invalide und alte Menschen aus dem Ruhrgebiet seien dort eingeliefert worden. "Wir haben noch keine gesicherten Quellen darüber, was in der Klinik tatsächlich passiert ist", sagt Rothenfußer zur SZ. "Wir sind natürlich daran, uns Informationen zu beschaffen." Der 68-Jährige hofft nun darauf, dass sich Berger Bürger melden, die Bildmaterial oder Dokumente aus jener Zeit beisteuern können. Vor allem aber von Gesprächen mit möglichen Zeitzeugen verspricht er sich viel.

Nach dem Krieg verlangten die Amerikaner, dass die Stadt München das Krankenhaus übernimmt. Sie richtete darin auch eine Tuberkuloseabteilung ein. Die Bezeichnung "Aktion-Brandt-Klinik" verschwand schnell aus dem öffentlichen Sprachgebrach. Die meisten zu jener Zeit in der Klinik und dem Säuglingsheim Verstorbenen wurden den gemeindlichen Recherchen zufolge auf dem aufgelassenen Streifen vor der Aufkirchener Friedhofsmauer beigesetzt.

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