Starnberg:"Lieber Gott, bitte lass mich als Junge aufwachen"

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Der Künstler Anselm Skogstad zeigt Fotos und Videos von Transsexuellen - bei der Evangelischen Kirchengemeinde in Berg

Gerhard Fischer

BergDas Video zeigt Jonas Fischer und Christian Schabel-Blessing. Sie sitzen auf einem Sofa, Fischer hat die Beine angezogen, Schabel-Blessing hat sie so weit ausgestreckt, dass sie fast aus dem Video herausragen. Die beiden waren früher Frauen, jetzt sind sie Männer, und sie sind ein Paar. Jonas Fischer spricht in die Kamera, er sagt, dass er erst mit 35 wirklich wusste, dass er transsexuell sei; dass er immer ahnte, dass etwas nicht stimme, dass er sich nicht wohlfühlte in seiner Hülle - aber er hatte keinen Namen dafür. Fischer spricht auf dem Sofa von seinem Leben, wie er litt, wie er sich befreite, indem er sich operieren ließ, und das Ganze klingt nicht traurig, weil er in seinem österreichischen Singsang so schön erzählt; und weil dort ein Mensch sitzt, der optimistisch wirkt und den Eindruck macht, da sei einer mit 42 Jahren endlich bei sich selber angekommen. Und lustig wirkt die Szene auch, weil Schabel-Blessing, der vermutlich doppelt so groß und doppelt so schwer ist wie Fischer, reglos auf dem Sofa sitzt und fast gar nichts sagt. Die beiden wirken wie ein altes Ehepaar - wie das alte Ehepaar aus "Harry und Sally", das am Ende ihres Lebens auf einem Sofa hockt und erzählt, wie sie es die ganze Zeit miteinander ausgehalten haben. Fischer und Schabel-Blessing stehen aber am Anfang ihres Lebens, ihres neuen Lebens nach der Geschlechtsumwandlung oder der Geschlechtsangleichung, wie es korrekt heißen muss. Das Video wurde im Katharina-von-Bora-Haus in Berg gezeigt - im Rahmen der Reihe "Kunstwerk des Monats". Der gebürtige Starnberger Anselm Skogstad hat Transsexuelle auf der ganzen Welt befragt und porträtiert, einige hat er sogar bis in den Operationssaal begleitet; und er hat die Fotos und Videos ins Netz gestellt, die Serie heißt "Untitled Pride". In Berg zeigte er drei Videos und neun Fotos, eingeladen hatten der Kulturverein - und die Evangelische Kirchengemeinde. Zumindest aus Sicht der Kirche war das mutig. Zwar sollte man im 21. Jahrhundert nicht mehr darüber diskutieren müssen, ob Transsexualität normal ist oder nicht. Sie ist normal, sie ist keine Krankheit, das Thema muss raus aus der Schmuddelecke. Aber in Kirchenkreisen, selbst bei den vermeintlich toleranten Protestanten, sieht man das nicht immer so, und deshalb murrten manche von ihnen vor dieser Veranstaltung. "Es gab sicher einige, die nicht damit konfrontiert werden wollten", verriet Skogstad der SZ, "und die sind eben zuhause geblieben". Für ihn, den Künstler, sei es "ein großer Reiz, dass dieses Thema hier im ländlichen Berg und im kirchlichen Rahmen auf den Tisch geknallt wird". Der Erfolg gab ihnen allen Recht, dem Künstler und den Veranstaltern: Der Abend war informativ, spannend und menschlich, und es gab einen "absoluten Besucherrekord" für das "Kunstwerk des Monats", sagte die Kuratorin Katja Sebald. Etwa 80 Besucher waren gekommen, obwohl an diesem Abend Dortmund gegen Bayern spielte, obwohl Osterferien waren. Bei der Vorführung der Videos waren nicht genügend Stühle da, manche Zuseher mussten stehen, und Sebald freute sich, denn sie war ohnehin "der Meinung, dass die Kirche sich - wie die Kunst - mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen beschäftigen muss". Das gilt auch für den Landkreis Starnberg. "Immerhin wird ein Mann von 4500 Männern mit falschem Geschlecht geboren und eine Frau von 8000 Frauen", sagt Sebald, "das ist nicht so wenig". Zwei davon leben in Gilching, Jonas Fischer und Christian Schabel-Blessing. Fischer war nach Berg gekommen, er stammt zwar aus Oberösterreich, aber er wohnt seit 14 Jahren in der Münchner Region. Er sagte, es gehe ihm vor allem um Aufklärung, er wolle zeigen, dass Transsexuelle ganz normale Menschen seien, mit ganz normalen Berufen, ganz normalen Freunden, ganz normaler Familie. "In den Talkshows treten ja immer nur Freaks auf", meint er, "schrille, bunte Frauen, die mal Männer waren, mit hohen bunten Haaren". Fischer, der in einem streng gläubigen Elternhaus aufgewachsen ist, wusste schon als Kind, dass etwas nicht stimmt; das Mädchen, das er damals war, war burschikos und betete vor dem Einschlafen: "Lieber Gott, bitte lass mich als Junge aufwachen." Später hat die Frau sogar geheiratet, trug einen Hosenanzug bei der Trauung und kein weißes Kleid, sie habe versucht, "normal zu sein", sagt Fischer. Aber glücklich war sie nicht. Erst mit 35 fand Fischer durch den Interneteintrag eines Transsexuellen, den sie las, nein: verschlang, endlich heraus, was mit ihr wirklich los war. Und dann änderte sie ihr Leben radikal: Operation, Scheidung, neue Partnerschaft. Die Eltern stehen zu ihm, sogar der Ex-Mann blieb ein Freund, und manche sagen nun zu ihm: "Du bist viel angenehmer als früher." Der Münchner Chirurg Jürgen Schaff, der solche Operationen seit 25 Jahren macht, war ebenfalls nach Berg gekommen. Die Mikrochirurgie habe in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht, erklärte Schaff, man transplantiere nun Gewebe von einer Körperstelle an die andere. Es gebe vier Möglichkeiten, einen Penis anzufertigen: aus dem Unterarm, aus dem Oberschenkel, aus dem Unterschenkel - und aus der Klitoris, die durch eine Hormontherapie ohnehin angewachsen sei. Spielt er Gott? "Nein", sagt Schaff, da sei ein Mensch, der Hilfe brauche; alles andere sei unwichtig. Anselm Skogstad sagt, bei seinem Projekt sei es ihm "auch ein Anliegen, die medizinische Entwicklung auf internationaler Ebene zu dokumentieren". Darüber hinaus wolle er "einen Austausch und eine globale Vernetzung schaffen und den Menschen, die ihren Weg finden müssen, Mut machen". Schließlich erlebten die meisten Frauen und Männer, die mit einem "falschen" Geschlecht auf die Welt kämen, ein "lebenslanges Martyrium". Skogstad würde das Projekt gerne fortführen, aber er braucht Sponsoren. "Momentan zahle ich das aus eigener Tasche", sagt er, "aber das geht langfristig nicht"

Der Münchner Chirurg Jürgen Schaff (auf der Leinwand) führt seit 25 Jahren Operationen durch, um "das Geschlecht anzugleichen", wie es heißt. Rechts: Anselm Skogstad. Foto: Fuchs (Foto: Franz Xaver Fuchs)
© SZ vom 14.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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