Wenn man es einmal schafft, gängige Perspektiven zu wechseln und altbekannte Pfade zu verlassen, kann es interessant werden: Langsam ist besser als schnell, wenig ist besser als viel und nah ist besser als fern. So interpretiert jedenfalls die Theatergruppe „Die Fortschrittlichen“ das Märchen vom „Hans im Glück“, das im Rahmen des Kultursommers Starnberg am Sonntag, 14. Juli (15 Uhr), im Bucentaurpark aufgeführt werden soll. Das Besondere an der Aufführung: Die Hälfte des gesamten 14-köpfigen Ensembles hat eine Behinderung.
Die Geschichte ist ein Klassiker: Sieben Jahre harter Arbeit liegen hinter Hans – und dafür gibt’s vom Chef einen Klumpen Gold. Er möchte zurück nach Hause zur Mutter. Auf seinem Weg dahin trifft er auf verschiedene Menschen, mit denen er Handel treibt: Das Gold tauscht er gegen ein Pferd ein, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein und so weiter, bis er am Ende gar nichts mehr hat – außer seiner Freiheit. „Mit leichtem Herzen und frei von aller Last ging er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter angekommen war“, heißt es im Original der Gebrüder Grimm, die „Hans im Glück“ als Schwank schon im Jahr 1819 veröffentlichten.
In der Theateraufführung der „Fortschrittlichen“ darf man nun gespannt sein, wie die muntere Truppe um Spielleiterin Erika Schalper das Ganze umsetzen wird. Der Wunsch nach einer Aufführung kam von sechs jungen Männern, die in einer betreuten Starnberger Behinderten-WG leben. „Die haben beschlossen, sie wollen Theater spielen“, erklärt Schalper, „ich war sofort dabei.“ Und weil Theaterproben ohne Ziel langweilig sind, reifte gemeinsam mit der Starnberger Kulturbüro-Leiterin Petra Brüderl die Idee, das Stück als Inklusionstheater ins Programm des Kultursommers aufzunehmen.
Die Proben gestalteten sich jedenfalls recht abwechslungsreich. „Das war recht witzig mit denen“, sagt Schalper. Zumal jeder der behinderten Mitspieler mal den Mann im Glück spielen wollte. Man einigte sich auf einen Kompromiss mit wechselnden Rollen: Hans trägt einen Hut, und der wird von Episode zu Episode einfach weitergereicht. Nur einer der WG-Bewohner wollte partout nicht auf die Bühne. Kurzerhand machte man ihn zum Assistenten der Spielleiterin, was ihn zur schönen Aussage bewegte: „Wir sind die Diktatoren der Bühne!“

Neben den sechs Hauptakteuren sind auch Gitarrist und Musikpreisträger Erik Berthold, drei nicht behinderte Mitspieler und Erika Schalper als Erzählerin dabei. Bei diesem Experiment ist sie eher Stichwortgeberin als Regisseurin. „Überraschungen sind nicht ausgeschlossen“, sagt sie schmunzelnd nach 15 Stunden Proben, „ich muss flexibel mit dem Text sein.“
Gleichwohl nimmt sie ihr Ensemble angesichts erwarteter wie unerwarteter Wendungen vorab in Schutz: „Alles, was auf der Bühne passiert, ist geplant – auch die Überraschungen.“
Freilich ist die Botschaft dahinter tiefgründiger, es geht vor allem um einen Perspektivenwechsel. Menschen mit Behinderung sind oft genug quasi unsichtbar in der Gesellschaft, mit ihrer Aufführung stehen sie zumindest eine halbe Stunde lang im Fokus. „Alle Beteiligten freuen sich schon drauf“, sagt Schalper, „sie wollen zeigen, dass sie trotz ihrer Handicaps etwas zu bieten haben.“ Das sehen auch die Verantwortlichen der Bürgerstiftung so: Sie unterstützten das Projekt mit 1000 Euro.
Das Ende des Stücks ist zwar bekannt, bekommt in der Interpretation des Inklusionstheaters aber eine Wendung: Akteure wie Zuschauer sollen gemeinsam tanzen. Ob das Ganze wie geplant funktioniert, bleibt abzuwarten. Der Anspruch ist jedenfalls, dass am Ende nicht nur Hans im Glück, sondern auch Darsteller und Zuschauer glücklich sind.
„Das Märchen von Hans im Glück“ wird am Sonntag, 14. Juli, von 15 Uhr an im Bucentaurpark aufgeführt, der Eintritt ist frei. Bei schlechtem Wetter wird die Veranstaltung auf Sonntag, 28. Juli (15 Uhr), verlegt.