Fachkräftemangel in Kitas und in der Pflege:Heftige Kritik an Plänen von OB Reiter

Fachkräftemangel in Kitas und in der Pflege: Die Beschäftigten in Kitas und im Pflegebereich sollen in Regionen mit hohen Lebenshaltungskosten mehr Geld bekommen. Aber wer zahlt?

Die Beschäftigten in Kitas und im Pflegebereich sollen in Regionen mit hohen Lebenshaltungskosten mehr Geld bekommen. Aber wer zahlt?

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) will den Flächentarifvertrag lockern, um Erzieher und Pfleger besser zu bezahlen. Bei den Kommunen im Umland von München stößt das auf Widerstand: Um mithalten zu können, fehlt ihnen das Geld.

Von Linus Freymark, Starnberg

Dieter Reiter ist - anders als etwa sein Amtskollege Boris Palmer aus Tübingen - nicht dafür bekannt, mit utopischen Forderungen zu glänzen. Und so dürfte es sich der Münchner Oberbürgermeister wohl überlegt haben, was er in dieser Woche in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur vorgebracht hat: Der Sozialdemokrat will in Kommunen mit hohen Lebenshaltungskosten den Flächentarifvertrag für Pfleger und Erzieher lockern, damit Städte und Gemeinden den Beschäftigten mehr Geld zahlen können.

Der Fachkräftemangel ist gerade in diesen Branchen enorm, und weil die Region München ein teures Pflaster ist, sind die Kommunen hier kein wirklich attraktiver Arbeitgeber. Trotz aller Zulagen bleibt bei den Beschäftigten aufgrund der absurd hohen Mieten weniger übrig als in anderen Regionen, zudem locken viele private Firmen mit besseren Angeboten.

Fachkräftemangel in Kitas und in der Pflege: "Mich nervt es einfach, dass man so tut, als gäbe es in ganz Deutschland einheitliche Verhältnisse": Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) will Pfleger und Erzieher besser bezahlen.

"Mich nervt es einfach, dass man so tut, als gäbe es in ganz Deutschland einheitliche Verhältnisse": Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) will Pfleger und Erzieher besser bezahlen.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

All diese Gründe nimmt Reiter nun zum Anlass, mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) nach einer Lösung zu suchen, "ohne die Grundfeste der gewerkschaftlichen Idee zu tangieren." Für Anfang des kommenden Jahres sind weitere Gespräche zwischen Vertretern der Landeshauptstadt und dem DGB geplant. Wann und ob es dabei zu einer Einigung kommen könnte, ist bislang nicht bekannt. Doch im Umland rumort es: Wer soll das bezahlen, wenn es bei einer ausgewogenen Konkurrenzsituation bleiben soll?

Die Probleme der Landeshauptstadt teilt man auch in Starnberg und umliegenden Gemeinden

Tarifverträge sind für Gewerkschaften normalerweise heilig, in der aktuellen Situation spiegeln sie laut Reiter jedoch nicht die realen Gegebenheiten im Raum München wider. "Mich nervt es einfach, dass man so tut, als gäbe es in ganz Deutschland einheitliche Verhältnisse", sagte der Münchner Oberbürgermeister.

Nun ist auch im Landkreis Starnberg das Leben besonders teuer: Allein die Kreisstadt Starnberg ist die Kommune mit den bundesweit höchsten Mieten, auch in den Gemeinden drumherum sieht es kaum besser aus. Dieses Problem teilt man also mit der Landeshauptstadt - ebenso wie den Fachkräftemangel in der Pflege und der Kinderbetreuung.

Aber es gibt einen Unterschied: Die Stadt München hätte wohl die finanziellen Mittel, um höhere Löhne zahlen zu können. Im Raum Starnberg hingegen sieht sich kaum ein Bürgermeister imstande, aus seinem öffentlichen Haushalt mehr Geld für Pfleger und Erzieher zur Verfügung zu stellen. Und genau deshalb sorgt der Vorstoß aus München für Ärger: Er halte die Forderung für "nicht besonders weitsichtig", erklärt Starnbergs Landrat Stefan Frey (CSU). Beim Fachkräftemangel sei es für die Kommunen wichtig, "an einem Strang zu ziehen und nicht einseitig auszuscheren". Als Träger des Starnberger Klinikums müsste der Landkreis mit der finanzstärkeren Landeshauptstadt um Pflegekräfte konkurrieren und deshalb wohl mit deutlich höheren Betriebskosten rechnen . Frey warnt vor einem "Überbietungswettbewerb" zulasten kleinerer Kommunen.

"Der Landkreis hat zwar reiche Bürger, aber keine reichen Kommunen."

Allein die Großraumzulage schlägt nach Angaben des Starnberger Landrats mit 3,5 Millionen Euro im ohnehin angespannten Kreishaushalt zu Buche. "Was sollen wir denn da noch on top drauflegen?", fragt sich Frey. Anstatt einzelner kommunaler Vorstöße brauche es bayernweite Regelungen. "Sonst sticht der eine den anderen aus", sagt Frey. Die Forderung aus München hält der Landrat deshalb für "unausgegoren".

Fachkräftemangel in Kitas und in der Pflege: Starnbergs Landrat Stefan Frey (CSU) hält die Forderung von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter für "unausgegoren".

Starnbergs Landrat Stefan Frey (CSU) hält die Forderung von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter für "unausgegoren".

(Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)

Auch der Pöckinger Bürgermeister Rainer Schnitzler (PWG) zeigt sich wenig begeistert. Als Sprecher der Bürgermeister im Landkreis vertritt Schnitzler die Interessen der Stadt Starnberg und der übrigen 13 Gemeinden, die gemeinsam mit dem Freistaat Bayern die Kitas finanzieren. Einerseits sieht Schnitzler die Notwendigkeit, dass das Personal aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten besser bezahlt werden muss. Nur: Woher sollen die Kommunen das Geld dafür nehmen? "Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust", sagt Schnitzler. Denn anders als das Klischee über den Kreis Starnberg suggeriert, gehe es den Gemeinden hier finanziell längst nicht so gut. "Der Landkreis hat zwar reiche Bürger, aber keine reichen Kommunen", erklärt Schnitzler.

Fachkräftemangel in Kitas und in der Pflege: "Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust": Bürgermeistersprecher Rainer Schnitzler (PWG) aus Pöcking.

"Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust": Bürgermeistersprecher Rainer Schnitzler (PWG) aus Pöcking.

(Foto: Arlet Ulfers/Starnberger SZ)

Sollten die Vorgaben der Tarifverträge gelockert werden und München bald mehr zahlen dürfen, sieht Schnitzler nur zwei Möglichkeiten, um finanziell mithalten zu können: Entweder geben die Kommunen die Mehrkosten an die Eltern weiter - in Zeiten von Inflation und explodierenden Energiekosten für Schnitzler kaum eine realistische Option. Oder aber der Freistaat springt ein. Man habe in der Vergangenheit bereits versucht, die Staatsregierung dazu zu bewegen, die Zuschüsse zu erhöhen. Bislang sei man damit stets auf Ablehnung gestoßen. Nun aber, da auch für die Kommunen die Kosten in nahezu allen Bereichen gestiegen sind, müsse man sich im Sozialministerium erneut damit auseinandersetzen, fordert Schnitzler.

Aus dem Münchner Rathaus kommt derweil eine Reaktion auf die Kritik aus dem Umland: Man befinde sich in einem Diskussionsprozess, teilte Oberbürgermeister Dieter Reiter auf SZ-Anfrage mit. Dabei gehe es ihm vor allem darum, "dass die Notfallversorgung für meine Bürgerinnen und Bürger flächendeckend gewährleistet ist. Und dazu braucht es insbesondere in München bessere Bezahlung." Über die Auswirkungen auf die Kommunen im Speckgürtel seiner Stadt äußert sich der Münchner Oberbürgermeister nicht. Auch das dürfte wohl überlegt sein - den Kommunalpolitikern im Umland aber kaum gefallen.

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