Starnberg:Wundermittel gibt es nicht

Bei einem Hearing in der Politischen Akademie Tutzing diskutieren drei Wissenschaftler über die sogenannte Gute Wissenschaft.

Gerhard Summer

ADHS-Mittel Ritalin - Kardiologen für mehr Blutdruck-Kontrollen

Das Medikament Ritalin wird massenhaft Kindern verabreicht, die besonders unruhig sind. Foto: dpa

(Foto: picture alliance / dpa)

Helden und Supermänner sind oft nur mäßig schlau, vielleicht könnten sie sonst keine Helden und Supermänner sein. Der dicke Obelix ("Ich bin nicht dick") ist zwar als Kind in den Kessel mit dem Zaubertrank gefallen, aber doch immer der große Naive geblieben. Superman arbeitet als Journalist, na ja, Spiderman als Fotograf. Und der täppische Tankwart Stanley Beamish, der Held der wunderbar altbackenen Fernsehserie "Immer wenn er Pillen nahm" aus den 60er Jahren, kann zwar mit Glitzercape und Schutzbrille durch die Gegend fliegen. Aber ein geistiger Senkrechtstarter wird er nie werden.

Dabei wären das doch so schöne Aussichten: Eine Pille, eine Droge, ein Wundermittel - und schon kann jeder seinem Gehirn auf die Sprünge helfen, das alles möglichst ohne Nebenwirkungen. Nie wieder Nachhilfe! Behördenanträge verstehen! Überall Mitarbeiter, die vor Kreativität platzen. Und Ärzte könnten gleich vier Schichten auf einmal übernehmen, weil man sich auch irgendwann das Schlafen sparen kann, der Pharmaindustrie sei Dank. Die erhoffte Leistungssteigerung nennt sich Neuro-Enhancement, das Thema ist vor einiger Zeit vor allem in den amerikanischen Medien so hochkatapultiert worden, als stünde der Durchbruch kurz bevor. Allerdings ist das alles offenbar ein schönes Märchen. Die Teilnehmer des Diskurses "Gute Wissenschaft" kamen bei einem Hearing in der Politischen Akademie Tutzing jedenfalls zu dem Ergebnis: Wundermittel für das legale mentale Doping sind nicht in Sicht. Und selbst wenn sie irgendwann erfunden werden sollten, hätten sie wahrscheinlich erhebliche Nebenwirkungen und Langzeitfolgen.

Gute Wissenschaft? Was ein wenig verblasen klingen mag, ist ein spannendes fächerübergreifendes Experiment, finanziert mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Akademie ermöglicht nämlich fortgeschrittenen Studenten aus Fakultäten, die sonst wenig Berührungspunkte haben, den Blick über den eigenen Tellerrand. "Offener Austausch" heißt das Ziel. 23 junge Leute sind für die drei Diskurse ausgewählt worden, wie Michael Schröder, einer der Projektleiter, erklärt. Darunter finden sich angehende Wissenschaftsjournalisten, Sozialwissenschaftler, Bioethiker und Teilnehmer aus dem Bereich Life-Sciences. Sie erhielten kleine Stipendien und konnten sich aussuchen, mit welchen Experten sie über wichtige gesellschaftliche Fragen sprechen wollen. Am Ende sollen sie einen Katalog mit Empfehlungen vorlegen, was gute Wissenschaft sein könnte und was sie leisten muss. Die erste Runde im Oktober befasste sich mit der synthetischen Biologie. Der dritte Teil Ende Januar 2013 wird den Grenzen der Wissenschaft vorbehalten sein.

Beim zweiten Tutzinger Diskurs waren denn auch nicht nur die Versprechungen der Pharmaindustrie Thema. Die Debatte galt auch der aus den Fugen geratenen Wissenschaft mit ihrer Flut an Veröffentlichungen und der Tendenz, sich Replikations-Versuche zu sparen, weil sie die eigene Karriere nicht voranbringen. Und sie drehte sich um Ethik im Journalismus und gesellschaftliche Werte. Drei Fachleute stellten sich den Fragen der Studenten: Professor Boris Quednow, Neuropharmakologe an der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, Arnold Sauter, Biologe und stellvertretender Leiter des Büros für Technikfolgeabschätzung beim Deutschen Bundestag, und Ulrich Schnabel, Physiker und Wissenschaftsredakteur der Zeit. Die Annahme, dass der Mensch durch Amphetamine, Wachmacher wie Modafinil, das ADHS-Medikament Ritalin oder andere Substanzen beispielsweise schneller Fremdsprachen lernen könne, sei "reine Fantastik", die Diskussion über Neuro-Enhancement eine "Phantomdebatte", sagten sie.

Quednow hält es ohnehin für unwahrscheinlich, dass jemals eine Wunderdroge für Gesunde zur Verfügung stehen wird, "weil das dem Mechanismus des Gehirns zuwiderläuft". Er beschäftige sich nun seit zwölf Jahren mit der Wirkung legaler und illegaler Wirkstoffe - und sei von Jahr zu Jahr vorsichtiger geworden. Beispielsweise sei völlig unklar, "was passiert, wenn ich drei Jahre lang Ritalin als Gesunder nehme". Seine Ansicht: Das Bedürfnis nach Selbstverbesserung berühre natürlich einen alten menschlichen Traum, aber "wir brauchen gar keine größere Leistung, wofür?" So gesehen sei die Sehnsucht nach Neuro-Enhancement ein Ausdruck der Leistungsgesellschaft und der sich langsam wieder legende Wirbel um Wundermittel, die letztlich nur die Arbeitgeber reicher machen, eine spätkapitalistische Debatte.

Schnabel machte auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: Der Glaube, der Mensch könne das Gehirn wie einen Computer optimieren, praktisch auf Knopfdruck, sei sehr naiv. Tatsächlich sei das Gehirn ein sehr plastisches, leicht beeinflussbares, sensitives und soziales Organ, nicht umsonst heiße es: "You never think with the same brain twice." Derzeit widme sich die Diskussion über Neuro-Enhancement den falschen Fragen: Tatsächlich müsste man eher darüber reden, "ob jemand in die Lage kommen sollte, zwei Tage durchzuarbeiten", sagte Schnabel. Denn sogar unter den Bedingungen der Leistungsgesellschaft sei es oft besser, um 17 Uhr heimzugehen, als bis 23 Uhr im Büro zu hocken, sich den Kopf zu zermartern und dann schlecht zu schlafen. Auch wenn es einen gewissen Konsens gebe, dass Arbeiter nicht grenzenlos ausgebeutet werden können - nach wie vor seien materielle Werte wichtiger als ideelle, was sich an den Gehältern von Kindergärtnerinnen, respektive Finanzmanagern ablesen lasse. Und wer erkenne, dass es sehr wohl auch einen "Zeit-Wohlstand" gibt und kürzertrete im Büro, gelte oft nicht mehr als Leistungsträger.

Was die Debatte über mentales Doping anging, kam Sauter zu einem ähnlichen Urteil wie Schnabel und Quednow: Das Ganze sei "zum guten Teil eine Erfindung der Bioethik", sagte er. Er fand, die gewünschte Wirkung lasse sich, wenn überhaupt, eher noch über "neurotechnische Manipulation" erreichen. "Ob sich daraus eine Alltagsanwendung entwickeln kann, bezweifle ich aber", so Sauter. Quednows Antwort fiel klar aus: "Ich würde mir nie ins Hirn bohren lassen, wenn es nicht sein muss".

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