Starnberg:"Kultur und Brauchtum in den Vordergrund"

Gewerkschaft Verdi will "Wildwuchs" der Marktsonntage in der Region eindämmen. "Es muss dann ja nicht jedes Geschäft in einem Ort aufmachen", sagt Verdi-Sekretär Wäsler. Der Einzelhandel im Landkreis kündigt Widerstand an

Von Astrid Becker und Otto Fritscher, Starnberg

Der Aufschrei unter den Gewerbetreibenden im Landkreis ist groß. Obwohl die Marktsonntage, die in den Gemeinden abgehalten werden, Tausende Menschen anlocken, will die Gewerkschaft Verdi diesem Treiben mittelfristig ein Ende bereiten - und kann sich nun sogar auf ein entsprechendes Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stützen, das die geplante Öffnung der Geschäfte in der Münchner Innenstadt anlässlich des Stadtgründungsjubiläums untersagt hat. Mit großem Unverständnis hat auch der hiesige Einzelhandel auf diese Entscheidung reagiert.

Beispielsweise Inning. Dort soll am 5. Juni wieder ein Marktsonntag stattfinden. Es ist die 18. Veranstaltung dieser Art in der Geschichte der kleinen Ammersee-Gemeinde. Erst 2012 hatte sich dort sogar ein neuer Gewerbeverein gegründet, um Handel, Dienstleistungen und Handwerk in dem Ort zu stützen und das Angebot für die Bewohner attraktiver zu gestalten. Für viele Inninger ist so ein Marktsonntag eine willkommene Abwechslung vom normalen Alltag - und auch Touristen scheinen das Angebot dort, das sich nicht nur auf geöffnete Läden bezieht, zu schätzen.

Denn rund um das Shopping am Sonntag ist allerlei geboten, in diesem Jahr steht zum Beispiel die Musik im Fokus des Geschehens. Von der örtlichen Blasmusik bis hin zu einem Discjockey reicht das Spektrum. Im "Broslhof" wird ein Hoffest stattfinden, es gibt zudem noch ein umfangreiches Programm für Kinder. Mehrere Tausend Besucher werden wieder erwartet - und zwar keineswegs nur Einheimische. Viele der Autofahrer, die die Gemeinde auf ihrer Durchgangsstraße passieren, halten an diesem Tag wohl auch mal spontan an: "Eben, weil bei uns was Besonderes los ist", wie es der Vorsitzende des Gewerbevereins "Blickpunkt Inning", Hans-Peter Hübsch, bei der Vorstellung des Programms für den Marktsonntag formulierte.

Auch in Herrsching ist man entsetzt ob der Gerichtsentscheidung. Der 22. VGH-Senat hatte eine Verordnung der Stadt München gekippt, die geöffnete Läden am Stadtgründungsfest am 19. Juni erlaubt hatte. Die Gewerkschaft Verdi hatte eine entsprechende Klage eingereicht und von einem "Angriff auf die letzte Nische des Ladenschlussgesetzes" gesprochen. Der Senat war dieser Argumentation zumindest dem Sinn nach gefolgt. Er verweist in seinem Urteil auf die neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig dazu. Auch diesen Prozess hatte Verdi angestrengt. Es ging um einen Marktsonntag im Echinger Gewerbegebiet, wo unter anderm Ikea vertreten ist. "Im Dorf haben sie ein kleines Festl gemacht, um die Sonntagsöffnung im großen Gewerbegebiet zu rechtfertigen", sagt Georg Wäsler, der bei Verdi für den Einzelhandel in München und Oberbayern zuständig ist. Das Gericht entschied im Sinne der Gewerkschaft, dass die Veranstaltung kultureller oder sonstiger Art der Hauptzweck sein müsse und die Ladenöffnung sozusagen nur Beiwerk sein dürfe. Sinngemäß hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof diese Argumentation übernommen.

Ist das das Ende der Marktsonntage in Starnberg, Gauting, Gilching, Krailling und Herrsching? "Wir werden sicher nicht gegen jede Gemeinde klagen", kündigt Verdi-Funktionär Wäsler an, "das ist schier unmöglich und wir sind keine Streithammel." Man werde aber verstärkt auf die Aufsichtsbehörden einwirken, also auf die Landratsämter und die Regierung von Oberbayern, damit diese bei der Genehmigung von Marktsonntagen die Gemeindeverwaltungen schärfer im Blick hätten. Wäsler hat nichts dagegen, wenn an einem Sonntag die Kultur im Mittelpunkt einer Veranstaltung steht, und dazu Speisen oder Waren verkauft werden, die mit der Veranstaltung in Zusammenhang stehen. "Es ist aber nicht einzusehen, wenn an einem Marktsonntag im Baumarkt Bohrmaschinen verkauft werden", sagt Wäsler.

Als nächsten Schritt kündigt Wäsler eine Klage gegen die Gemeinde Aschheim an, wo Möbelhändler XXL-Lutz am Marktsonntag, 29. Mai, geöffnet hatte. "Das können wir auf die Schnelle nicht verhindern", sagt Wäsler, "aber strategisch würde ein Verbot in Aschheim Wirkung auf andere Gemeinden bringen", ist Wäsler überzeugt. Es werden nach Ansicht von Wäsler nämlich immer mehr Marktsonntage in der Region abgehalten. "Da ist im Wettbewerb der Gemeinden eine richtige Rallye losgetreten worden", sagt Wäsler.

"Aber diesen Wildwuchs der Märkte werden wir nicht sofort auffangen können, die Gemeinden werden nicht sofort Schluss machen", sagt Wäsler, und schränkt dann ein: "Wir wollen das bayerisches Brauchtum nicht kaputtstreiten." Aber Wäsler gibt den Veranstaltern einen Rat: "Rückt den Anlass des Festes, Kultur oder Brauchtum in den Vordergrund. Es muss nicht der komplette Einzelhandel an einem Ort dafür aufmachen."

Argumente, die der Vorsitzende des Gewerbevereins in Herrsching, "Wir", Roland Lübeck, so nicht stehen lassen will. Wenn die Gewerkschaft wirklich ernst mache und Marktsonntage in den Gemeinden des Kreises unterbinde, dann "wäre das für uns ein brutaler Einschnitt". Da seien auf der einen Seite natürlich die Umsätze für die Gewerbetreibenden, die ihnen verloren gehen würden.

Aber vor allem sieht er auch die Bevölkerung, die so ein Angebot außerhalb der Reihe sehr schätze: "Auch bei uns sind da Tausende Menschen unterwegs." Selbst am letzten Marktsonntag Anfang Mai seien es "bestimmt 2000 Leute" gewesen - trotz schlechten Wetters. Nicht verstehen kann er auch die Sache mit dem Schutz der Beschäftigten, die die Gewerkschaft ins Feld führt. Es gehe um eine Öffnungszeit von 13 bis 18 Uhr, die allen Arbeitnehmern vergütet oder mit Freizeit ausgeglichen werde: "Das ist alles kompletter Unsinn. Es wird ja niemand zur Arbeit gezwungen, die Mitarbeiter melden sich freiwillig."

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