Süddeutsche Zeitung

Starnberg:Landrat sagt Taiwan-Reise ab

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Angesichts tausender Menschen auf der Flucht nach Deutschland erscheint dem Starnberger Landkreischef Karl Roth der für 2016 geplante Besuch im Partnerlandkreis derzeit "nicht angemessen". Gerade im kommenden Jahr dürfte die Unterbringung der Flüchtlinge noch schwieriger werden

Von C. Setzwein, M. Warkocz und O. Fritscher, Starnberg

Besonnen, ruhig, ausgeglichen, so kennt man Landrat Karl Roth. Doch in letzter Zeit wirkt Roth oft bedrückt. Vor allem dann, wenn er wieder einmal mitteilen soll, dass der Landkreis noch mehr Asylbewerber aufnehmen wird. Nicht, weil er die Flüchtlinge nicht haben will, sondern weil er sie menschenwürdig unterbringen möchte. Was immer schwieriger wird. Zu der Sorge um die Flüchtlinge kommt die um die eigenen Bürger. Roth will sie mitnehmen und ist momentan nahezu jeden Abend in einer anderen Gemeinde, um über die aktuelle Lage zu informieren. Diese Herausforderungen werden sicher noch einige Zeit andauern. Darum hat Roth jetzt die geplante Reise in die Partnerstadt New Taipei City, dem früheren Landkreis Taipei abgesagt.

Seit 30 Jahren bestehen die freundschaftlichen Beziehungen zu Taiwan. Dieses Jubiläum sollte im April 2016 mit einem offiziellen Besuch einer etwa 20-köpfigen Delegation aus dem Fünfseenland gefeiert werden. Aber: "Zu diesem Zeitpunkt werden wir mit dem Bau und der Eröffnung von Container-Standorten beschäftigt sein", begründet Roth die Absage. Und das sieht Roth als Chefsache an. Angesichts tausender Menschen auf der Flucht nach Deutschland erscheint dem Starnberger Landrat die Reise nach Taiwan derzeit "nicht angemessen".

Die aktuelle Flüchtlingssituation im Landkreis wird an diesem Mittwoch auch als Hauptthema die routinemäßige Bürgermeister-Dienstbesprechung im Landratsamt dominieren. Nächste Woche will Roth ausloten, wie sich möglichst rasch Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge realisieren lassen. Dazu trifft er sich mit Vertretern der Regierung von Oberbayern und Planern der Stadt München, die bereits Konzepte entwickelt haben. Mit dabei sind Rupert Monn als Vertreter der Bürgermeister und Christine Borst, Vorsitzende vom Verband Wohnen im Kreis Starnberg. Mitglieder des Zweckverbands aus den einzelnen Kommunen machen Druck, so schnell wie möglich ausreichend Sozialbauten zu errichten. Roth will dazu abklopfen lassen, ob in Außenbereichen an den Ortsrändern gebaut werden könnte. Dazu wären freilich günstige Grundstücke nötig.

Das Augenmerk auf den Bestand der rund 2500 Sozialwohnungen will der Gilchinger Kreisrat Manfred Herz (CSU) gerichtet sehen. Ihn treibt um, wie viele Wohnungen heute eigentlich fehlbelegt sind. Das weiß keiner. Denn: "Als Vermieter haben Sie keine Möglichkeit, die Einkommensentwicklung ihrer Mieter zu prüfen", beschied ihn Wohnbau-Geschäftsführer Michael Vossen am Montag. Jetzt will man sich aber auch über diesen Punkt Gedanken machen.

Auf seiner Tour durch die Gemeinden sprach Roth auch in der Feldafinger Bürgerversammlung die Situation der Flüchtlinge im Landkreis an. "Wenn ich das wüsst. . .", antwortete Roth auf die Frage, wie es mit den Asylbewerbern weitergehen werde. Vor allem die Ungewissheit, wie viele Flüchtlinge im nächsten Jahr tatsächlich nach Deutschland - und damit auch in den Landkreis -kommen, bereitet dem Landrat sichtlich Bauchschmerzen. Die Flüchtlinge, die heuer noch erwartet werden, etwa 400 an der Zahl, könne man noch unterbringen. Aber 2016 wird es sehr schwierig werden, befürchtet der Landrat: Es fehlen dann nämlich akut Standorte für Containeranlagen und Zeltplätze, aber auch für Holzhäuser. In diesen sollen die Flüchtlinge untergebracht werden, denen dauerhaft Asyl gewährt wird. Diese müssen dann raus aus den Übergangsquartieren und dürfen auch ihre Familien nach Deutschland nachholen. "Ich bin trotzdem zuversichtlich", sagte Roth, "aber irgendwann werden auch wir an der Decke sein."

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Quelle:
SZ vom 07.10.2015
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