Es sind schwierige Zeiten für den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland: Die finanziellen Mittel sind beschränkt, die Herausforderungen dagegen riesig. Die Infrastruktur soll modernisiert und ausgebaut werden. Gleichzeitig fehlt es den Verkehrsbetrieben immer wieder an Personal und vor allem am Geld. So sieht das jedenfalls Bernd Rosenbusch, der Geschäftsführer des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV).
Einmal im Jahr lädt das Unternehmen zu einer Schifffahrt ein, der Anlass ist eine gute Gelegenheit, auf die Probleme der Branche hinzuweisen. Denn wie soll so die Verkehrswende gelingen – erst recht im ländlichen Raum? Während das Schiff über den Starnberger See schippert, findet Rosenbusch abseits der offiziellen Worte Zeit für ein Gespräch über Fahrgastzahlen, Sammeltaxis und Azubis, die wegen fehlender Busverbindungen ihre Ausbildung nicht antreten können.
SZ: Herr Rosenbusch, Sie sind selbst gerne mal als Fahrgast im Außenbereich des MVV-Gebiets unterwegs. Jetzt mal ehrlich: Wie zufrieden sind Sie mit dem ÖPNV im ländlichen Raum?
Bernd Rosenbusch: Das ist von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich. Die Landkreise München, Fürstenfeldbruck und Starnberg haben da wirklich extrem viel getan in den vergangenen zehn Jahren. Dort gibt es nun viel mehr Verbindungen. Kurzum: Ich bin eigentlich ganz zufrieden.
Als Fahrgast hat man mitunter den Eindruck: Das Angebot wird zwar größer, aber gar nicht wahrgenommen. In vielen Bussen im Münchner Umland sitzen gefühlt weniger als zehn Menschen, inklusive Fahrer.
Das ist total schade, denn der Eindruck täuscht. Wir hatten in den vergangenen Jahren einen enormen Zuwachs bei den Fahrgastzahlen verzeichnet. Ein Beispiel: Im Landkreis Starnberg haben wir im Schnitt fast 16 Fahrgäste pro Fahrt. 2018 lag der Wert noch bei 12,6. Das ist schon enorm. Bei den Expressbussen sind die Zahlen noch besser, da sind wir bei durchschnittlich rund 28 Fahrgästen.
Aber ist das wirklich so viel? Ein Bus hat doch Platz für mindestens 50 Menschen.
Ja, das ist viel. Denn die Werte ergeben sich über den gesamten Betrieb; gemessen werden also alle Fahrten, von morgens um vier bis 23 Uhr. Das ist definitiv ein guter Wert.
Dennoch steht das Mammutprojekt „Verkehrswende“ vor großen Problemen: Dem Staat fehlt das Geld, den Verkehrsbetrieben fehlt es an Fahrern und obendrein sind die Kosten für Mobilität explodiert. Wie soll man da die Menschen aus dem Auto in den Zug oder den Bus bekommen?
Die Probleme wechseln sich ab. Die Situation mit den Busfahrern etwa war Ende letzten Jahres sehr schwierig. Am Ostufer des Starnberger Sees fuhr damals stundenlang kein Bus. Das war wirklich dramatisch. Ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr gehört schließlich zur Grundversorgung der Menschen dazu, egal ob in der Stadt oder weiter draußen. Das Thema ist inzwischen weitgehend gelöst: Wir haben im MVV-Raum etwa 1000 Busse. Und von denen fahren fast alle.
Bleibt die Frage der Finanzierung.
Das stimmt, Busfahren ist nicht ganz günstig. Ein Kilometer Busfahren kostet in etwa drei Euro. Das Teure ist dabei übrigens nicht der Bus, sondern das Personal. Die Ticketeinnahmen reichen bei Weitem nicht, um diese Kosten zu decken. Deshalb stehen wir vor der Kernfrage: Wie kann man kürzen, dass es so wenig wehtut wie möglich? Denn wenn die Kommunen keine Mittel mehr haben, ist das langfristig die einzige Möglichkeit.
Moment, das ergibt doch keinen Sinn. Man will mehr Leute dazu bekommen, den ÖPNV zu nutzen, und dann streicht man das Angebot zusammen?
Ja, das muss leider sein. Die Kunst ist, so zu streichen, dass es der Fahrgast so wenig wie möglich merkt. Weniger Busse in den Ferien sind zum Beispiel eine Möglichkeit. Aber egal, für welche Option wir uns entscheiden, ist es immer schade, wenn Verbindungen wegfallen. Denn wie gesagt: Die Zahlen zeigen uns ja eigentlich, dass ein besseres Angebot mehr Fahrgäste bringt. Besser wäre es daher, wenn möglichst viele den Bus nutzen, dann werden so die Kosten gedeckt.
Viele Verbindungen und obendrein günstige Tickets wären wohl tatsächlich ein gutes Argument für viele, auf den ÖPNV umzusteigen. Wenn man dieses Ziel wirklich erreichen will, muss irgendjemand die Kosten dafür übernehmen. Dabei kommt man schnell auf Bund, Länder und Kommunen, aber bislang ist niemand dazu bereit oder in der Lage. Ist die Verkehrswende politisch denn überhaupt gewollt?
Das ist sehr unterschiedlich. Der Bund etwa ist nur für den Schienenverkehr zuständig, für das Busnetz interessiert er sich wenig. Anders sieht das beim Freistaat aus. Der Staatsregierung ist es wirklich ein Anliegen, hier voranzukommen. Da gibt es immer wieder Förderungen und neue Konzepte wie On-Demand-Verkehr oder Sammeltaxis. Aber: Die Zuschüsse für die Kommunen durch den Freistaat sind seit Jahren nicht mehr gestiegen, während uns die Kosten davonlaufen. Die Kommunen haben zuletzt viel davon aufgefangen. Aber auf lange Sicht kann dieses Modell nicht funktionieren. Auch gegenüber der Bundesregierung ist sehr viel politische Arbeit notwendig. Die Bahn muss dringend pünktlicher werden. Wir brauchen einfach mehr Geld im System, um die Verkehrswende hinzubekommen.
Aber wo soll dieses Geld herkommen? Der Staat muss schließlich zunächst seine Pflichtaufgaben erfüllen, bevor er sich um Projekte wie die Verkehrswende kümmern kann.
Es ist ein systemischer Fehler, dass die Finanzierung des ÖPNV in Bayern keine kommunale Pflichtaufgabe ist. So sind wir neben vielen anderen als Erste von Kürzungen betroffen. Aber wenn wir die Verkehrswende schaffen wollen, brauchen wir Planungssicherheit, vor allem beim Finanziellen. Es gibt da aber leider ein Problem, weswegen der Staat kein wirtschaftliches Interesse am Ausbau des ÖPNV hat: Wenn ich mir ein Auto kaufe, komme ich als Privatperson für die Kosten auf. Wenn ich Bus oder Bahn fahre, zahlt es der Staat, und bei ihm fallen quasi die Kosten an.
Wenn es der öffentlichen Hand überall an finanziellen Mitteln fehlt, ist das kein gutes Argument für Verhandlungen um mehr Geld.
Auch in Zeiten knapper Kassen muss man sich die Bedeutung des ÖPNV für seine Region klarmachen. Wir reden hier nicht nur von Daseinsfürsorge oder Grundversorgung, sondern auch von der Teilhabe am öffentlichen Leben. Das wird in Zukunft immer wichtiger: Wir haben immer mehr Rentner, Azubis und Asylbewerber. Die kommen oft gar nicht zum Arzt, in die Arbeit oder zum Sportverein, weil sie nicht Auto fahren können oder dürfen. Wir bekommen wirklich viele Zuschriften von Eltern, die uns schreiben: Mein Sohn kann seinen Ausbildungsplatz nicht antreten, weil kein Bus fährt.
Wir haben bislang nur über Busse für den ländlichen Raum gesprochen. Welche anderen Konzepte gibt es noch? Sie haben eben das On-Demand-Modell angesprochen. Was genau ist das eigentlich?
Das sind eine Art Sammeltaxis, die nicht fahrplanbasiert sind. Das bedeutet: Wenn ich mit der S-Bahn in Feldafing ankomme, rufe ich an. Dann macht sich das Sammeltaxi auf den Weg, sammelt unterwegs aber vielleicht noch andere Leute ein oder setzt jemanden ab. Es kann also sein, dass es zu längeren Wartezeiten kommt. Das ist zwar vielleicht ein bisschen suboptimal, erst recht nachts ist das natürlich ein Nachteil. Gleichzeitig sind wir dadurch sehr flexibel. Für Gebiete mit großer Fläche wie im Landkreis Bad-Tölz Wolfratshausen ist das On-Demand-Konzept wahrscheinlich das einzig Praktikable zwischen den Bahnachsen.
Das MVV-Gebiet ist immer wieder erweitert worden, bald reicht es von Freising bis Kufstein und von Schongau bis zum Chiemsee. Ist diese Netzgröße deutschlandweit einzigartig?
Das Besondere ist, dass es keine größeren Städte in der Nähe von München gibt. In der Nähe von Stuttgart gibt es mehrere Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern. Mit Nordrhein-Westfalen brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Rund um München ist das Nächstgrößere Augsburg. Dann kommt Rosenheim, aber das ist auch schon ein ganzes Stück entfernt. Dadurch ergeben sich viele individuelle Bedürfnisse, auf die wir mit unserem Angebot eingehen müssen. Und wir müssen die Pendlerströme ebenso bedienen wie den Ausflugsverkehr. Insofern ist unser Tarifgebiet im deutschlandweiten Vergleich tatsächlich einzigartig.