Starnberg:Der Kinderschutzbund ist chronisch unterfinanziert

Lesezeit: 3 Min.

Gosia Hannemann und Martina Rusch (von links) müssen immer rechnen, ob und wie es weitergehen kann. (Foto: Georgine Treybal)

Der Verein ist auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten und Unterstützung in der Vorstandschaft – vor allem aber nach gesellschaftlicher Bedeutung.

Von Carolin Fries, Starnberg

Welchen Stellenwert hat die Familie in der Gesellschaft? Und wie viel ist es den Menschen im Landkreis wert, dass Kinder, Jugendliche und Eltern in Krisensituationen einen kompetenten Ansprechpartner haben? Diese Fragen beschäftigen Martina Rusch nahezu täglich. Denn während die pädagogische Geschäftsleiterin des Kinderschutzbundes in Starnberg das Beratungsangebot der Einrichtung für essenziell hält, wird ihr beim Blick auf den Kontostand immer wieder schmerzhaft bewusst: Es sind zu wenige, die das genauso sehen. Sonst würden in viel mehr Geschäften Spendenboxen für den Verein stehen, würde auf runden Geburtstagen oder bei Firmenevents für die Einrichtung gesammelt, wäre das Angebot des Kinderschutzbundes geschätzt. Stattdessen ist der Verein im einkommensstärksten Landkreis der Republik seit Jahren chronisch unterfinanziert.

Sie kämpfen sich durch, „gefühlt schon immer“, wie Rusch sagt. Sie leitet das fünfköpfige Team seit 2018. Alle Fachkräfte arbeiten in Teilzeit oder auf Minijob-Basis, alle bekommen sie „nicht angemessene Löhne“, wie Rusch sagt. Sonst würde es gar nicht mehr funktionieren. Doch nun sei die Schmerzgrenze erreicht, „unsere Mitarbeiterinnen müssen ordentlich bezahlt werden“. Andernfalls würden sie sich früher oder später andere Jobs suchen. Und neue Kolleginnen würde man wohl kaum finden in der aktuellen Gehaltsklasse, weiß Rusch. Doch warum geht es dem Kinderschutzbund in Starnberg so schlecht, während er sich andernorts problemlos hält?

Das größte Problem ist wohl, dass es zu wenige beständige Unterstützer gibt. Da ist kein Wirtschaftskonzern oder Unternehmen, das sich dem Kinderschutzbund verpflichtet fühlt. Und der jährliche Zuschuss von der Kreisbehörde deckt nicht einmal die Hälfte der Gesamtkosten. Mindestens 200 000 Euro braucht der Kinderschutzbund im Jahr, um sämtliche Kosten zu decken. Der Landkreis hat heuer 51 000 Euro gewährt sowie zusätzlich 19 135 Euro für das Projekt Schüler-Coaching.

Über die Mitgliedsbeiträge kommen etwa 8000 Euro rein, Stiftungen und Service-Clubs zahlten heuer etwa 60 000 Euro. Die Gemeinden im Landkreis halten sich mit Zuschüssen zurück, in diesem Jahr hat lediglich die Gemeinde Pöcking einen Mietkostenzuschuss überwiesen, die Stadt Starnberg unterstützt mit einer Fehlbedarfsfinanzierung. Über Bußgelder, die das Amtsgericht festlegt, kamen nur 600 Euro zusammen. Bei Erbschaften werden sie kaum bedacht. So bleiben jedes Jahr etwa 60 000 Euro, die sich der Verein mühsam erbetteln muss.

Doch wenn Kolleginnen Kampagnen organisieren, um Spenden zu generieren, können sie nicht gleichzeitig ein üppiges Veranstaltungsprogramm organisieren. Es ist ein Teufelskreis. In diesem Jahr hat Mitarbeiterin Gosia Hannemann darum Vorträge gestrichen und stattdessen die Initiative „45 x 4500“ ins Leben gerufen, die 45 zahlungswillige Unterstützer bringen soll sowie neue Mitgliedschaften. Knapp 50 000 Euro konnten damit generiert werden, für dieses Jahr sind die Löcher gestopft. Doch was machen sie im kommenden Jahr?

„Wir sind auf Herbergssuche“

Wäre der Kinderschutzbund präsenter im Landkreis, wäre es leichter. Doch dafür bräuchte es mehr Menschen, die sich engagieren wollen, so Rusch. Menschen, die gut vernetzt sind. Vor allem der Vorstand sucht Verstärkung, gerne mit Kompetenzen im juristischen oder finanziellen Bereich. „Wir brauchen mehr Schultern, auf die wir die Verantwortung verteilen können“, sagt die Vorsitzende Gunhild Kilian-Kornell.

Doch vor allem brauche es neue Räume. Weil die Angebote des Kinderschutzbundes so vielfältig sind und von begleitendem Umgang über Elterntreffs bis zu vertraulichen Beratungen reichen, müssen entsprechend eingerichtete Zimmer zur Verfügung stehen. Außerdem braucht es Beratungsräume. Aktuell gibt es im Starnberger Familienzentrum in der Söckinger Straße lediglich ein Büro für alle. Wer vertrauliche Telefonate führen muss, verlässt den Raum. Sachspenden stapeln sich im Seminarraum, weil ein Lagerraum fehlt.

Ein großer Raum für Veranstaltungen mit mehr als 20 Teilnehmern fehlt – was diese zusätzliche Einnahmequelle für den Verein einschränkt. „Wir sind auf Herbergssuche“, sagt Martina Rusch in Anspielung auf die Vorweihnachtszeit. Gesucht werden etwa 300 barrierefreie Quadratmeter mit acht Zimmern, mindestens zwei Toiletten und einer Küche. Die Räume für das Familienzentrum sollten möglichst zentral liegen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Dann wäre es möglich, mit entsprechenden Angeboten auch als Mütterzentrum Zuschüsse zu beantragen.

Das Angebot im Starnberger Familienzentrum ist groß. Doch die Räumlichkeiten sind zu klein. (Foto: Georgine Treybal)

Knapp 300 Beratungen leistet der Kinderschutzbund in Starnberg jedes Jahr. Es melden sich Kinder, Eltern, Kitas und Schulen. Oft geht es um Probleme: Überforderung, Trauer, Trennung, Streit. Das Angebot des Kinderschutzbundes ist niederschwellig. Ansonsten bleibt Betroffenen nur der Gang zum Jugendamt. „Wir löschen hier die kleinen Flammen, bevor es richtig brennt“, sagt Rusch. Doch diese Arbeit werde kaum honoriert. Ebenso wenig wie vielen Angebote zur Vernetzung und zum Austausch. „Spenden und Zuschüsse gibt es meist nur für besondere Projekte“, sagt Rusch. „Dass das alles nur möglich ist, weil bereits eine Infrastruktur besteht, wird oft vergessen.“

Womit man wieder beim Ausgangspunkt auf der Suche nach der Bedeutungslosigkeit ist, in der der Kinderschutzbund unterzugehen droht. „Es ist ein gesellschaftliches Problem“, sagt Gosia Hannemann. Kinder und Familien haben schlicht keine Lobby.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMax-Planck-Institut in Seewiesen
:Auf der Suche nach den Wurzeln der Intelligenz

Wie zu Zeiten von Konrad Lorenz stehen in der Forschung vor allem Vögel im Fokus. Die Berufung von Maude Baldwin zur Abteilungsleiterin ist ein weiterer Schritt in Richtung evolutionärer Grundlagenforschung – die auch Erkenntnisse zur Entwicklung des Menschen und für die Humanmedizin liefern kann.

Von Armin Greune

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: