Ob „Die reichen Leichen“, „Tatort“ oder „Hubert ohne Staller“: Am Starnberger See wird oft und gerne gemordet, zumindest im Film. Sogar die Morde in der Serie „Rosenheim Cops“ werden gerne an den Starnberger See verlagert. Ganz anders sieht die Realität aus. Wenn man mal vom Dreifachmord im Jahr 2020 absieht, ist Starnberg geradezu eine Insel der Seligen. Damals waren ein Sohn und seine Eltern in ihrem Haus am Riedener Weg erschossen worden.
Wenn aber tatsächlich einmal ein Verbrechen stattfindet, geht die Nachricht meist um die Welt, beispielsweise als Jugendliche im Jahr 2019 die Polizeiwache angegriffen haben. Die Bild-Zeitung titelte damals: „Schnösel-Mob im feinen Starnberg“. Weil die Schlägerei gefilmt und ins Netz gestellt wurde, habe der Vorfall „eine Riesenwelle“ bis in die USA geschlagen, erklärt die Historikerin Claudia Wagner auf der Führung „Tatort Starnberg“. Ansonsten aber sei die Kriminalität in Starnberg „ein absoluter Randbereich“. Zum ersten Mal bietet Wagner im Rahmen des Starnberger Kultursommers die Führung „Tatort Starnberg“ an. Und diese hat so viel Anklang gefunden, dass sie regelmäßig ausgebucht ist. Daher bietet Wagner zusätzliche Veranstaltungen an.
Auch dieses Mal treffen zur Führung mehr Leute ein als erwartet. Doch Wagner lässt alle mitgehen. Gleich zu Beginn weist sie jedoch darauf hin, dass sie ihren Fokus nicht auf Sensationen, sondern vielmehr auf historische oder politische Fälle legt. Diese liegen „weitaus länger zurück“, sagt sie. Und weil relativ wenig passiert in Starnberg, können sich viele Bürger noch an den Fall Vera Brühne von 1960 erinnern, der als einer der größten Mordfälle in die Nachkriegsgeschichte einging: Brühne wurde verdächtigt, den Arzt Dr. Praun und seine Haushälterin in einer Villa in Pöcking ermordet zu haben.
Weil Brühne als „Lebedame“ bezeichnet wurde – heute würde sie wohl Hostess genannt – avancierte der Fall zur „Sex and Crime“-Sensation. Brühne sei eine Persönlichkeit gewesen, die selbst ihre Gefängniskleidung „wie ein Kostüm von Chanel“ getragen habe, sagt Wagner. Der Fall ist zwar bis heute nicht geklärt, weil die Polizisten, die damals vor Ort waren, viele Spuren verwischt haben. Und weil Brühne die Tat stets bestritten hat. Dennoch wurde sie zu lebenslanger Haft verurteilt. „Es ist alles falsch gelaufen, was falsch laufen konnte“, urteilt Wagner.
Übrigens: Den Bungalow, in dem sich die Tat ereignet hat, gibt es noch. Wie Wagner betont, steht auch heute noch der Name Praun an der Haustüre. Ähnlich aufsehenerregend war der Fall Ingrid van Bergen, die 1977 ihren damaligen Partner erschossen hat. Sie wurde zu ein paar Jahren Gefängnis verurteilt und versuchte später, wieder an ihre Schauspielkarriere anzuknüpfen, was ihr nicht gelang. Laut Wagner lebt sie heute noch und engagiert sich für den Tierschutz.
Ebenfalls bis heute ungeklärt ist ein Mordfall aus dem Jahr 1951 in der Villa Adlon in der Max-Emanuel-Straße. Im Haus der Ex-Frau des Berliner Hotelbesitzers war die Mieterin Sonja Bletschacher erstochen worden. Der Umstand, dass es Verbindungen zum US-Geheimdienst gab, sorgte damals für viele Spekulationen.
Ein Blick geht über den See nach Kempfenhausen. Drei Monate zuvor waren in der Villa de Osa, der späteren Agirov-Klinik, drei Menschen ermordet worden. Auch Feldafing wurde international bekannt, als sich 1972 die gesamte politische Prominenz in der Villa Waldberta traf, um eine erste Presseerklärung zum Olympia-Attentat abzugeben.
Am Friedhof an der Hanfelder Straße erinnert Wagner daran, dass früher Mörder, Selbstmörder, aber auch ungetaufte Kinder nicht auf dem Friedhof beerdigt werden durften. Weil Selbstmörder sich nicht selten im Starnberger See ertränkten, habe man diese Fälle als Unfall getarnt, damit sie in geweihter Erde beerdigt werden konnten. Auch zum Tode Verurteilte durften nicht auf dem Friedhof bestattet werden, sie wurden meist unterhalb des Galgens verscharrt, der sich im Bereich des heutigen Klärwerks befand.
Eine Gedenktafel am Friedhof erinnert an die Räterepublik und die 29 Personen, die damals in Starnberg erschossen wurden. Über das ehemalige Gefängnis, das bis zum Jahr 1956 in Betrieb war, und den Sitz des Landrichters geht es weiter zum Kirchplatz. Dort erinnert eine Gedenktafel an die Toten des Nationalsozialismus, die aufgrund einer Initiative von Starnberger Gymnasiasten angebracht worden war. „Die Toten zu vergessen, würde bedeuten, sie ein zweites Mal umzubringen“, steht auf der Tafel. Auch, wenn es damals nur „eine überschaubare Zahl“ an Juden in der Kreisstadt gab, dürfe man diesen Völkermord nicht auslassen, so Wagner.
Eine Zusatzführung wird am Freitag, 26. Juli, angeboten; Beginn: 18 Uhr. Treffpunkt ist die Polizeiinspektion an der Rheinlandstraße. Kartenvorverkauf unter Telefon 08151/77 21 70 oder per E-Mail an schlossberghalle@starnberg.de.