Starnberg/Mühltal:Alles ist möglich

Veranstalterin Elisabeth Carr serviert zu den Münchner Balkantagen eine wilde Mischung aus Musik, Literatur und bildender Kunst im alten "Forsthaus Mühltal"

Von Katja Sebald, Starnberg/Mühltal

Bayern oder Balkan. Wien oder Belgrad. Alphorn oder Geige. Schwermut oder Tanz. Alles war möglich, von allem ein bisschen und alles zugleich: Kulturveranstalterin Elisabeth Carr eröffnete ihren neuen "Möglichkeitsraum" in der ehemaligen Ausflugswirtschaft "Forsthaus Mühltal" mit einer Landpartie der Münchner Balkantage und einer ebenso gelungenen wie wilden Mischung aus literarischen, musikalischen, bildnerischen und kulinarischen Möglichkeiten. Veranstalter der Balkantage ist der Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch", den die aus Bosnien geflüchtete Sadija Klepo vor 25 Jahren als Flüchtlingsinitiative gegründet hatte.

Mühltal Möglichkeitsraum Balkantage

Vom Alphorn bis hin zu Musik aus Osteuropa . Im alten "Forsthaus Mühltal" sind vertraute und fremde Klänge im Rahmen der Münchner Balkantage hören.

(Foto: Georgine Treybal)

"Wir sind in der glücklichen Lage, nicht mehr genau zu wissen, was Heimat ist." Ausgerechnet Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler stellte diesen Satz zu Beginn in den Möglichkeitsraum: Der Heimatbegriff habe sich im Lauf der vergangenen hundert Jahre extrem gewandelt. Sei er zunächst ein juristischer Begriff gewesen, mit dem das "Heimatrecht" definiert wurde, so verbinde man ihn heutzutage vor allem mit Emotionen. Göttler mahnte, dass rechtspopulistische Gruppierungen sich den Begriff Heimat zunutze machten, um zu definieren, wer dazu gehören soll und wer nicht. Heimat habe aber auch mit Migration zu tun, Bayern wäre ohne die Flüchtlinge der Nachkriegszeit heute ein anderes Bayern: "Aber auch nach 1945 war die Situation extrem schwierig." Er plädierte für Inklusion in einer Heimatpflege, die sich nicht nur auf die Vergangenheit beziehen dürfte, sondern gegenwarts- und zukunftsorientiert sein müsse.

Mühltal Möglichkeitsraum Balkantage

Neben den Alphornbläsern trat die Gruppe Saltimora an dem Kulturnachmittag im "Forsthaus Mühltal" auf.

(Foto: Georgine Treybal)

Die Gruppe "Saltimora" öffnete den Raum der Möglichkeiten mit ihrer melancholisch-schönen Musik aus Osteuropa, einem Volkslied in mazedonischer Sprache und einigen Instrumentalstücken noch weiter. Der Künstler Rajko Musolin, ursprünglich aus Belgrad stammend und seit vielen Jahren in Starnberg lebend, begleitete sie nicht nur mit dem Tenorhorn, er zeigte auch Bilder und Skulpturen. Insbesondere eine leichtfüßige, beinahe schwebende Holzform, zart bearbeitet nur, erdverbunden und zugleich elegant wie ein Engelsflügel, hätte wie eine Überschrift über all den ausgesprochenen und unausgesprochenen Möglichkeiten stehen können.

Mühltal Möglichkeitsraum Balkantage

Autor Denijen Pauljevic las aus seiner Erzählung "Mimicria".

(Foto: Georgine Treybal)

Alles ist möglich: Denijen Pauljevic, auch er aus Belgrad, flüchtete während der Jugoslawienkriege nach Deutschland. Er studierte interkulturelle Kommunikation und arbeitet heute in verschiedenen Literatur-, Drehbuch- und Theaterprojekten, unter anderem koordiniert er die diesjährigen Balkantage. 2015 erhielt er das Literaturstipendium der Stadt München. Er selbst ist ein beeindruckendes Beispiel für gelungene Integration - die Protagonisten seiner Erzählung "Mimicria" hingegen drohen schon an den sperrigen Formulierungen und schier unerfüllbaren Forderungen der deutschen Behörden zu scheitern.

Und schließlich las die Wiener Autorin Isabella Feimer aus ihrem Debütroman "Der afghanische Koch": In einem Wiener Lokal verliebt sich eine Kellnerin in einen aus Afghanistan geflüchteten jungen Mann, der dort als Koch arbeitet, in seiner Heimat aber Medizinstudent war. Er ist durch die militärischen und religiösen Konflikte seiner Heimat geprägt, sie ist in behüteten Verhältnissen in Österreich aufgewachsen. Sie versucht, ihn zu begreifen, indem sie seine Geschichte aufschreibt. Aber ist wirklich alles möglich?

Es war die Musik, die mit vier Alphörnen den ungewöhnlichen Kulturnachmittag eröffnete und dann immer wieder leichte Brücken zwischen schweren Texten spannte. Es war das schöne Wetter, das die Besucher zwischendurch aus dem mit Jagdtrophäen an blutrot gestrichenen Wänden ausgestatteten und von düsteren Geschichten erfüllten Raum hinaus lockte. Und es war ein opulentes Büffet mit Köstlichkeiten vom Balkan, das in der Pause auf der Terrasse doch noch für Ausgelassenheit, gute Gespräche, weitere interkulturelle Begegnungen und "alles Mögliche" sorgte - ganz im Sinne von Elisabeth Carr, die diesen Nachmittag "lieber gemeinsam gestalten als veranstalten" wollte.

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