Verkehrswende im ländlichen Raum:Mit dem Expressbus zwischen Kultur und Alltag pendeln

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Bei der X900-Tour mit dabei: Melanie Widmann, Jasenko Mejremic (v.l./beide Landratsamt), Sonja Schneider (MVV-Pressesprecherin), Landrat Stefan Frey, die beiden Bürgermeister Stefan Joachimsthaler (Alling) und Manfred Walter (Gilching) sowie Christoph Winkelkötter (GWT-Geschäftsführer). (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Linie X900 verbindet zwischen Starnberg und Fürstenfeldbruck Arbeitsplätze, Freizeit und Bildungseinrichtungen.

Von Jakob Thies, Starnberg

Ob zu wenig Geld, mangelnder politischer Wille oder fehlendes Personal – seit Jahren gibt’s Probleme bei der Verkehrswende im ländlichen Raum. Für viele Menschen ist nach wie vor das Auto die unangefochtene Nummer eins. Dass Mobilität auch anders gehen kann, zeigt die vom Starnberger Landratsamt organisierte Hop-on/Hop-off Tour „Pendeln zwischen Kultur und Alltag“ mit der Expressbuslinie X900.

Los geht’s am Bahnhof See in Starnberg. Nach kurzem Fußweg ist die erste Station der Tour erreicht: Im Museum Starnberger See katapultiert Museumsleiter Benjamin Tillig die Teilnehmenden zurück ins 16. Jahrhundert – den Beginn der höfischen Schifffahrt in Bayern. Der See war als Kulisse für die glanzvollen Festlichkeiten der Könige und Herzöge perfekt geeignet. Daher entwickelte der bayerische Hof prunkvolle Boote, von denen das einzige noch vollständig erhaltene – der nach seiner Bugfigur benannte Delphin von Ludwig I. – das Herzstück der Dauerausstellung bildet. Ob Ludwig wohl X900 gefahren wäre?

Zurück im Hier und Jetzt geht es jedenfalls ohne Ludwig erstmals auf Reise. Vor Abfahrt bleibt kurz Zeit, ein paar Daten zu überfliegen: Der X900-Bus fährt werktags von 5 bis 22 Uhr im 20-Minuten-Takt vom Bahnhof See in Starnberg los, steuert insgesamt 14 Haltestellen zwischen den Landkreisen Starnberg und Fürstenfeldbruck an und verfügt über einen tiefen Einstieg – den „Low-Entry“. Dieser soll es möglichst vielen Fahrgästen barrierefrei ermöglichen, die Expressbuslinie zu nutzen.

Pünktlich setzt sich der Bus um 10.04 Uhr in Bewegung. Erster Halt? Klinikum Starnberg. Dort angekommen gibt’s zunächst eine Führung durch die hauseigene Berufsfachschule für Pflege. Höhepunkt ist der Besuch des Skills-Labs. In dem Raum können die Auszubildenden an einer Simulationspuppe alle Tätigkeiten einer Pflegefachkraft trainieren. Die Puppe kann so ziemlich alles: Je nach Einstellung kann sie ruhig atmen oder vor Schmerz schreien. Selbst Magengeräusche lassen sich mit ihr simulieren. Dann wird es ernst: Die Mitfahrenden dürfen versuchen, den Puls der Puppe zu ertasten. Ist da noch ein Schlag?

Erleichtert – sie hatte noch Puls – geht’s nun rüber ins Klinikum: Dort riecht es nach Popcorn. In entspannter Kinoatmosphäre wird das gesamte Klinikum virtuell vorgestellt. Anschließend stellen verschiedene Angestellte ihre Berufe vor: Von der Pflegekraft auf der Geburtenstation bis zur Finanz-Controllerin sind alle mit dabei.

Das Gewerbegebiet Gilching Süd ist durch den Expressbus gut angebunden

Danach ist wieder Busfahren angesagt. Während der Tour in Richtung Gilching informieren Christoph Winkelkötter – Geschäftsführer der Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (GWT) im Landkreis Starnberg – und Gilchings Bürgermeister Manfred Walter über das Gewerbegebiet Gilching Süd als Wirtschaftsstandort. Das Gewerbegebiet in unmittelbarer Nähe zum Sonderflughafen Oberpfaffenhofen bietet mittlerweile Arbeitsplätze für mehr als 3000 Menschen. Durch die X900-Linie verfüge es über eine gute Anbindung, betont Walter.

Dann kommt der Bus zum Stehen– nächster Programmpunkt: Vortrag zur Geschichte Gilchings im KultCafe von Anna und Martin Dybowski am S-Bahnhof Argelsried. Normalerweise wird hier jeden Dienstag und Freitag Jazz, Blues oder Acoustic-Rock gespielt. Vor dem Konzert am Abend ist jetzt aber erst einmal Annette Reindel vom Verein Zeitreise Gilching an der Reihe: Bei Kaffee und Kaltgetränken spricht sie über die historische Bedeutung der Gilchinger Römerstraße. Erstmals urkundlich erwähnt im Jahr 804, entwickelte sich diese schnell zu einem bedeutenden Knotenpunkt. Entlang ihrer Streckenführung wuchsen die Orte Argelsried und Gilching zusammen. Auch heute – rund 1200 Jahre später – ist sie nach wie vor wichtig: Der Expressbus fährt täglich auf ihr Hin und Zurück.

Die vom Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) betriebene Expressbuslinie düst dabei landkreisübergreifend nicht allein über die Straßen: Der X910 verbindet das Klinikum Großhadern mit Weßling, der X920 Gilching mit Fürstenfeldbruck und der X970 Starnberg mit Bad Tölz.

Der öffentliche Nahverkehr sei ein Zuschussgeschäft, sagt Landrat Stefan Frey

Damit die eng getakteten Linien als „Zugpferd des MVV“ auch in Zukunft weiter fahren können, sei ein Schulterschluss mit allen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern notwendig, betont Landrat Stefan Frey (CSU). „Man muss in Zeiten, in denen den Kommunen das Wasser bis zum Hals steht, immer wieder Überzeugungsarbeit leisten“. Der öffentliche Nahverkehr sei ein Zuschussgeschäft.

Zurück im Bus geht’s nach Alling zum Alpaka Beach. Dort kann man neben frei laufenden Lamas auf In- und Outdoorfeldern das ganze Jahr über Volleyball spielen. Nach einer Partie in der prallen Mittagssonne hebt Bürgermeister Stefan Joachimsthaler die Bedeutung des X900 für seine Gemeinde hervor. Als „Flächengemeinde“ profitiere Alling sehr von der Verbindung.

Mit ein paar Sandkörnern im Gepäck fährt der Bus anschließend zur Klosteranlage Fürstenfeld – der letzten kulturellen Station des Tages. Zunächst geht’s aber wieder um Verkehr: In Fürstenfeldbruck fahren insgesamt 53 Buslinien. Bei der Untersuchung des Verkehrsbündnisses „Allianz pro Schiene“ erreichte der Landkreis im bundesweiten Vergleich zur Erreichbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs aller 294 deutschen Landkreise den ersten Platz. Und damit nicht genug: Laut Mobilitätsmanagerin Montserrat Miramontes sind weitere 60 Maßnahmen geplant, um die Spitzenposition zu sichern. So soll zeitnah etwa ein Lastenradverleih eingerichtet werden.

Anschließend begeben sich die Mitfahrenden zum dritten und letzten Mal auf Zeitreise: Nach 16. und 9. Jahrhundert geht’s nun ins Jahr 1263. In diesem Jahr gründete ein anderer Ludwig – nämlich Ludwig der Strenge, Herzog von Bayern – das Zisterzienserkloster. Bevor die Polizei 1924 in das Gebäude einzog, passierte so einiges: Es wurde im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden geplündert, war eine Militärinvalidenanstalt und beherbergte zwischenzeitlich einen bayerischen Tuchhändler. Nach der Besichtigung der Klosteranlage, in der heute Nachwuchspolizistinnen und -polizisten ausgebildet werden, endet die Tour mit einer geselligen Brotzeit.

Das Auto? Hat an diesem Tag keine Rolle gespielt.

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