Starnberg:Tierheim päppelt 20 Igel auf

Viele sind zu klein, um ohne Hilfe zu überleben. Und weil Hunde oder Katzen nur bei echtem Interesse abgegeben werden, sinkt auch die Zahl der Vermittlungen.

Von Kathrin Haas und Lisa Bullerdiek

Wie könnte man einsamen Stunden im Lockdown besser vorbeugen als mit einer Katze oder einem Hund? Man sollte meinen, die Zwinger und Käfige in Tierheimen seien derzeit leergefegt. Tatsächlich aber verzeichnete der Tierschutzverein Starnberg im Zeitraum von März bis Juni dieses Jahres einen Rückgang der Vermittlungen um etwa 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, und das trotz hoher Nachfrage. Christine Hermann, seit neun Jahren Leiterin des Tierheims, erklärt, warum das so ist: "Wir haben ziemlich gut kontrolliert. Wir wollten ja nicht den Boomerang."

Was sie damit meint: Ihr Verein achte in der Pandemie besonders kritisch darauf, ob nur aus Langeweile Interesse an einem neuen Haustier besteht, das womöglich rasch wieder abgegeben wird, sobald sich das gesellschaftliche Leben normalisiert. Bereits nach dem ersten Lockdown im vergangenen Sommer sei deutschlandweit ein solches Phänomen zu beobachten gewesen, so Hermann.

Der Tierschutzverein hat neben Bereichen für Hunde, Katzen, Klein- und Wildtiere auch eine Igelstation, die jetzt im Herbst voll besetzt ist. Hier werden Igel gepflegt, bis sie spätestens im Frühjahr wieder in die Freiheit entlassen werden können. Johannes Stroedel, stellvertretender Leiter des Tierheims, ist für die Igelpflege zuständig. Die Igel, die ins Tierheim kommen, sind oft zu klein, um den Winter zu überstehen. Der Kleinste, den Johannes Stroedel pflegt, ist nicht einmal 150 Gramm leicht und sehr schwach. Derzeit sind im Tierheim etwa 20 Igel untergebracht, erzählt der 35-Jährige.

Im Frühjahr seien besonders viele Igel gefunden worden, auch jetzt im Herbst seien alle Plätze in der Umgebung voll, berichtet Claudia Trepte vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV). Sie ist für die Jugendarbeit im Landkreis Starnberg zuständig und pflegt selbst gerade sechs Igel zu Hause. Annika Lange, ebenfalls vom LBV, glaubt, dass schlicht mehr Igel gefunden worden sind, weil mehr Menschen als sonst auf Spaziergängen unterwegs waren. Hinzu komme, dass mehr Tiere klein, krank und damit pflegebedürftig seien, sagt Trepte. Denn viele Igel müssten heuer hungern, weil es weniger Insekten gebe. Außerdem verspeisten sie wegen des Nahrungsmangels häufig Schnecken, die gefährliche Parasiten übertragen können.

Starnberg, Tierheim Igel

Nur 150 Gramm leicht und sehr schwach: der kleinste Igel, der derzeit im Starnberger Tierheim gepflegt wird.

(Foto: Georgine Treybal)

Nicht jeder Igel braucht menschliche Hilfe - zu junge, zu kleine oder kranke Igel aber schon. Zu junge Igel erkennt man an ihren noch geschlossenen Augen und ihrer geringen Körpergröße. Als zu klein gelten Jungigel, die unter 600 Gramm wiegen. Gut genährte Igel sind von oben rund wie eine Kugel, unterernährte eher oval. Kranke Igel sind oft lethargisch. Hautkrankheiten, die man an kahlen Stellen im sonst dichten Stachelpelz erkennt, kommen bei Igeln häufig vor, ebenso Atemwegserkrankungen. Die Igel husten und röcheln dann, oder ihnen läuft die Nase.

In diesen Fällen sollte zunächst das Tierheim verständigt werden, dort bekommen Helfer weitere Anweisungen. Außerdem sollte jeder Igelfund, egal ob das Tier tot oder lebendig ist, auf der Webseite des LBV registriert werden. Der Landesbund kann so Rückschlüsse auf die Igelpopulation insgesamt ziehen. Auch wenn Igel auf der Webseite des LBV gemeldet werden können - der Verein kümmert sich nicht um die weitere Pflege, sondern vermittelt weiter, zum Beispiel an das Tierheim Starnberg.

Auch im eigenen Garten kann man Igeln helfen. Wer für die Tiere einen Überwinterungsplatz schaffen möchte, sollte wenigstens in einer Ecke des Gartens ein wenig Laub oder Totholz liegen lassen und darauf achten, dass im Zaun kleine Löcher sind, durch die der Igel in den Garten kommen kann. Wer möchte, kann Igel außerdem füttern und ihnen helfen, den nötigen Winterspeck anzufressen. Provisorisch eignen sich dafür Rührei, Katzenfutter, gekochtes Geflügel oder gebratenes Hackfleisch, aber auf keinen Fall Milch. Es gibt auch spezielles Futter für Igel.

Starnberg, Tierheim Igel

Christine Hermann, Leiterin der Einrichtung, mit Hündin Hazel.

(Foto: Georgine Treybal)

Im Tierheim Starnberg wird Johannes Stroedel bei der Igelpflege von freiwilligen Helfern unterstützt, die bereits im vorigen Jahr geschult wurden. "Zum Glück", merkt Stroedel an. Drei "Igelpäppler" helfen im Tierheim nun sehr intensiv. Und 60 Haushalte im Landkreis überwintern Igel in ihren Gärten und Kellern.

Um das Infektionsrisiko für die Tierpfleger zu minimieren, hat das Starnberger Tierheim seit März den Publikumsverkehr stark eingeschränkt. "Nichts mehr mit Gassi" - so das Credo der Heimleiterin Hermann. Soll heißen, dass im Lockdown nur noch der harte Kern ihrer ehrenamtlichen Helfer, bestehend aus etwa zehn Personen, regelmäßig mit den Tierheim-Hunden Gassi geht. Wer sich für ein spezielles Tier interessiert, darf nur mit Termin vorbeikommen.

Obwohl die meisten Tiere rasch vermittelt werden, gibt es einige, die länger auf ein neues Zuhause warten. Eines dieser Sorgenkinder ist die zweijährige Kangal-Hündin Hazel. Untypisch für ihre Rasse erwies sie sich in der Ausbildung zum Herdenschutz als ungeeignet; sie sucht lieber Familienanschluss, anstatt auf Schafe aufzupassen. Wegen einer Fehlstellung der Hüfte benötigt Hazel Physiotherapie und täglich Medikamente - und ein Herrchen.

Die rund 1300 Mitglieder halten mit ihren Mitgliedsbeiträgen den Betrieb im ehrenamtlichen Tierschutzverein Starnberg aufrecht. Allerdings seien seit März wichtige finanzielle Stützen weggefallen. "Viele Firmen haben ihre Förderpatenschaften gekündigt", sagt Hermann. Auch dass die Leute in diesem Jahr kaum in den Urlaub gefahren sind, wirke sich aus: "Wir leben ja auch von Tierpensionen. Wenn die Leute wegfahren, passen wir auf ihre Tiere auf. In diesem Jahr hatten wir 80 Prozent weniger Pensionen als 2019", sagt Hermann. Außerdem mache sich bemerkbar, dass Veranstaltungen ausfielen. Beim jährlichen Tag der offenen Tür, dem Sommerfest oder dem Sponsorentag des Heims sei die Spendenbox am Ende des Tages meist gut gefüllt gewesen. Das fiel in diesem Jahr weg.

Die Igelkarte des LBV kann über https://www.igel-in-bayern.de/ abgerufen und ergänzt werden. Das Tierheim Starnberg ist unter der Telefonnummer 08151/8782 zu erreichen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: