Eklat:Starnberger Stadtrat nennt Stadträtin "Judas", Bürgermeisterin stimmt gegen Rüge

Bei der Debatte um den Tunnel erreicht das Gremium den Tiefpunkt. Mitglieder werten den Eklat als "indiskutabel" und "unerträglich".

Von David Costanzo

Die Sitzung beginnt mit einem Gedenken an die Opfer des antisemitischen Anschlags von Halle, auf den Stadträte noch am nächsten Tag Bezug nehmen werden. Es folgt die Debatte über das Bürgerbegehren gegen den geplanten Tunnel, der die Autos bis zu 45 Meter unter dem Schlossberg hindurch führen soll. Doch der Tiefpunkt wird erst danach erreicht - mit Tumulten und bislang im Stadtrat nicht gehörten Beschimpfungen.

Günther Picker (WPS) verweigert eine Entschuldigung dafür, dass er eine Stadträtin wiederholt "Judas" genannt hat. Der Stadtrat verpasst ihm dafür am Donnerstagabend die womöglich erste Rüge im höchsten gewählten Gremium Starnbergs. Eine große Mehrheit stimmt für die Sanktion, Bürgermeisterin Eva John (BMS) votiert dagegen.

Eklat: Es wird keinen Bürgerentscheid über den geplanten Tunnel in Starnberg geben. Das hat der Stadtrat am Donnerstag beschlossen – danach kommt es zu Tumulten.

Es wird keinen Bürgerentscheid über den geplanten Tunnel in Starnberg geben. Das hat der Stadtrat am Donnerstag beschlossen – danach kommt es zu Tumulten.

(Foto: imago stock&people)

Dass der Stadtrat in Tunnelgegner und Befürworter gespalten ist, dass immer wieder harte Worte fallen, dass die Bürgermeisterin keine Mehrheit hat, dass sich Stadtrat und Rathauschefin immer wieder vor Gericht sehen, daran haben sich viele Starnberger gewöhnt. Dass aber im Stadtrat ungehindert ein Begriff benutzt wird, den Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde von Oberbayern, als "untrennbar vom antijudaistischen Ressentiment" empfindet, hinterlässt viele Stadträte fassungslos.

Starnberg,  Stadtrat Sitzung

Sieglinde Loesti (Parteifreie).

(Foto: Georgine Treybal)

Die Stimmung hatte sich aufgeschaukelt. Die Tunnelgegner - zu denen Picker und John gehören - erleiden eine völlig überraschende Niederlage. Der Bürgerentscheid entfällt, weil die Tunnelbefürworter die Forderungen aus dem Bürgerbegehren einfach übernehmen und selbst beschließen. Sie ziehen ihre Zustimmung von 2017 formal zurück, der Bund habe schließlich längst mit dem Bau begonnen, ein Bürgerentscheid bliebe folgenlos. Das Bürgerbegehren verpufft. Das hat kein Tunnelgegner kommen sehen.

Starnberg Stadtrat

Günther Picker (WPS).

(Foto: Georgine Treybal)

Es folgt der erste persönliche Angriff. Stadträte monieren, dass die Bürgermeisterin eigentlich dagegen vorgehen müsse. Sieglinde Loesti (Parteifreie) erinnert daran, dass Picker sie in der vergangenen Sitzung beim Thema Tunnel ohne Konsequenzen beschimpfen durfte - mit dem Wort "Judas" und das gleich zweimal. Sie bestehe auf einer Entschuldigung, auch im nicht öffentlichen Teil der Sitzung.

Stille. Picker ergreift das Wort und sagt mit bebender Stimme gerichtet an Loesti: "Sie sind das, was ich gesagt habe." Tumult bricht aus. Vier Stadträte verlassen unter Protest den Saal - Martina Neubauer (Grüne), Angelika Kammerl (Parteifreie), Otto Gaßner (UWG) und Johannes Bötsch (Bürgerliste). Kammerl sagt am Freitag, sie habe erwartet, dass die Bürgermeisterin Picker von der Sitzung ausschließt. Loesti fügt in der Sitzung hinzu, sie habe Picker nie angegriffen, er könne aber nicht verkraften, dass sie vor Jahren dessen WPS verlassen habe. Stadträte fordern eine Rüge, die Bürgermeisterin antwortet, dass nur das Gremium eine aussprechen könne. Christiane Falk (SPD) beantragt die Sanktion, was Picker mit den Worten quittiert: "Ich bleibe bei meiner Meinungsäußerung und werde die mögliche Rüge nicht zur Kenntnis nehmen."

Die Abstimmung fällt eindeutig aus. Die Fraktionen von CSU, UWG, Grünen, Parteifreien, SPD sowie der Bürgerliste, die zuvor noch mit den Tunnelgegnern votiert hatte, verschaffen der Rüge mehr als eine Zweidrittelmehrheit. Dagegen stimmen die anwesenden Vertreter von WPS, FDP, BMS und die Bürgermeisterin.

John erklärte ihr Nein am Freitag auf Nachfrage damit, dass sie glaube, der schwelende Konflikt zwischen einigen Stadtratsmitgliedern lasse sich nicht durch Rüge, Ordnungsgeld oder andere Ordnungsmaßnahmen lösen. Diese würden zu keinerlei Verhaltensänderung führen, sondern die gegenseitigen persönlichen Vorbehalte noch verstärken und zu weiteren Verletzungen führen. Beleidigungen, Beschimpfungen, auch Bezeichnungen wie "Verräter" oder "Judas", seien nirgends tolerabel. Picker blieb bei seiner Bezeichnung. Er habe diese wegen Loestis Fraktionswechsel synonym zu "Verräter" verwendet und distanziere sich von allen anderen Interpretationen.

Die Grünen dagegen halten die Verwendung - abgesehen vom "flegelhaften Verhalten" - für indiskutabel. Der Begriff vereine "jahrhundertelang gewachsene, antisemitische Zerrbilder". Das Gedenken an die Opfer von Halle zu Sitzungsbeginn habe sich ins Gegenteil verkehrt. Die Bürgermeisterin toleriere Fehlverhalten in den Sitzungen nicht nur, sondern sie unterstütze es noch durch ihre Weigerung, der Rüge zuzustimmen, sagte Martina Neubauer. Stefan Frey (CSU), der schon in der Sitzung zu Sachlichkeit aufgerufen hatte, hält den Vorgang für "unerträglich". Sein Fraktionskollege Gerd Weger, mit 48 Jahren Zugehörigkeit der dienstälteste Stadtrat, kann sich nicht daran erinnern, dass es im Gremium jemals eine solche Rüge gab. "Der Ton ist mit früher nicht vergleichbar", sagte er. "Das ist außer Kontrolle geraten."

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