Psychische Erkrankungen:Monster im Kopf

Psychische Erkrankungen: Psychische Erkrankungen - sei es Depression, Borderline, Burnout, Angst oder Sucht - sind häufiger, als man es im Alltag wahrnimmt.

Psychische Erkrankungen - sei es Depression, Borderline, Burnout, Angst oder Sucht - sind häufiger, als man es im Alltag wahrnimmt.

(Foto: Andrew Ostrovsky; Bearbeitung SZ/PantherMedia)

Depressionen, Borderline oder Burnout sind noch immer oft Tabu-Themen. Der Starnberger Verein "Mutmachleute" will das Thema in die Mitte der Gesellschaft rücken und fordert: Mut zur Offenheit!

Von Tim Pohl

Was macht man, wenn die eigene Tochter nur noch aus Haut und Knochen besteht und der Arzt die Diagnose Magersucht stellt? Diese Frage musste sich Andreas Dasser vor einigen Jahren stellen. Doch statt den Schock in sich hineinzufressen, fand er den Weg zum Verein der "Mutmachleute". 2018 von Tina Meffert und Maximilian Laufer gegründet, kämpft die Initiative gegen die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten. Hier fand Dasser Ansprechpartner. "Ich bin durch die Situation an meine Grenzen gekommen und konnte das allein nicht managen", sagt er. "Durch die Hilfe konnte ich die entstandene Hilflosigkeit überwinden und mein Leben wieder selbst in die Hand nehmen."

Das Prinzip des Vereins ist simpel, aber wirkungsvoll: Auf der Homepage können sich Betroffene - psychisch Erkrankte, Angehörige oder Experten - zu Wort melden und ihre ganz persönliche Geschichte erzählen. Damit soll anderen, die ähnlich schwierige Zeiten durchmachen, geholfen werden, die Monster im Kopf zu besiegen. Zugleich will man zur Entstigmatisierung psychischer Krankheiten beitragen. "Wir geben Betroffenen Stimme und Gesicht", sagt Meffert. Dabei geht es nicht darum, dass Betroffene von ihrer schwierigen Vergangenheit erzählen und so womöglich instabile Leser sogar triggern, sondern um Ressourcen, die helfen, ein hoffnungsvolleres Leben zu führen. Das Angebot soll als Brücke dienen zu den oft langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz - oder dabei helfen, zur eigenen Erkrankung zu stehen.

"Die Reaktion seitens Betroffener, aber auch der Angehörigen, ist zu hundert Prozent positiv"

Bislang haben sich rund 350 Menschen, die mit psychischen Problemen kämpfen, bei den Mutmachleuten geäußert. "Die Reaktion seitens der Betroffenen, aber auch der Angehörigen, ist zu hundert Prozent positiv", sagt Meffert. "Man merkt, dass das Thema einen Nerv trifft." Der Verein sei seinem Ziel - eine Gesellschaft ohne Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen - ein Stück näher gekommen. Auch wenn das noch lange nicht reicht. "Die Entstigmatisierung findet vorerst leider nur in einer bestimmten Blase statt", sagt Laufer. Auffallend ist auch: Unter den Betroffenen, die sich bisher über ihre Krankheit geäußert haben, findet sich keine einzige Person mit Migrationshintergrund. Auch diese Lücke will der Verein schließen.

Psychische Erkrankungen: Die "Mutmachleute" Andreas Dasser, Tina Meffert und Max Laufer (v.li.) treten gegen die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Problemen an.

Die "Mutmachleute" Andreas Dasser, Tina Meffert und Max Laufer (v.li.) treten gegen die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Problemen an.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Um breitere Teile der Gesellschaft zu erreichen, wagt man nun auch den Schritt in die analoge Welt, denn bisher spielt sich alles im Internet ab. Für 2023 plant der Verein eine Tour durch ganz Deutschland. "Veranstaltungen, bei denen Betroffene und Nicht-Betroffene miteinander auf Augenhöhe ins Gespräch kommen - auch um Berührungsängste abzubauen", erklärt Meffert. So könne die Anti-Stigma-Arbeit auch effizienter gestaltet werden, regionale Organisationen könnten sich vorstellen und Betroffenen das Thema "Selbsthilfe" näherbringen. Langfristig soll dabei ein Austausch entstehen, der allen Beteiligten hilft. Die erste Veranstaltung, eine Ausstellung, bei der die Bedeutung von Kunst für die Psyche im Mittelpunkt steht, soll es im Januar in Starnberg geben. Meffert erklärt: "Die mit Abstand am meisten genutzte Ressource im Umgang mit psychischen Krisen ist das kreative Schaffen der Betroffenen."

"Jeder lebt mit dem Risiko, über Nacht mit dem Thema konfrontiert zu sein."

Noch liegt der Schwerpunkt jedoch auf der digitalen Welt. So wurde anlässlich des Welttags der psychischen Gesundheit am 10. Oktober ein Kampagnenfilm gedreht, bei dem sich Betroffene mit eigenen Texten vor die Kamera gestellt haben. Laufer sieht im Medium Film einen großen Vorteil, um das Thema aufzubereiten: "Es gibt kaum etwas stärkeres als Betroffene, die selbst ihre Wünsche an die Gesellschaft formulieren können. Gleichzeitig fühlen sich die Beteiligten als Teil einer Bewegung. Und mehr noch: Sie fühlen sich als Teil der Lösung."

Dasser ist nun seit einigen Jahren selbst Teil des Vereins und arbeitet im Projektmanagement. Vor kurzem hat er seinen Job gekündigt, um sich intensiver mit der Arbeit des Vereins befassen zu können. Auch die Familie hat mittlerweile einen Weg gefunden, mit der Krankheit der Tochter umzugehen. Nun möchte er auch anderen direkt oder indirekt Betroffenen eine Anlaufmöglichkeit bieten. Denn er weiß, welche Schuldgefühle einen Familienvater plagen, der zunächst nicht in der Lage ist, das eigene Kind vor einer psychischen Erkrankung zu schützen. "Jeder lebt mit dem Risiko, über Nacht mit dem Thema konfrontiert zu sein. Deshalb ist es umso wichtiger, die persönlich gemachten Erfahrungen mit der Gesellschaft zu teilen", sagt Dasser. Auch Laufer wünscht sich, dass Menschen durch den Verein den Mut finden, Fremde und ihre Geschichten kennenzulernen: "Gerade in Zeiten der sozialen Medien ist es wichtig, dass wir nicht nur kommentieren, sondern miteinander sprechen!"

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