Von ihrem schönsten Bild wird sie sich auf keinen Fall trennen. Es ist eine abstrakte Komposition in hellen, strahlenden Farben. Ein Wirbel aus blauen, grünen und gelben Farbflecken, wie man sie sieht, wenn man an einem schönen Sommertag die Augen schließt und das Gesicht der Sonne zuwendet. Alexandra Hoffmann von Waldau, die sich als Malerin Alexandra Waldau nennt, hat ihr Lieblingsbild neben der Récamière aufgehängt, auf der sie so gerne sitzt. Die meisten anderen Gemälde möchte die Malerin verkaufen. Sie hat im Herbst ihren 99. Geburtstag gefeiert. Und sie ist realistisch, was den „Tag X“ angeht, wie sie sagt. Sie wünscht sich, dass vorher noch möglichst viele Bilder einen guten Platz bekommen und am Ende nicht ein Stapel übrig bleibt, der irgendwie verwaltet werden muss.
Das Malen musste Alexandra Hoffmann von Waldau vor einiger Zeit aufgeben, die Augen machen nicht mehr mit. Sie ist eine zarte und immer noch sehr elegante Dame, man könnte sie zwanzig Jahre jünger schätzen. Das Wohnzimmer in ihrer Wohnung im Starnberger Stadtteil Söcking diente ihr lange Zeit zugleich als Atelier, auch Malkurse habe sie hier gegeben, erzählt sie. Ihre Gemälde sind ringsum an den Wänden zu sehen, einige stehen auf dem Boden. Auch gibt es eine ganze Reihe kleinformatiger Bronzeplastiken, Figuren und Köpfe. Gemalt habe sie schon als Kind, erinnert sie sich, die Bildhauerei sei irgendwann viel später dazu gekommen. Der Umzug nach Söcking vor etwa einem Vierteljahrhundert sei ein Zufall gewesen. Davor hatte sie lange in Grünwald gewohnt. 1992 fand ihre erste Ausstellung in der „Galerie am Bachfeld“ in Oberhaching statt, viele weitere sollten folgen. Alexandra Hoffmann von Waldau kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken.
Geboren 1925 in Jacobsdorf in Oberschlesien als Alexandra Freiin von Thielmann, aufgewachsen in einem Schloss und in mehr als behüteten Verhältnissen, hatte die junge Frau 1945 bei Kriegsende alles verloren. Ihre Erinnerungen an die Flucht vor den heranrückenden sowjetischen Truppen sind so lebendig, als wäre das alles gestern passiert. „Es war klirrend kalt, wir hatten alle erfrorene Füße“, erzählt sie. Dabei ist es fast achtzig Jahre her, dass sie mit ihrer Mutter und den sechs Geschwistern das elterliche Landgut Hals über Kopf verlassen musste. Der Vater, der noch im Kriegseinsatz war, hatte die Route für seine Familie akribisch geplant. Zwei Pferdegespanne wurden mit dem nötigsten bepackt, die Kinder liefen zu Fuß nebenher. Die Sowjets im Nacken, die amerikanischen Tiefflieger am Himmel ging es quer durch Deutschland. „Ich habe Schreckliches gesehen“, berichtet sie. Schließlich fand man Unterschlupf in der Nähe von Frankfurt. Standesgemäß in einem Schloss zwar, aber als die „nicht willkommenen Verwandten“.
Um dieser „Misere“, wie sie sagt, zu entkommen, arbeitete die Zwanzigjährige zunächst als Kindermädchen in einer ebenfalls adligen Familie, später konnte sie Malunterricht an den wiedereröffneten Kunsthochschulen in Offenbach und in Krefeld nehmen. Zwei Ehen gingen in die Brüche, drei Söhne wuchsen unter zuweilen schwierigen Bedingungen auf. Es muss wohl in den 50er-Jahren gewesen sein, als sie den spanischen Philosophen José Ortega y Gasset kennenlernte. „Er war ja viel zu alt für mich, aber er hat mir einen ganz eigenen Kosmos eröffnet“, erinnert sie sich.



Einige Jahre arbeitete sie in Düsseldorf als Pressereferentin für eine amerikanische Filmgesellschaft. Wann genau das war, weiß sie nicht mehr, aber sie erinnert sich, dass sie die Stars der Wirtschaftswunderjahre kennenlernte, dass sie mit Peter Alexander und den Kessler-Zwillingen durch Deutschland tourte. „Das war eine wunderbare Zeit!“, gerät sie ins Schwärmen. Sie bildete sich fort, wurde Galeristin in Köln und schließlich Malerin in München. Malreisen führten sie immer wieder ins Tessin, dort gab sie ebenfalls Unterricht. Auch in Starnberg stellte sie noch mit dem „Kunstverein Roseninsel“ aus. In den letzten Jahren aber ist es nun ruhig geworden. Trotz der fortschreitenden Makuladegeneration konnte sie zunächst noch aus der Erinnerung weiterarbeiten, berichtet sie, „aber seit ich keine Farben mehr sehe, geht es nicht mehr“.
Anfang Dezember öffnete die alte Dame mit Unterstützung einer Nachbarin ein ganzes Wochenende lang ihre Wohnung für Kunstinteressierte. „Aber das hat mich sehr angestrengt“, sagt sie nun, „ich habe mich immer noch nicht ganz davon erholt“.

