Whisky aus dem Landkreis Starnberg:Das Feuerwasser vom Heiligenbergfeld

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Drei Jahre lagerte der Whisky in Achim März´ ehemaliger Scheune in Madeira-, Portwein- und Sherryfässern. (Foto: Nila Thiel)

Der frühere Banker Achim März erfindet sich immer wieder neu: Erst führte er ein Lokal im Widdersberger Ignazhof und brannte Schnaps. Und jetzt? Destilliert er Whisky.

Von Astrid Becker, Herrsching

Der Weg führt mitten durch Wiesen und Felder, vorbei an einem Gehege, in dem mehrere Dutzend Hühner frei herumlaufen. Ein paar hundert Meter weiter taucht ein Gebäude auf. Eine Scheune oder ein Stadel dürfte es mal gewesen sein. Hinter einem großen hölzernen Tor blöken Schafe. Doch ein reiner Stall dürfte das kleine Anwesen mitten in einer landwirtschaftlich genutzten Idylle kaum sein. Aus gutem Grund: Denn sein Inneres birgt einen Schatz. Genauer gesagt: Achim März' neuen Schatz, eine eigene kleine Whiskydestillerie vor der Kulisse der Klosterkirche von Andechs. Die ersten 405 Flaschen hat der Widdersberger gerade erst abgefüllt, etwa 380 davon sind bereits verkauft - bis nach Abu Dhabi.

Es gehört schon jede Menge Mut dazu, mitten in Coronazeiten einen Neuanfang zu wagen. Doch der 44-jährige Achim März ist ein Mensch, der offenbar gar nicht anders kann: "Seit zwölf Jahren bin ich nun schon selbständig, ich kann mir nicht vorstellen, noch einmal angestellt zu sein." Und deshalb erfand er sich während der Pandemie noch einmal komplett neu. Übrigens nicht zum ersten Mal.

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Denn eigentlich ist März Bankkaufmann. Nach seiner Ausbildung arbeitete er in diversen Geldinstituten, zuletzt unter anderem sogar in der Münchner Zentrale eines großen amerikanischen Finanzdienstleisters. Doch März hatte schon langen einen ganz anderen Traum: "Meine Großeltern hatten einen Bauernhof in Esting im Nachbarlandkreis Fürstenfeldbruck", erzählt er. Dort sei er aufgewachsen. Und das wollte er auch: einen alten Bauernhof, "etwas, an dem er rumreißen kann", sagt seine 46-jährige Frau Nikola, die selbst aus dem Hotelfach kommt. Mit ihr wagte er schließlich den Neuanfang mit einem ganz konkreten Plan: den Bauernhof, den er kaufen wollte, in ein Veranstaltungslokal mit eigener Bierbrauerei zu verwandeln. Achim März' Bruder sollte dabei hilfreich zur Seite stehen: Er ist studierter Braumeister.

Whisky ist die neue Leidenschaft von Achim März. (Foto: Nila Thiel)

Wer nun in diesen Tagen einen Blick hinter das Tor mitten in der Idylle zwischen Wiesen und Feldern und vor der Kulisse des Klosters Andechs werfen darf, der könnte glatt glauben, dass sich Achim März seinen Traum vom eigenen Bier erfüllt hat. Der erste Blick fällt auf einen Sudkessel, daneben steht ein Läuterbottich, gegenüber ein 4400 Liter fassender Gärtank. Alles blitzblank geschrubbt. Bier wird hier aber nicht gebraut, weder jetzt - noch 2004, dem Jahr, in dem Achim März den Bauernhof findet, den er gesucht hat.

Es ist der "Ignazhof" im Herrschinger Ortsteil Widdersberg. "Sinnigerweise hießen die Vorbesitzer seit 1875 auch März, waren aber weder verwandt noch verschwägert mit uns", erzählt er. Als Wink mit dem Zaunpfahl empfindet er die Namensgleichheit dann aber doch und kauft den Hof an der Andechser Straße, die mitten durch das Dörfchen führt, das trotz einiger Neubauten in den vergangenen Jahren noch immer recht beschaulich und ursprünglich wirkt. Aber sein Bruder Jürgen will dort nicht den Braumeister spielen. Denn wer Bier produziert, muss täglich an Ort und Stelle sein - und dafür ist Jürgen März der Weg von seinem Wohnort in Esting nach Widdersberg zu weit. Also muss eine neue Idee her.

Doch erst einmal richtet das Ehepaar März die Tenne in ihrem Bauernhof liebevoll her und beginnt von 2006 an, Gäste zu bewirten, anfangs nur ein bis zwei Mal pro Monat, später wöchentlich. Das Angebot muss man sich wie ein spezielles Gelage vorstellen: Es gibt immer nur ein bestimmtes Gericht, Spanferkel etwa oder Ochse vom Grill. Der "Special-Event"-Charakter spricht sich herum, schon bald vermieten die beiden ihre Räume für Hochzeiten, Firmenfeiern oder auch mal an die Gemeinde Herrsching, die hier einige Jahre lang die Bürgerversammlung für den Ortsteil Widdersberg abhalten sollte.

März brennt den Whiskey in landschaftlicher Idylle. (Foto: Nila Thiel)

Statt hausgebrautes Bier zu kredenzen, brennt Achim März schließlich Schnaps. Er eignet sich alles, was er für seine neue Idee wissen muss, von seinem Bruder an, der sich während seines Studiums auch damit vertraut machen musste. Klein fängt Achim März an, nur mit dem Recht, 50 Liter reinen Alkohol im Jahr produzieren zu dürfen. Eine sogenannte Abfindungsbrennerei nennt man das, was März betreibt: "Auf dem Hof lag ja kein Brennrecht." Deshalb muss er es beantragen. Einen Antrag für ein sogenanntes "großes Brennrecht" mit 300 Litern reinem Alkohol pro Jahr zu stellen, ist zu dieser Zeit noch gar nicht möglich. So etwas ist allenfalls käuflich zu erwerben. 2008 bekommt März die Chance dazu: "Da hat einer am Chiemsee aufgehört und mir das verkauft." Nicht einmal recht teuer sei das gewesen, etwa 2000 Euro, erzählt er: "Zehn Jahre vorher hätte ich etwa 10 000 Euro dafür bezahlt".

Doch 2008 zeichnet sich bereits das Ende des Brandweinmonopols ab, heftige Diskussionen werden in der Branche zu dieser Zeit darüber geführt (siehe Kasten). Deshalb sinkt der Preis für die raren Brennrechte in den Keller. Achim März nutzt das für sich, er erwirbt zusätzlich noch besagte Scheune mitten in den Wiesen und Feldern nebst der vorgeschriebenen Flächen für Obstbäume, die er für das Recht nachweisen muss. Drei Hektar sind es: Apfel-, Birnen-, Mirabellen- oder auch Kirschbäume pflanzt er dort für seinen Schnaps. Die Schafe hält er für die Beweidung, aber auch, um seinen Gästen Lammfleisch aus eigener Zucht anbieten zu können.

Das Konzept geht auf. Bis 2020. Bis die ersten Menschen sich mit dem Coronavirus infizieren. Achim März wird schnell klar, dass seine Existenz mit dem Ausbruch einer Pandemie sehr schnell bedroht sein würde. Im März 2020, mehr oder weniger zu Beginn des ersten Lockdowns in Bayern, beschließt er, sich wieder einmal neu zu erfinden, seine gastronomisches Angebot aufzugeben, seine Tenne abzureißen und stattdessen Wohnungen zu bauen. Seine Frau Nikola hat mit der Idee zu kämpfen: "Mir hat die Gastronomie Spaß gemacht, ich hätte nie damit aufgehört und stünde jetzt vor dem Aus. Aber Achim ist pragmatischer." Denn Einzelunternehmer wie sie selbst hätten in Coronazeiten kaum finanzielle Hilfen erhalten. "Wir hatten ja keine GmbH, haben nur ein wenig Zuschuss zu Strom und Nebenkosten bekommen", sagt auch Achim März, "aber Bankkredite zu bedienen und zwei Kinder großzuziehen."

Als er davon berichtet, trägt er Arbeitskleidung, weiße Farbspritzer sprenkeln an diesem Tag seine Kleidung. Achim März arbeitet selbst am Bau der Wohnungen mit. Bis 1. Januar müsse alles fertig sein, sagt er. Bis auf eine Erdgeschosswohnung sei alles bereits vermietet. Zwischendrin hat er schon mal die ersten 405 Flaschen seines Whiskys abgefüllt. "Ich wollte sehen, wie das ankommt, das ist ja auch eine Investition". Drei Jahre lagerte der Whisky in seiner ehemaligen Scheune mit dem Obstbaugarten: in Madeira-, Portwein- und Sherryfässern. 2017 habe er eine "Herrentour mit Freunden" durch Schottland unternommen, erzählt er. Viele Destillerien hätten sie besucht, auch eine der größten war dabei: Glenfiddich bei Dufftown im ehemaligen County Banffshire. Wenn er davon erzählt, klingt er fast ein wenig stolz, sie gesehen zu haben. Als hätte sie seine Faszination für Whisky endgültig geweckt. Ein Jahr später ist die Obsternte schlecht - und das Gesetz auf der Seite von März: Statt Apfel und Birne zu brennen, darf er sich nun auch an "mehlige Feststoffe" wagen, so der bürokratische Begriff für Gerstenmalz, die Basis jeden Whiskys, wie die Spirituose in Schottland und Deutschland geschrieben wird - im Gegensatz zu den Iren und den Amerikanern, die noch ein "e" einfügen.

März landet damit in gewisser Weise dann doch wieder beim Bier: "Der Herstellungsprozess ist recht ähnlich, am Anfang. Nur dass ich das, was Brauer zu Bier kochen, zu Whisky brenne." Damit sich das rechnet, legt er sich 2020 eine andere Destille zu, die im hinteren Teil der Scheune untergebracht ist. Es ist eine Verschlussbrennerei, vollkommen verplombt und mit einem Zählwerk für die genaue Abrechnung der Branntweinsteuer ausgestattet. Bevor so eine Anlage in Betrieb genommen werden kann, muss sie allerdings vom Zoll abgenommen werden. Wieder einmal fällt dieser Termin im Dezember 2020 mitten in eine der schlimmsten Pandemiephasen: "Diese Abnahme machen nur wenige Zollbeamte in ganz Deutschland, die kommen dafür angereist", sagt März. Hotelzimmer für sie konnte er gerade noch auftreiben, aber die Gastronomie war zu dieser Zeit komplett geschlossen: "Ich habe ihnen dann Pizzas geholt, die sie natürlich gezahlt haben - und bis zum Schluss gebammelt, dass die Abnahme nicht klappt." Denn die Destille ist für die Beamten zum ersten Mal in Betrieb: Man müsse einen Sud parat haben und den dann vor dem Zoll brennen, damit dieser prüfen könne, ob das Zählwerk auch richtig funktioniere, sagt er.

Der Whisky, den er seither gebrannt hat, lagert derzeit noch in den Fässern mitten im Idyll, nach dessen Flurnamen er benannt ist: "Heiligenbergfeld". Weitere 16 Tonnen Gerstenmalz hat er bereits für die nächsten Brände geordert. Echte Vorsorge: Die Preise für dem Rohstoff dürften im nächsten Jahr wegen der schlechten Ernte 2021 gehörig steigen. Dass sich der Einsatz lohnen könnte, zeichnet sich schon jetzt ab: Die ersten Flaschen aus dem Jahrgang 2018 sind heiß begehrt und nummeriert: Flasche Nummer sieben zum Beispiel liegt nun im Gemeindearchiv Herrsching - ein Fall für die Ewigkeit vermutlich. Und fast alle anderen sind bereits geordert: "Viele von Sammlern in ganz Europa, die auf Erstabfüllungen stehen." Sogar aus Abu Dhabi ist eine Bestellung eingegangen.

Die Flaschen eins bis fünf sind aber unverkäuflich: Sie sollen im kommenden Jahr bei der offiziellen Einweihung der ersten Whiskydestillerie im Landkreis Starnberg versteigert werden. Für einen guten Zweck: 50 Prozent des Erlöses gehen an Musiker und Künstler, die andere Hälfte in die Krebsforschung. Viele Bekannte von ihm seien daran erkrankt, sagt März, und wie schlimm das sei, habe die Pandemie völlig in den Hintergrund gedrängt: "Und deshalb hoffe ich auch, dass möglichst viel Geld bei der Auktion zusammenkommt." Ganz unwahrscheinlich ist das nicht: Immerhin hat eine einzige Flasche "Slyrs Art Edition 2021" erst Anfang November bei einer Auktion 24 000 Euro erzielt, die dem Haus der Kunst in München zugute kamen. Die Brennerei vom Schliersee kann sich seither rühmen, den teuersten deutschen Whisky produziert zu haben.

© SZ vom 26.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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