Starnberg:Unter Verschluss

Starnberg: Eva John sieht sich erneut mit dem Vorwurf konfrontiert, Stadtratsbeschlüsse nicht auszuführen.

Eva John sieht sich erneut mit dem Vorwurf konfrontiert, Stadtratsbeschlüsse nicht auszuführen.

(Foto: Arlet Ulfers)

Was steht im juristischen Gutachten zu den Folgen eines Nichterfüllens der Bahnverträge? Der Starnberger Stadtrat verlangt weiterhin Einsichtnahme in das Papier, doch die Bürgermeisterin verfolgt eigene Pläne

Von Peter Haacke, Starnberg

Der Starnberger Stadtrat beharrt weiterhin darauf, die juristische Expertise zur Nichterfüllung des Bahnvertrags einsehen zu können. Seit Wochen schon hält Bürgermeisterin Eva John trotz mehrfacher Aufforderung das brisante Papier eisern unter Verschluss, obwohl der Vertrag aus dem Jahr 1987 nur bis Jahresende befristet ist. Doch John schweigt ebenso wie die Deutsche Bahn AG (DB). Die Folgen könnten fatal sein: Der Stadt drohen millionenschwere Schadenersatzklagen, und die Stadträte sind ohne Information.

"Seeanbindung" und "Bahnvertrag" sind derzeit die heikelsten Themen Starnbergs. Das Projekt - zuletzt auf eine Gesamtsumme von 115 Millionen Euro taxiert - basiert auf dem 1987 geschlossenen Bahnvertrag, der bislang aber nur teilerfüllt ist. Mit Hochdruck arbeitete die Stadt bis Anfang 2014 an dem Projekt. Doch mit Amtsübernahme von Eva John und der Weigerung der damaligen Mehrheit im Stadtrat, eine "Verkehrliche Aufgabenstellung" (VAST) der DB anzuerkennen, herrscht Schweigen zwischen den Vertragspartnern. Angesichts der ungeklärten Umstände beauftragte das Gremium im Sommer 2016 die Bürgermeisterin mit der Angelegenheit: Neben einem juristischen Gutachten zur Nichterfüllung des Vertrags sollte John ein Gespräch mit DB-Verantwortlichen unter Beteiligung der Fraktionen vereinbaren sowie Alternativen zu den bisherigen Planungen präsentieren lassen. Doch monatelang passierte nichts, wertvolle Zeit verstrich. Im Sommer 2017 stellte sich dann heraus, dass John dem Stadtrat wichtige Informationen vorenthalten, das juristische Gutachten nicht in Auftrag gegeben und auch keine Termine vereinbart hatte. Erst mit Verspätung zeichnete Rechtsanwalt Walter Georg Leisner in einem mündlichen Vortrag nichtöffentlich ein düsteres Bild von den Folgen eines Vertragsbruchs. Die Expertise aber blieb unter Verschluss.

Der Stadtrat befasste sich am Montag erneut - zunächst öffentlich - mit dem strittigen Thema. Doch kurz nach Mitternacht - WPS, BMS und FDP mit Ausnahme von Anton Wiesböck hatten den Saal längst verlassen - gab es die nächste Überraschung: John hat offensichtlich ein weiteres Mal einen ausdrücklichen Stadtratsbeschluss ignoriert. Sie berichtete von einem zweiten Gespräch mit DB-Verantwortlichen in der Vorwoche, an dem auch Leisner teilgenommen haben soll. Pikant an der Sache: Der Münchner Rechtsanwalt ist längst von seinem Mandat entbunden worden.

Zum Sitzungsauftakt hatte Patrick Janik auf "Chancen und Risiken" zum weiteren Umgang mit dem juristisch anspruchsvollen Thema hingewiesen und die unzureichende Informationslage des Stadtrats moniert. Gleichwohl beharrte er nicht länger auf Herausgabe der Expertise, sondern nunmehr nur auf eine "Möglichkeit der Einsichtnahme". Grund: Die Herausgabe des Papiers ist - im Gegensatz zur Einsichtnahme - offensichtlich nicht einklagbar. Janik beantragte daher eine Aufhebung der Beschlüsse vom 28. September.

Stefan Frey (CSU) mühte sich, die Angelegenheit auf den Punkt zu bringen. Er fragte John: "Gewähren Sie uns Einsicht in das Papier: Ja oder Nein?" Die Bürgermeisterin jedoch antwortete: "Ich beantworte alles am Schluss" - und provozierte damit eine weitere quälend lange Debatte, in der sich nahezu alle neun Fraktionen zur Abgabe einer Stellungnahme berufen fühlten. So mochte etwa Josef Pfister (BMS) keine große Brisanz in den Verträgen erkennen, die ohnehin alle "pro Bahn gestaltet sind". Markus Mooser (WPS) gab sich "verwirrt von Janiks Ausführungen" und wollte wissen, ob die Zwei-Drittel-Mehrheit im Gremium denn nun eine kommunalrechtliche Klage gegen John eingereicht habe oder nicht. Mooser: "Es kennt sich vorne und hinten keiner mehr aus." Fraktionskollege Günther Picker stellte fest: "Der Kommunalverfassungsstreit wäre in die Hose gegangen", weil ein Anspruch auf Herausgabe des Gutachtens nicht durchsetzbar sei.

Während Franz Sengl (Grüne) die angestrebte Einsichtnahme als "Kompromiss" bezeichnete, verdeutlichte Frey, dass John sämtliche erteilten Aufträge nicht erfüllt, Beschlüsse nicht umgesetzt und erst im April 2017 stückchenweise mit der Aufarbeitung begonnen habe. Er verlangte ebenso wie Tim Weidner (SPD) Einblick in die Unterlagen, um seine Pflichten als Stadtrat wahrnehmen zu können und "damit ich richtig entscheide". Otto Gaßner (UWG) bekannte sich explizit zum Vertragswerk, das unter seiner Mitarbeit entstanden war. Der dienstälteste Stadtrat Gerd Weger (CSU) bezeichnete den Vorgang als "Trauerspiel", wie er es zuvor noch nie erlebt habe, Martina Neubauer (Grüne) befürchtete "massiven Schaden" für die Stadt. Anton Wiesböck (FDP) dagegen wollte weder Bahnverträge noch Gutachten lesen.

Das Gremium beschloss mehrheitlich, sein Recht auf Einsichtnahme zu wahren, zur Not mittels einer Klage. Fraglich ist nur, ob das bis Jahresende klappen wird.

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