Starnberg:Geld statt Liebe

Starnberg Kinderschutzbund

Gunhild Kilian-Kornell und Martina Rusch stehen an der Spitze des Starnberger Kinderschutzbund.

(Foto: Georgine Treybal)

Der Kinderschutzbund hat immer häufiger mit dem Phänomen der Wohlstandsverwahrlosung zu tun

Von Blanche Mamer, Starnberg

Der elfjährige Bub leidet an Duchenne-Muskeldystrophie und sitzt im Rollstuhl, sein Vater hat Lungenkrebs und kämpft mit den Nachwirkungen von Operation und Chemotherapie, die kleine Schwester ist dreieinhalb, gesund und sehr lebhaft. Und die Mutter? Sie ist am Ende ihrer Kraft. Dieser Familie konnte geholfen werden. Die Hilfe kam vom Kinderschutzbund Starnberg. Durch die so genannte "niederschwellige Beratung" konnte ein Teil der Sorgen der Familie gelindert werden und durch die Kooperation mit dem Landratsamt wurden weitere Probleme gelöst. "Oft sind wir der erste Kontakt, denn wir sind keine Behörde", sagt Martina Rusch, die pädagogische Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Starnberg, der heuer sein 40-jähriges Bestehen feiert.

Den deutschen Kinderschutzbund gibt es seit 1953, doch erst 1979 wurde der Bedarf im Landkreis Starnberg akut und "die Lobby für Kinder" dringend gebraucht. "Nicht allen Kindern ist das gleiche Glück zuteil, das wir ihnen für ihr Leben wünschen. Deshalb ist es unser oberstes Ziel, uns für diese Kinder und Jugendlichen stark zu machen und tatkräftig da zu helfen, wo es nötig ist" beschreibt die Kinderärztin und Vereinsvorsitzende Gunhild Kilian-Kornell den Auftrag. Sie ist seit ihrem Zuzug nach Starnberg, Ende der 1980er Jahre, im DKSB aktiv und seit 2012 Vereinsvorsitzende.

Die Probleme in der Starnberger Organisation waren und sind die gleichen wie in den anderen Regionen, von Vernachlässigung bis Misshandlung der Kinder, Mobbing in der Schule, Überforderung der Mütter. Was es aber im Fünfseenland sicher öfters gibt als bei anderen Kreisverbänden ist die "Wohlstandsverwahrlosung von Kindern und Jugendlichen", sagt Kilian-Kornell im Gespräch mit der Starnberger SZ. Deren Eltern würden ihnen Geld gaben, statt Zuwendung und Liebe. Sie berichtet von einer Episode Ende der 80er Jahre, als ein Schüler am Gymnasium seine Mitschüler quälte und beim geringsten Widerstand auf die Macht der Eltern hinwies. Als Zeichen seiner Missachtung zündete er eine Zigarette mit einem 100-Mark-Schein an.

Als Kinderärztin sehe sie öfters Auffälliges und könne den Erstkontakt zum Familienzentrum herstellen. Wenn es jedoch um gravierende Verletzungen oder sexuelle Gewalt gehe, müsse sie das melden. Seit 2011 hat der Kreisverband sein Domizil, das Familienzentrum, in der Söckinger Straße. Neben dem Büro und Besprechungszimmern gibt es ein kleines Café, in dem sich Mütter, Väter, Omas, Opas mitsamt Kindern austauschen können, es gibt Räume für Kurse, Stillgruppen für junge Mütter oder auch Spielgruppen für die Kinder. Zudem gibt es ein Schülercoaching und eine Trauergruppe für Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren.

"Wir können einiges abfangen, doch bei manchen Themenbereichen verweisen wir auf Kooperationspartner und andere Träger, die auf einzelne Probleme spezialisiert sind", sagt Kilian-Kornell. Rusch erläutert das an einem Beispiel: Da ist eine junge Mutter mit Drogenproblem. Sie ist mit der Versorgung des Babys völlig überfordert und bekommt den Alltag nicht auf die Reihe. Da gibt es unter anderem die Möglichkeit, eine Familienhebamme zu kontaktieren, die der Frau bei der Versorgung des Babys zur Hand geht. "Oder wir suchen eine Familienpatin, eine ehrenamtliche Betreuerin, die im Haushalt hilft und einkaufen geht, damit die Mutter sich ausruhen kann. Wir tun zudem alles, um den Menschen die Angst vor dem Jugendamt und der Erziehungsberatung zu nehmen und vermitteln, wenn nötig, den Kontakt" sagt Rusch. Es könne sein, dass sich der Knoten bei einer ratsuchenden Familie schon nach ein bis zwei Beratungseinheiten löse.

Da sich die Gesellschaft verändert habe, hätten sich auch die Probleme in den Familien verändert, sagt Kilian-Kornell. Mobbing zum Beispiel nehme zu. Auch früher schon hätten Kinder darunter gelitten, wenn sie gehänselt worden seien. Heute aber sei Mobbing viel häufiger und krasser. Das zwischenmenschliche Klima werde zunehmend kälter, oft seien die Bindungen zwischen Eltern und Kindern gestört. Kinder, die keine Basis hätten, würden Druck auf andere ausüben. Und Kinder, die keine Grenzen kennen, hätten es schwer, Grenzen einzuhalten; sie fügen anderen leichter Schaden zu - was oft auch anonym über die sozialen Medien laufe. Zur Sozialkompetenz kommt heute die Medienkompetenz. "Es ist ein Prinzip des Kinderschutzbundes, ein gutes Aufwachsen mit digitalen Medien zu erreichen und den Umgang damit zu lernen", erklärt Rusch.

Für Kilian-Kornell ist es vor allem wichtig, den Kindern zuzuhören. Die "me-too-Bewegung" habe da einiges ins Bewusstsein geholt. Eigentlich sollte es ganz selbstverständlich sein, doch es ist als Erfolg anzusehen, wenn sich ein Kind traut, Nein zu sagen. Rusch wird in ihrer Arbeit von den Mitgliedern des Vorstands und von 20 ehrenamtlichen Paten unterstützt. Sie wurden allesamt bei der Jubiläumsfeier in der Schlossberghalle mit einer Ehrennadel ausgezeichnet.

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