Demenz und häusliche Pflege:Abschied auf Raten

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Demenz ist eine schwerwiegende Erkrankung im Alter: Rund 1,8 Millionen Menschen sind allein in Deutschland betroffen. Sie verlieren die Fähigkeit zu planen, sich zu erinnern oder sich angemessen zu verhalten. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Wenn das Gehirn im Alter nicht mehr richtig funktioniert, stehen Angehörige vor enormen Herausforderungen. Angelika Wagner hat viel aus der Erkrankung ihres Ehemanns gelernt und rät Pflegenden dazu, sich vorab zu informieren.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

"Ich war wirklich in einer Ausnahmesituation, ich konnte einfach nicht mehr." Mit diesem Satz spricht Angelika Wagner vielen Angehörigen aus der Seele, die ihre an Demenz erkrankten Familienmitglieder pflegen. Denn das Leben mit dementen Patienten ist zuweilen nur schwer auszuhalten. Manche haben starken Bewegungsdrang bis zur Erschöpfung oder laufen weg. Andere wiederum verlieren ihre Sprache, erkennen ihre nächsten Angehörigen nicht mehr, werden aggressiv oder verweigern die ärztliche Behandlung. Im Vortrag "Ein langer Abschied auf Raten" am Montag in der Ilse-Kubaschewski-Stiftung berichtete die Starnbergerin Angelika Wagner einfühlsam und berührend nicht nur von der Demenzerkrankung ihres Ehemanns, sondern auch von ihrer eigenen Leidenszeit als pflegende Angehörige. Die anschließende Diskussion machte deutlich: Einige der Besucher haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Eine pflegende Angehörige etwa berichtete, dass ihre Mutter oft stundenlang ohne erkennbaren Grund schreit.

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Die Krankheit kommt laut Wagner schleichend und in Schüben. Zunächst gab es Situationen, "die man nicht verstand", erklärt sie. Ein Urlaub sei "zur Horrorreise" geworden, weil ihr Mann plötzlich orientierungslos war und nicht mehr Auto fahren konnte. Er war unzufrieden mit seiner medizinischen Betreuung, wechselte ständig die Ärzte. Er hatte keinen Tag-Nacht-Rhythmus mehr, ließ keine Besucher mehr in die Wohnung. Sogar die eigenen Kinder habe er hinauswerfen wollen. Diese Zeit sei für sie als Ehefrau "sehr einsam" gewesen, sagt die 74-Jährige. Nachts habe sie nicht mehr schlafen können, auch nicht im Wohnzimmer. Ihr Mann lief immer wieder weg, oft habe sie Todesängste ausgestanden. Wagner rät Betroffenen daher, sich jede erdenkliche Hilfe zu holen, Freunde und Nachbarn zu informieren. Dadurch habe sie große Hilfsbereitschaft erfahren. Auch Ratschläge der Angehörigengruppe hätten ihr geholfen: Das Zimmer verlassen und erst zurückkommen, wenn man sich beruhigt habe. Weitere Tipps: In kurzen Sätzen sprechen und Demente nie belügen, weil sie es merken würden.

Angelika Wagner, ehemals pflegende Angehörige ihres Mannes, erzählt im Ilse-Kubaschewski-Haus in Starnberg ihre sehr persönliche Geschichte um ihren an Demenz erkrankten Mann. (Foto: Arlet Ulfers)

Als ihr Mann immer aggressiver wurde und sie sogar würgte, rief sie die Polizei. Er wurde per Gerichtsbeschluss in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Auch dort griff er einen Pfleger an, der Aufenthalt wurde verlängert. Als er aus der Klinik kam, sei er ein "sehr gebrochener Mensch" gewesen. Sie brachte ihren Ehemann in ein Pflegeheim in Wolfratshausen, weil "alles explodierte und es zu Hause nicht mehr ging".

Laut Wagner werden nur fünf Prozent aller Alzheimer-Patienten stationär versorgt; 95 Prozent werden zu Hause gepflegt. Das liege an den hohen Zuzahlungen, weil die Pflegeversicherung nur einen Teil der Kosten übernimmt. Wagner musste 2500 Euro im Monat zuzahlen. Eine Erleichterung war es, dass sich das Ehepaar frühzeitig gegenseitig als Bevollmächtigte über den Tod hinaus eingesetzt hatte: Sie konnte frei entscheiden. Wagner besuchte ihren Mann bis zu seinem Tod 2022 regelmäßig im Pflegeheim. Rückblickend sagt sie: "So schwer die Zeit war, aber ich habe es richtig gemacht." Sie habe aus Liebe gehandelt und sei voller Dankbarkeit gewesen.

Wagner rät, sich frühzeitig über die Krankheit und den Umgang mit Dementen zu informieren

Wagner selbst jedoch war am Ende, ein Jahr lang war sie in Therapie. Daher rät sie betroffenen Angehörigen, sich frühzeitig über die Krankheit und den Umgang mit Dementen zu informieren. Wichtig sei auch, sich eigenen Freiraum zu bewahren. Die Starnbergerin besuchte die Angehörigenberatung und Angehörigengruppe der Ilse-Kubaschewski-Stiftung, zudem absolvierte sie eine Demenz-Ausbildung. Seit drei Jahren betreut sie eine demente Dame ehrenamtlich und engagiert sich seit einem Jahr auch im Besuchsdienst des Krankenhauses.

Auf die Frage, wie sie es schaffe, sich nach schwerer, anstrengenden Zeit nun für fremde Menschen mit Demenz einzusetzen, entgegnet sie, sie habe schon immer im sozialen Bereich arbeiten wollen. "Ich bin ein Mensch, der gerne hilft." Die Kraft dazu habe sie im Glauben gefunden. Es gehöre aber auch "viel Geduld und Liebe" dazu.

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