Süddeutsche Zeitung

Starnberg:Mitspielen in der Oberliga

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Dem Architekten Rainer A. Köhler ist es gelungen, das Niveau der Klassikkonzerte in Gauting neu zu definieren. Inzwischen hat er mit seiner Reihe im Bosco den Anschluss an die Weltklasse erreicht

Von Rainer A. Köhler

Der zahlende Besucher, der ins Konzert geht, das Kinofestival besucht oder das Museum, will ein Ergebnis sehen. Zu Recht. Wie viel Arbeit dahintersteckt, bis das Konzept einer Jazz- oder Klassikreihe steht, bis die Rockband den Auftritt zusagt oder bis das erste Bild einer Ausstellung tatsächlich am Nagel hängt, interessiert ihn in dem Moment nicht. Dabei ist auch das ein Kunststück: Festivals, Musik- und Theaterreihen trotz geringer Zuschüsse über Jahre am Laufen zu halten. In der SZ-Serie "Kulturmacher" schreiben Veranstalter, wie ihnen das gelingt und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.

Es war im Nachhinein betrachtet ein weiter Weg bis zum aktuell 184. Konzert mit Solisten, die normalerweise in Musikmetropolen wie London, Paris, New York, Hamburg oder Berlin gastieren. Das hätte ich mir vor 17 Jahren nicht träumen lassen: dass man, anstatt nach München, Salzburg oder Schwarzenberg zu fahren, ins Bosco geht, um Weltklasse-Musiker zu erleben.

Alles ins Rollen brachte ein Konzertabend im Juli 1999 mit befreundeten Solisten der Berliner Philharmoniker, die mehr zufällig als geplant und mir zuliebe in die Gautinger Frauenkirche zum Konzertieren gekommen waren. Das Gautinger Publikum war begeistert, was die Pfarrei dazu bewog, mir eine kleine Konzertreihe zugunsten einer neuen Orgel anzuvertrauen.

Über dieses Angebot habe ich mich gefreut und mich geehrt gefühlt, ohne zu ahnen, was daraus werden würde. Ich merkte aber bald, dass damit eine Menge Arbeit verbunden ist: Auswahl der Musiker, Korrespondenz, Terminfindung und Abstimmung, Verantwortlichkeit vor Ort, Bestuhlung, Abendprogramme entwerfen und kopieren, die Abendkasse organisieren, die anfänglich von meiner Frau besetzt war, und so weiter. Das war neben meinem beruflichen Engagement als Wettbewerbsarchitekt auf Dauer nicht zu stemmen.

Spätestens nach einem halben Dutzend Konzerte und der Einführung der Abos wuchs mir die Aufgabe über den Kopf. Entlastung kam von meinem Sekretariat im Architekturbüro, was der erste Schritt zur Professionalität im Kulturmanagement war.

Als nach mehr als 50 Kammermusikabenden in der Frauenkirche die Orgel angeschafft war, sollte dort keine profane Musik mehr erklingen. Ich stand mit meiner Konzertreihe buchstäblich auf der Straße. Bis wir 2005 im neu eröffneten Bosco unter der Leitung von Hans-Georg Krause eine neue Bleibe fanden. In Kooperation ging es dann so richtig los: Als finanziell und programmplanerisch eigenverantwortlicher Spartenleiter der Klassik habe ich mich im Theaterforum mit seinem engagiertem Team sehr gut aufgehoben gefühlt und meinen ganzen Ehrgeiz daran gesetzt, immer besser zu werden und letztlich in der Oberliga der klassischen Musik mitzuspielen.

Das Schöne daran war, mitzuerleben, wie unser Publikum bei meiner Auswahl der Interpreten und Programme zum Teil euphorisch mitgegangen ist. Ich lernte, was wirklich wichtig ist, um ein Klassikprogramm auf hohem Niveau zusammenzustellen. Zunächst ist die Programmgestaltung für mich die interessanteste Aufgabe, um die Balance zu finden zwischen Streichern und Bläsern, jungen und renommierten Musikern, bekannten und weniger bekannten Werken und zwischen deutschen und internationalen Interpreten. Damit es nach mehr als 180 Konzerten zu keinen Wiederholungen kommt und die Reihe nicht ausbleicht, bemühe ich mich, Musikprogramme abseits des Allerweltsgeschmacks anzubieten. Wie etwa das Schostakowitsch-Projekt am 17. September 2016: Fünf hochkarätige Musiker werden die 15. Sinfonie in einer vom Komponisten autorisierten Fassung für Klaviertrio und Schlagzeugduo zur Aufführung bringen. Die Geigerin Natalia Prishepenko reist aus Berlin an, der Cellist Sebastian Klinger aus Hamburg, die Pianistin Marianna Shirinyan aus Kopenhagen, die Schlagzeuger Johannes Fischer und Domenico Melchiorre aus München und Bern.

Allein die Schlagzeuger benötigen für den Instrumententransport zwei Fahrzeuge. Die Logistik beim Aufbau des Instrumentariums und die Proben samt Flügel an einem geeigneten Ort bedürfen gründlicher Vorbereitung. Der Bayerische Rundfunk schneidet dieses außergewöhnliche Konzert mit.

Ein zweites Beispiel ist das Konzert mit den Les Vents Français am 13. April 2016. Das vielleicht beste Holzbläser-Ensemble unserer Zeit spielt an diesem Abend französische Musik von 1720 bis 1920. Die französische Mäzenin Nicole Bru fördert dieses Projekt mit einer fünfstelligen Summe. Madame Bru hat 2006 im Palazzetto Zane (1685) neben der bekannten Frarikirche in Venedig eine Stiftung etabliert, die Fondation Bru, die sich um die Partituren der französischen Musik und um Tourneeprojekte kümmert. Mit der Förderung werden wir also für den Mut zu ausgefallenen Programmen belohnt.

Für die Vielfalt an Programmen und Interpreten ist eine gute Vernetzung mit führenden Konzertagenturen nötig, um im günstigen Moment zuschlagen zu können. Manchmal ist auch Fügung mit im Spiel. So beim Sonderkonzert mit dem Artemis Quartett, das ich vor zwei Jahren für den 1. Juni 2016 gebucht hatte. Der Bratscher des Ensembles ist im Sommer gestorben, sodass das Quartett eine Nachbesetzung vornehmen musste. Wie es der Zufall will, sind wir in Gauting die ersten in Süddeutschland, die mit der neuen Besetzung aufwarten können, während das Münchner Publikum noch bis zum Herbst darauf warten muss.

An den Weihnachtstagen habe ich viel daran gearbeitet, in den Programmen 2017/18 das hohe Niveau von 2016 halten oder übertreffen zu können. Aus einer engeren Wahl von 60 Programmangeboten habe ich 2o festgemacht und sechs bis sieben für eine Nachwahl ins Auge gefasst. Die frühzeitige Festlegung hat den Vorteil, dass man noch frei wählen kann, aber den Nachteil, keine spontanen Entscheidungen mehr treffen zu können.2017 steht das Quintett im Vordergrund, so viel darf ich schon jetzt verraten.

Bei meiner ehrenamtlichen Arbeit geht es mir in erste Linie darum, mein Publikum dafür zu begeistern, neue Wege mit mir zu gehen, ergriffen zu sein, sich mit Interpreten und Musik auseinanderzusetzen, zu diskutieren, zu vergleichen, vielleicht auch abzulehnen, sich damit zu identifizieren, empört oder sogar verzweifelt zu sein. Mir geht es auch als Musikmacher darum, das gesellschaftliche und kulturelle Leben zu beleben und aufzuwerten in unserer Gemeinde Gauting, die es im Schatten der übermächtigen Großstadt München schwer hat, sich eigenständig zu entwickeln und sich als kultureller Ort zu identifizieren.

Letztlich ist das Ziel also, das Image Gautings als Musikstadt in Deutschland zu festigen.

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Quelle:
SZ vom 30.01.2016
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