IntegrationMit Vollgas auf den Arbeitsmarkt

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Vera Feil (Mitte) ist Hausleiterin des Malteserstifts St. Joseph in Percha. Bei der Starnberger Jobbörse ist sie auf der Suche nach neuen Pflegefachkräften.
Vera Feil (Mitte) ist Hausleiterin des Malteserstifts St. Joseph in Percha. Bei der Starnberger Jobbörse ist sie auf der Suche nach neuen Pflegefachkräften. (Foto: Georgine Treybal)

Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften, Geflüchtete aus der Ukraine nach Arbeit. Eine Win-win-Situation also? Der Besuch der Starnberger Jobbörse zeigt: Ganz so einfach ist es nicht.

Von Leopold Beer, Starnberg

Kristina Naumenko hat alles verloren, wie sie sagt. Ihre Wohnung ist zerstört, ihre Heimatstadt Bachmut in der Ukraine zerbombt und von den Russen besetzt. Ende April 2022 floh Naumenko vor dem Krieg der Russen nach Deutschland. Gemeinsam mit ihrem inzwischen neunjährigen Sohn und ihrer behinderten Mutter ging es mit Zwischenstopp in München nach Starnberg. Inzwischen hat die gelernte Elektroingenieurin Deutsch gelernt. Ihr wichtigstes Ziel für die kommenden Jahre: einen Job finden.

„Job-Turbo“ heißt das Projekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das sie dabei unterstützen soll. Ziel des Programms ist es, Geflüchtete aus der Ukraine und anderen Ländern möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn Fachkräfte werden in vielen Branchen händeringend gesucht: Rund 1,57 Millionen Stellen waren im ersten Quartal 2024 in Deutschland unbesetzt. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft GWT, das Jobcenter Starnberg und die Agentur für Arbeit haben daher unlängst eine Jobbörse für Geflüchtete organisiert. Hier treffen Unternehmen aus dem Landkreis Starnberg und potenzielle Arbeitnehmer aufeinander. Es bleibt die Frage: Wie gelingt es, Geflüchtete in Arbeit zu bringen?

Die Jobbörse jedenfalls ist gut besucht. Die Gäste sind in Gespräche mit den Arbeitgebern versunken, Stimmengewirr erfüllt den Veranstaltungsort. Teils wurden die Geflüchteten von den Veranstaltern eingeladen, teils sind sie aus eigener Motivation hier. Der Sitzungsaal im Starnberger Landratsamt ist mit 200 potenziellen Arbeitnehmern prall gefüllt. Dabei sind nur knapp 150 der rund 1700 im Landkreis Starnberg lebenden Ukrainer gekommen. Um alle Geflüchteten bei der Jobsuche zu unterstützen – auch aus anderen Ländern wie Syrien, Afghanistan, Iran und Irak – findet die Jobbörse bereits zum dritten Mal statt.

Den Anstoß für die Veranstaltungsreihe hatte Starnbergs Landrat Stefan Frey (CSU) gegeben. Ausgangspunkt war die Not der Arbeitgeber aus dem Landkreis, Arbeits- und Fachkräfte zu finden. Frey erklärt, sein Ziel sei es „die Leute einfach mal zusammenzubringen und den Geflüchteten ein Arbeitsverhältnis zu ermöglichen“. Den ganzen „Bürokratie-Wahnsinn“ könne man dann hinterher klären. Sei der Arbeitgeber nämlich zufrieden mit den ausländischen Arbeitnehmern, dann sei es völlig unerheblich, ob der Geflüchtete eine vergleichbare Ausbildung habe wie in Deutschland. Die Jobbörse solle angesichts dessen eine „Anstoßwirkung“ entfalten.

Mehr als 200 Geflüchtete aus der Ukraine und anderen Ländern sind im Landratsamt zusammengekommen, um mit 16 Arbeitgebern aus Starnberg ins Gespräch zu kommen.
Mehr als 200 Geflüchtete aus der Ukraine und anderen Ländern sind im Landratsamt zusammengekommen, um mit 16 Arbeitgebern aus Starnberg ins Gespräch zu kommen. (Foto: Georgine Treybal)

Eine von 16 bei der Jobbörse anwesenden Arbeitgeberinnen ist Vera Feil: Sie ist Hausleiterin des Malteserstifts St. Joseph in Percha. An ihrem Tisch herrscht den ganzen Abend über Hochbetrieb. Zeit für ein Interview hat sie erst nach der Veranstaltung. Sie weiß genau, warum so viele das Gespräch mit ihr gesucht haben: „Ich kann von jedem heute seinen Schmerz und sein Leid nachvollziehen.“ Vor 30 Jahren sei sie selbst aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland geflohen. Feil möchte möglichst viele der anwesenden Geflüchteten „auf ihrem teils holprigen Weg“ unterstützen.

Holprig ist dieser Weg, weil die Migranten vor so mancher Herausforderung stehen, wenn sie in Deutschland arbeiten möchten. Zunächst ist es schwierig, überhaupt eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Für Ukrainer hat die Bundesregierung das Verfahren vereinfacht, Geflüchtete aus anderen Ländern warten jedoch teils mehrere Jahre.

Zudem ist es schwierig, sich im Ausland erworbenen Qualifikationen anerkennen zu lassen. Kristina Naumenkos Ausbildung als Elektroingenieurin in der Ukraine hat sechs Jahre gedauert. Einen Job in dieser Branche hat sie in Deutschland bislang trotzdem nicht gefunden. Sie habe viele Bewerbungen verschickt, aber praktisch nie eine Antwort erhalten, erzählt sie. Daher sieht sie sich derzeit nach einem Ausbildungsplatz in einer anderen Branche um, als Industriekauffrau etwa.

Musiklehrerin Jana Savranska (li.) und Elektroingenieurin Kristina Naumenko sind wegen des Krieges in der Ukraine nach Deutschland geflohen.
Musiklehrerin Jana Savranska (li.) und Elektroingenieurin Kristina Naumenko sind wegen des Krieges in der Ukraine nach Deutschland geflohen. (Foto: Georgine Treybal)

Neben der Anerkennung der Ausbildung ist das größte Einstellungshindernis, gut Deutsch sprechen zu können. Die Ukrainerin Naumenko ist überzeugt, dass Sprachkenntnisse das Wichtigste seien: „Dann kann man in allen Bereichen arbeiten.“

Die sprachliche Ausbildung übernehmen in der Regel die Volkshochschulen. In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisieren sie sogenannte Integrationskurse. Bei diesen Kursen lernen die Geflüchteten zunächst die deutsche Sprache kennen und erhalten dann einen Überblick über die Kultur, Geschichte und Rechtsordnung Deutschlands.

Im Landkreis Starnberg ist für Integrationskurse die Volkshochschule (VHS) StarnbergAmmersee zuständig. Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat der Verein sein Angebot an solchen Kursen nahezu verdreifacht. Fast 1100 Teilnehmer zählten die Sprachprofis allein im Jahr 2023 bei den teils 1000 Unterrichtseinheiten umfassenden Schulungen.

Die Volkshochschulen bieten zudem reine Deutschkurse an, die sich ausschließlich auf den Spracherwerb konzentrieren. Die VHS im Würmtal bietet jährlich etwa 50 solcher Kurse für rund 350 Personen an. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat das Sprachzentrum zusätzliche Kurse für Ukrainer organisiert. Etwa 320 Personen haben dieses spezielle Angebot angenommen, rund 3000 besuchten Sprachkurse der VHS StarnbergAmmersee. Alles in allem, so das Resümee der VHS nach einer schriftlichen Anfrage der SZ, hätten viele Teilnehmende in kurzer Zeit sehr gut Deutsch gelernt.

Sprache ist der Schlüssel zu neuen Jobs

Der Job-Turbo des Bundesarbeitsministeriums sieht vor, dass Geflüchtete ab dem Sprachniveau A2 beziehungsweise B1 anfangen sollen, zu arbeiten. Viel zu früh, wenn es nach Heimleiterin Vera Feil geht. Ein solcher Ansatz führe in Kombination mit der finanziellen Not der Geflüchteten dazu, dass „hoch qualifizierte Menschen für schlecht bezahlte Jobs eingestellt werden“.

Diese These stützt auch Julika Bake, Leiterin der Volkshochschule im Würmtal. Sie erklärt, dass in vielen Jobs mit Kundenkontakt Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 und höher erforderlich seien. Zudem dürfe man nicht nur an den ersten Job der Migranten denken. „Mittel- und langfristig ist es nötig, gutes Deutsch zu sprechen und sich weiter fortzubilden“, erklärt Blake. „Um weniger abhängig von einem Arbeitgeber zu sein und besser bezahlte Tätigkeiten oder eine Ausbildung machen zu können.“

Auch das Jobcenter Starnberg betont die Wichtigkeit des Spracherwerbs als Grundlage für die Integration in den Arbeitsmarkt. Die Behörde betreut derzeit fast 2300 erwerbsfähige Personen, die Bürgergeld-Leistungen erhalten. 625 davon kommen aus der Ukraine, 523 Personen sind aus anderen Ländern geflohen. Rund die Hälfte der Kunden des Jobcenters sind also Flüchtlinge und damit im Rahmen des Job-Turbos angesprochen. Viele von ihnen seien allerdings noch mit dem grundlegenden Spracherwerb befasst, heißt es aus der Behörde.

Landrat Stefan Frey (CSU) stört die überbordende Bürokratie. Er möchte Fachkräfte und lokale Unternehmen unkompliziert in Kontakt bringen.
Landrat Stefan Frey (CSU) stört die überbordende Bürokratie. Er möchte Fachkräfte und lokale Unternehmen unkompliziert in Kontakt bringen. (Foto: Georgine Treybal)

Der Grund dafür: Deutsch zu lernen, kostet Zeit. Abhängig von Vorkenntnissen und dem Arbeitsalltag dauere es zweieinhalb Jahre, bis die Besucher der VHS-Kurse das Zielniveau C1 erreichen, so Christine Loibl. Und das auch nur, wenn alles perfekt läuft. Heimleiterin Vera Feil fordert daher, Geflüchtete mit akademischen Graden noch besser zu begleiten und zu unterstützen. Sie bräuchten mehr Zeit, um wieder als Ärztin arbeiten zu können und nicht als Altenpflegerin. Aus schlecht bezahlten Stellen kämen viele aufgrund von Bequemlichkeit nur schwer wieder heraus.

„Die Menschen wollen arbeiten“, sagt Altenheimleiterin Feil.

Über die Politik möchte sie sich trotzdem nicht ärgern, erzählt sie an ihrem Tisch auf der Starnberger Jobbörse. Das bringe sie nicht weiter, denn „die Situation ändert sich ja dadurch nicht“. Stattdessen versuche sie, das Beste aus der aktuellen Lage zu machen und sich in die Position der Betroffenen zu versetzen. „Die Menschen wollen arbeiten“, so Feil. In ihrem Team aus 80 Personen brauche sie dringend Pflegefachkräfte. Eine Win-win-Situation also und Grund dafür, dass sie mit der Jobbörse „sehr zufrieden“ ist. Wenn sie ausländische Pflegekräfte einstellt, fühlt sie sich auch nicht von der Bürokratie erschlagen. Vielmehr habe sie in den letzten zweieinhalb Monaten fast 20 Personen eingestellt. „Da gehört halt der Wille dazu“, erläutert sie.

Ohne Migration müssen Unternehmen schließen

Mit Blick auf die Zukunft ist Vera Feil allerdings weniger optimistisch. Im Malteserstift St. Joseph seien sie bereits jetzt in allen Bereichen unterbesetzt. Sie rechnet damit, dass es in den nächsten zwei bis drei Jahren noch schwieriger wird, qualifizierte Fachkräfte zu finden. 70 Prozent ihrer Belegschaft hätten Migrationshintergrund. Ohne Unterstützung durch eingewanderte Pflegekräfte hätte ihre Einrichtung längst schließen müssen. Für die AfD und Gleichgesinnte hat sie wenig Verständnis: „Ich habe keine Ahnung, in welcher Welt Politiker leben, die Migration stoppen wollen.“

Kristina Naumenko ist dankbar, dass die Starnberger „so freundlich sind, immer helfen und Rat geben.“ Die Hoffnung auf eine neue Arbeitsstelle in Deutschland gibt sie nicht auf. Ihr Sohn könne inzwischen die deutsche Sprache und Grammatik besser als die ukrainische, erzählt sie. Die Zukunft ihres Kindes ist für Naumenko das Wichtigste. In Starnberg möchte die Ukrainerin mit ihm ein neues Leben beginnen. Denn in ihrer alten Heimat tobt noch immer der Krieg.

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