Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Bayern:"So werden Menschen kaputt gemacht"

Ein gut integrierter iranischer Asylbewerber soll seinen Pass im Starnberger Ausländeramt vorlegen - und kassiert postwendend die Abschiebung. Für den Helferkreis kein Einzelfall.

Von Jessica Schober

Er hatte es fast geschafft. Beinahe hätte Nasser Harbi alles beisammen gehabt, was es braucht, um ein halbwegs normales Leben in Breitbrunn zu führen: eine unbefristete Festanstellung, eine Wohnung, die er selber bezahlen konnte, Freunde, die ihn unterstützen. Und schließlich einen Pass. Doch als er dem Starnberger Ausländeramt endlich wie gefordert seinen iranischen Reisepass vorlegen konnte, verlor er plötzlich alles wieder: Er bekam nicht wie erwartet eine neue Arbeitserlaubnis, sondern einen Ausreisebescheid. Harbi soll Deutschland bis zum 23. September verlassen, so steht es in dem Schreiben von Mitte August. Zum Entsetzen seines Arbeitgebers, dem kirchlichen Dominikus-Ringeisen-Werk, das den langjährigen Mitarbeiter nicht verlieren will. Der Helferkreis Asyl in Breitbrunn ist schockiert.

Die Verzweiflung ist Harbi anzusehen in diesen Tagen. Den Tränen nahe und unter großer Anspannung erzählt der 51-Jährige, dessen Familie im Iran lebt, von seinem Werdegang. Seit Mai 2016 arbeitet er im Dominikus-Ringeisen-Werk, zuletzt als Betreuer und als Hausmeister. Sein Chef Stefan Götz hat nur lobende Worte für den Geflüchteten: "Harbi kann hervorragend mit den Menschen, die wir hier in der Förderstätte betreuen, umgehen. Er ist ein sehr wichtiger Mitarbeiter für uns." Doch seit Mitte August darf Harbi nicht mehr arbeiten. "Wir haben hier einen Menschen in einen absoluten Mangelberuf eingearbeitet, für den man besondere Fähigkeiten braucht. Und dann verlieren wir von heute auf morgen diesen Mitarbeiter", ärgert sich Götz. Auch 57 Kollegen haben sich in einer Unterschriftensammlung für Harbi stark gemacht.

Helferkreis und Pfarrerin werfen der Behörde Tricks vor, Landrat verspricht Hilfe

Julia Rothbauer vom Helferkreis wirft dem Ausländeramt Täuschung vor: "Erst werden die Geflüchteten aufgefordert, sich einen Pass aus ihrem Herkunftsland zu beschaffen, weil ihnen sonst Nachteile drohen bei der Ausstellung einer Arbeitserlaubnis. Aber wenn sie dann einen Pass vorlegen, schlägt das Ruder um und die Leute bekommen einen Ausreisebescheid." Sie kenne derzeit sechs Fälle in Breitbrunn, die nach gleichem Muster verlaufen seien.

Landrat Stefan Frey (CSU) verspricht Hilfe. Geflüchtete, die im Landkreis Starnberg arbeiteten, Deutsch sprächen und straffrei seien, sollten weiterhin eine Arbeitserlaubnis bekommen. Zu dem Fall von Nasser Harbi habe er sich beim Ausländeramt erkundigt. "Er braucht keine Angst haben, er wird wieder eine Duldung erhalten und darf auch weiter arbeiten", sagt Frey. Helferkreise und Arbeitgeber könnten sich in solchen Einzelfällen auch direkt an ihn wenden, so der Landrat.

Dass Harbi als Reaktion auf die Passübergabe unmittelbar den Ausreisebescheid erhielt, kritisiert auch Frey an der ihm unterstellten Ausländerbehörde. "Eine solche Bescheinigung hätte man ihm nicht ausstellen sollen, um den Druck abzufedern." Es sei aber grundsätzlich notwendig und richtig, dass Geflüchtete einen Pass vorlegen müssten, um ihre Identität zweifelsfrei feststellen zu können und ihnen erneut eine Arbeitserlaubnis ausstellen zu können. Harbis Asylantrag wurde abgelehnt, weil er dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er im Iran politisch verfolgt würde. "Wenn Nasser Harbi abgeschoben wird, dann würde er im Iran sofort festgenommen und gefoltert werden", sagt hingegen ein iranischer Freund.

Ein Flüchtling wurde tot aufgefunden

Wenn Asylsuchende bei der Passbeschaffung mithelfen, kann das als positives Zeichen gewertet werden und zur Ausstellung einer Arbeitserlaubnis führen. Doch immer öfter leiden Geflüchtete laut Helferkreis unter der Unsicherheit. Wer zum Termin ins Landratsamt komme, könne nie sicher sein, ob er wirklich die in Aussicht gestellte Arbeitserlaubnis erhalte oder doch im Gegenzug für die Passbeschaffung einen Abschiebebescheid kassiere. "Da wird mit Tricks gearbeitet", sagt die evangelische Pfarrerin Katrin Hussmann. Als Christin könne sie das Behördenhandeln nur verurteilen. "So werden die Leute systematisch kaputt gemacht."

Unter der Ohnmacht gegenüber dem Ausländeramt litt auch Farshad Shiri, jener iranische Geflüchtete, der am 19. November 2020 tot in seinem Zimmer in der Unterkunft in Breitbrunn aufgefunden wurde. Ein halbes Jahr vor seinem Tod, der viele Gemeindemitglieder bewegte, war ihm Ähnliches widerfahren, er musste stets bangen, abgeschoben zu werden, obwohl er als Musterbeispiel für Integration galt. "Wir wissen über Farshad Shiri, dass er an dieser Situation gestorben ist", sagt Pfarrerin Hussmann. Ein iranischer Bekannter, der Farshad Shiri nach eigenen Angaben noch kurz vor seinem Tod traf, beschreibt seine Verzweiflung. "Wir alle können ohne Beruhigungsmittel kaum mehr schlafen, weil wir solche Angst vor der Abschiebung haben", sagt der junge Iraner, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Denn auch er wurde aufgefordert, seinen Pass zum Landratsamt zu bringen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5412477
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.09.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.