Süddeutsche Zeitung

Randale in Starnberg:"Als nächstes wird geschossen"

Im Prozess um das eskalierte Fest sagt eine Frau aus, die zur Zeit der Randale in der Inspektion war. Jugendliche werfen der Polizei ein zu hartes Vorgehen vor.

Von Christian Deussing

Was ist in der Krawallnacht vor der Starnberger Polizeiwache am 25. Juli vorigen Jahres wirklich passiert? Was kann den fünf angeklagten Jugendlichen eindeutig nachgewiesen werden, denen die Staatsanwaltschaft unter anderem Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte, Widerstand und versuchte Gefangenenbefreiung vorwirft? Am zweiten Prozesstag vor dem Jugendschöffengericht in Starnberg schildert eine Frau, in was für einer beängstigenden Situation sie sich befunden habe: Sie sei gegen 22 Uhr im Vorraum der Inspektion gewesen, viele Leute hätten versucht, die Eingangstür einzudrücken. "Draußen ging es höllisch zu, und ich hörte ein Klirren", berichtet die 57-jährige Zeugin, die damals ihren Sohn in einer Zelle besuchen wollte. Ein Polizist habe sie aufgefordert, lieber zu gehen, und ihr erklärt: "Wir können Ihre Sicherheit nicht mehr gewährleisten, haben viel Verstärkung angefordert - und als nächstes wird geschossen."

Die Frau berichtet am Freitag auch davon, dass kurz zuvor zwei Beamte einen Jugendlichen im festen Griff in die Wache geschleift hätten. Er habe sich wahnsinnig gewehrt, um sich geschlagen und bald nach einem Arzt gerufen. Nach dieser Aussage entschuldigte sich einer der Angeklagten spontan bei der Mutter für die Ängste, die sie wegen der bedrohlichen Situation habe ausstehen müssen.

Dem Gericht geht es aber auch um die Frage, ob sich die beiden Polizisten damals korrekt und angemessen verhalten haben, als sie vor der Eskalation einen 15-Jährigen auf dem Vorplatz des Gymnasiums festnahmen. Dazu befragt Richter Ralf Jehle einen Freund des Angeklagten, den heute 16 Jahre alten Jugendlichen, der gegen seinen Willen auf die Wache gebracht worden sein soll.

Zu den Tumulten war es womöglich auch deshalb gekommen, weil er schwarzer Hautfarbe ist. Die Beamten hätten sich bei der Personenkontrolle aggressiv verhalten, seinen Freund plötzlich auf den Boden geworfen, auf den Oberkörper geschlagen und ihm Handschellen angelegt, behauptet der 17-jährige Kumpel. Keiner habe das verstanden , "wir dachten an die USA und die Schwarzen."

Die Beamten seien hart vorgegangen, und man sei sauer auf die Polizei gewesen, berichtet der Schüler dem Gericht. Er sei mit etwa 50 Jugendlichen mit zur nahen Wache gelaufen und noch ins Gebäude gelassen worden, weil er sich als Zeuge angeboten habe. "In der Schleuse habe ich die Hilferufe meines Freundes gehört, er hatte Angst", erinnert sich der Jugendliche.

Befragt werden auch zwei Gymnasiasten, die die Angeklagten nicht kennen und auf dem Sommerfest ihrer Schule gefeiert haben. Bis zur Festnahme sei die Stimmung entspannt gewesen, erzählt einer der beiden unbeteiligten Zeugen. "Dann wurde es sehr hektisch, und ich sah eine Gruppe aufgewühlter Menschen an einem Baum beim Zebrastreifen." Er habe auch gehört, wie gerufen worden sei: "Nur weil er schwarz ist."

Auch von diesem 19-Jährigen will der Richter wissen, ob die zwei Polizisten bei der Kontrolle und Festnahme des 15-Jährigen angemessen reagiert hätten? Das wisse er nicht, sagt der junge Starnberger. Allerdings glaube er, dass die später zur Hilfe gerufenen Einsatzkräfte der Polizei "etwas unkontrolliert und zu hart gegen die Jugendlichen vorgegangen" seien.

Der damals festgenommene Jugendliche bekräftigt am Freitag seinen Vorwurf, von einem Polizisten gegen den Hinterkopf getreten oder geschlagen worden zu sein. Doch bei einer ärztlichen Untersuchung noch in der selben Nacht sind laut Gericht keine frischen Verletzungen erkannt worden.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2020
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