Süddeutsche Zeitung

Starnberg:Gemeinsamkeit trifft Gegensatz

Das musikalische Experiment "opheus has just left the building" begeistert das Starnberger Publikum

Von Reinhard Palmer, Starnberg

Auch wenn Bach bereits tausendfach verjazzt wurde: Barocke Musik ist keinesfalls per se dazu prädestiniert. Bei Henry Purcell ist man wohl eher weniger dazu bereit, sich seine innige Poesie und Melancholie in der Jazzversion vorzustellen. Was Komponist, Arrangeur und Pianist Peter Fulda und der Countertenor und notorische Grenzgänger Johannes Reichert zwischen Alter und Neuer Musik sowie Jazz, Rock und Pop experimentell unter dem Titel "Orpheus has just left the building" ersonnen haben, ist denn auch kein Versuch, die Musik des Orpheus britannicus in Jazzharmonien umzusetzen. Es geht dabei vielmehr um die Suche nach Gemeinsamkeiten und Gegensätzen mittels Konfrontationen, bisweilen aber auch sensibler Annäherung. Was also die einmal mehr für eine Kreisstadt beschämend wenigen Besucher in der Starnberger Schlossberghalle im Rahmen des Schlossfestes begeisterte, war wohl vor allem die Entdeckung, dass es da zwischen Barock und Jazz zu Synergien kommen kann, die etwas gänzlich Neues hervorzubringen vermögen.

Die Begegnung bestimmte nicht explizit die Suche nach etwas Neuem. Dies geschah gewissermaßen selbständig in der sich herauskristallisierenden dramaturgischen Zuspitzung - mal der Gegensätze, mal der Gemeinsamkeiten - innerhalb eines weiten Spannungsbogens, der dafür sorgte, dass sich nicht einmal ein Anflug an Beliebigkeit einschleichen konnte. Alleine Letzteres führte schon zur gesteigerten musikalischen Intensität und Dichte. Zumal das Geschehen durch die Besetzung und ihren Einsatz auch optisch sichtbar wurde. Dem Jazztrio um die experimentelle Stimmakrobatin Pegelia Gold mit Fulda und dem spielfreudigen Kontrabassisten Alex Bayer stand hier ein Trio der Ernsten Musik gegenüber - mit filigranen Klanggespinsten der Cembalistin Ulrike Koch sowie der Lautenistin Christine Riessner, die meist eine Unterlage für die überaus feinsinnige Stimmführung Reicherts lieferten. Hier also die atemberaubende Schönheit und zarte Leichtigkeit der hoch im Raum schwebenden Barockarien, dort ein bisweilen recht wildes Nachsinnen darüber, gezielte Störungen und Verwandlungen, Adaptation in beherzt angetriebenen Jazz-Passagen bis zur erneuten Auflösung in wiegender Rhythmik und endlos mäandernden Melodielinien der Alten Musik. Spannend dabei die Diskrepanz der jeweiligen Ausdeutung der Inhalte. Henry Purcells Stoffe stammten aus "Oedipus", dem antiken Drama um den Vatermörder, "The Fairy Queen" nach Shakespeares "Sommernachtstraum", "King Arthur" vom Helden der Artus-Sage, und "Dido und Aeneas" nach dem Epos "Aeneis" von Vergil aus der römischen Antike. Inhalte also, die verschiedentlich emotional aufgeladen sind, die bei Purcell jedoch überaus feinsinnige Entsprechungen fanden, mehr empfunden als gehört. Anders hingegen die diesseitigen Jazz-Varianten, die gerade im kraftvollen Spiel Fuldas schon mächtig donnernde Auslegungen erfahren konnten. Gold setzte sie bisweilen in Scat-Gesang um oder experimentell mit stimmakrobatischen Improvisationen. Auch die Sprechqualität kam zum Einsatz, sowohl in expressiver Rezitation wie auch als Echo in geflüsterter Variante im Schatten des Countergesangs.

Doch im Zentrum dieses immer dichter werdenden Nebeneinanders der musikalischen Welten stand auch das Miteinander. Alte Musik und Jazz rückten jeweils allmählich immer näher zusammen, überlagerten sich zunehmend, bis sie schließlich in einer Synthese beider Gattungen große hymnische Duette von klangsinnlicher Schönheit bescherten. Frenetische Ovationen und Purcells "One Charming Night" in der Zugabe.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2017
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