Starnberg:Zwischen den Zeilen

Starnberg: Bücherjolle Wilhelm Christoph Warning

Stellte sein Buch über 16 junge Männer aus Syrien vor: Autor Wilhelm Christoph Warning (li.) mit den beiden Musikern Abdulaziz Atri und Uday Alturk.

(Foto: Nila Thiel)

Wilhelm Christoph Warning stellt in der Bücherjolle seine Portraitsammlung "Fremdenzimmer" vor

Von Katja Sebald, Starnberg

Ein Buch über syrische Flüchtlinge. Schon wieder eins. Aber dieses Buch ist anders. Für den ehemaligen Buchhändler Ole Schultheis ist es "eigentlich Pflichtlektüre für uns alle" und ein "Kunstwerk" obendrein: Wilhelm Christoph Warning las auf Einladung des Kulturforums der SPD in der Bücherjolle in Starnberg aus seinem soeben erschienenen Buch "Fremdenzimmer".

Wilhelm Christoph Warning, 1948 geboren und seit vielen Jahren als Kulturjournalist tätig, hat für dieses Buch 16 junge Männer aus Syrien interviewt, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen und im Dezember 2015 in einer ehemaligen Ferienpension in der Nähe seines Wohnorts im Chiemgau untergebracht wurden. Er hat ihnen eine Stimme gegeben - und sie nicht pauschal, sondern als Individuen, und Menschen vorgestellt, deren Geschichten er erzählt.

"Wie aus Fremden Freunde wurden", so hat er das Einführungskapitel überschrieben, in dem er schildert, wie er zusammen mit seiner Frau zunächst nur einen Teller mit Weihnachtsplätzchen zu "den Flüchtlingen" brachte, die in der leerstehenden Pension einquartiert wurden: Sie kamen aus allen Teilen Syriens, der jüngste war 19 Jahre alt, der älteste 39. Deutsch sprach keiner von ihnen, auf Englisch konnte man sich nur mit einigen wenigen verständigen. Er selbst habe Gastfreundschaft, Herzlichkeit, Wärme und schließlich Freundschaft von denen erfahren, die doch nichts hatten.

Das Buch ist fertig geschrieben, es ist gedruckt und es liegt in den Buchhandlungen. Aber die Geschichten sind noch nicht zu Ende: In Starnberg erzählt Warning vom schwierigen Umgang mit den Behörden, auch von der Unfähigkeit mancher Flüchtlinge, bei ihrer Anhörung die Wahrheit zu erzählen, zum einen, weil das in ihrer Kultur nicht möglich ist, zum anderen, weil sie immer noch Angst vor Verfolgung haben oder weil sie schwer traumatisiert sind. Das Schicksal jedes einzelnen geht dem Autor nahe, das spürt man an diesem Leseabend, bei dem er erstmals von zwei jungen syrischen Musikern begleitet wird, sehr deutlich.

Warning hat die Portraits mit der versierten und nuancierten Sprache des Journalisten geschrieben, aber zugleich mit einer Feinfühligkeit, die man sich aus keinem Lehrbuch aneignen kann. Er gestattet seinen Gesprächspartnern, über das unbeschwerte Leben zu sprechen, das sie einst geführt haben. Auch über die schrecklichen Dinge, die zu ihrer Flucht führten, können sie ihm erzählen. Das Unaussprechliche aber dürfen sie weglassen. Vieles steht zwischen den Zeilen, aber an keiner Stelle wird jemand vorgeführt. Manche der Syrer wollen im Buch anonym bleiben, aus Angst, dass der Arm des Regimes, vor dem sie geflohen sind, auch bis nach Deutschland reichen könnte. Auch mit diesem Wunsch wird äußerst respektvoll umgegangen.

Zum Kunstwerk wird das Buch nicht zuletzt durch seine Bebilderung und durch die zurückhaltend schöne Gestaltung im kleinen Sieveking-Verlag, der sich auf Kunstbücher spezialisiert hat. Der renommierte Fotograf Enno Kapitza hat die jungen Männer aus Syrien in ihrer neuen Heimat im Chiemgau fotografiert. Diese Bilder sind in Schwarzweiß gedruckt, der Bilderbuchlandschaft und der Bayernidylle tut diese stille Ästhetik mehr als gut. Vorangestellt sind Bilder von einem atemberaubend schönen Syrien, wie es zum Weltkulturebe gehörte, aber auch Fotos aus den zerstörten Städten. Karten, ein ausführliches Glossar und ein geschichtlicher Überblick sind eine sinnvolle sachliche Ergänzung.

Für Ole Schultheis, der als Vorstandsmitglied des Kulturforums die Moderation übernommen hatte, war der Abend ein seltenes Gast- und zugleich Heimspiel: Er trat wieder einmal als Gastgeber in seiner ehemaligen "Bücherjolle" auf, die er vor einigen Jahren an seinen Nachfolger Wolfgang Bartelmann übergeben hat. Und er stellte mit Wilhelm Warning einen langjährigen Freund und zugleich seinen Schwager vor.

Die beiden kennen sich noch aus Schulzeiten und haben beim Theaterspielen zwei Schwestern kennengelernt, mit denen sie bis heute verheiratet sind.

Wilhelm Christoph Warning, Fremdenzimmer. 16 junge Männer aus Syrien und ihre Geschichten. Sieveking-Verlag 2016, 22,90 Euro.

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